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Papa

Er liebt es Ogden Nash zu zitieren:

Das Problem mit dem Kätzchen ist,

dass es irgendwann eine Katze wird...
Plötzlich ein Aufschrei. Aus dem Nirgends.

Kristallnacht. Wir sitzen an seinem Schreibtisch, hören Radio

WOXR.

Der Ansager spricht von Erinnern, Vergessen.

Papa redet dazwischen, mit seiner Aachen Das-sind-die
Fakten-Stimme:

Meine Mutter wurde in Auschwitz ermordet. Sie wollte ihre

Schwester nicht zurücklassen.

Er steht auf und lächelt mich an.
Lass uns mit deiner Mutter Kuchen essen und Kaffee trinken, ja?

Ich bin 40 und höre DAS zum ersten Mal.

Wie vor den Kopf gestoßen folge ich seinen kurzen
schnellen Schritten in das Esszimmer. Zu meiner Mutter.
Ich weiß, wie ich dran bin: Keine weiteren Fragen.

Er hat nie wieder etwas gesagt
über dieses letzte Gespräch mit seiner Mutter.

Mutter, mach dir nichts vor. Ich sehe diese Stadt wird ein
riesiges Gefängnis. Und du in ihm!

Mein Sohn, das liebe Wien wird mich schützen.

Mutter, mach dir nichts vor. Nutze das Visum und geh mit Karl
als seine Frau nach Australien.

Statt dessen schreibt sie in eins von zwei Taschenbüchern mit
Goethes Faust:
Für meinen geliebten Sohn auf seine grofse Reise.

18 Jahre alt. Er stopft die Bücher, seinen Nazi-Pass in eine kleine
Reisetasche, hofft dadurch sein Ziel zu verbergen ¬
Zuerst Frankreich, eine kranke Tante besuchen.

Dann das Affidavit und die Schiffskarte nach Amerika,
versteckt im doppelten Boden der Tasche.

Wie lang hat er gebettelt und an die Vernunft seiner Mutter appelliert,
die wie erstarrt blieb?

Ist das der Schliissel zu seinem Inneren?

Der Sohn versteinert. Dann wieder bricht es aus ihm hervor.
Dann Schweigen. Trauer ohne Tränen.

Und doch die ungeweinten Tränen auf den Wangen und
Tropfen für Tropfen

in Hemden und Laken,

verlieren sich auf dem Pflaster der Gehsteige.

Er trauert wütend.
Nach jeder Aufwallung ist es ruhig in ihm.

Rational, konzentriert, der Anwalt und Ingenieur, der mich beschützt.
Auch wenn er Lebensmittel einkauft, ist er der Mann, der die

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Tiire aufhalt — immer.

Ladies first, brummt er in seinem wienerisch gefarbten Englisch,

in seinen braunen Augen ein Zwinkern, ein Lacheln, breit und
warm.

Ohne ihn wiirfe mich der leiseste Windstoß um.

III. Verspätete Ernte

1945, der Weltkrieg ist zu Ende.

Ganze Generationen ausgelöscht: Großmütter, Papas, Babys...
Zerstreute Samen kommen mit dem Wind vom Meer,

Samen der Trauer und des Sonnenlichts,

erfrorene Wiener Samen von den Wellen angespült an die Ufer
New Yorks.

Wartend in meiner Mutter.
Schwimmend in meinem Vater.
Neue Samen hergeblasen, zusammengeschmissen. Neu.

Ein schmaler Band im Bücherregal an der langen
Wohnzimmer-Wand,

golden, wenn die Sonne auf ihn scheint:

Verspätete Ernte, Zerstreute Saat.

Darin warten die Gedichte von Großtante Mitzi.

Sie harren meiner auf vergilbten Seiten,
dass ich geboren sein werde, dass ich
Englisch-Deutsch-New-York erlerne: die Geheimnisse.

Gedichte, Mitzi hat sie angebaut und hochgezogen, auf dass ich
endlich tief atmend sie lesen kann,
ohne etwas zu übergehen von dem Horror der Lager.

Lager Gurs (Juni 1940)

Die Stimmen verebben jetzt,
Gelächter und Weinen

Von Hunger und Angst gehetzt
Entschlummern die Kleinen,
Entschlummern erschöpft die Fraun,
Auf Stroh gebettet,

Und hoffen, dass liebreich ein Traum
Den Kummer glittet.

Mitzi liegt mit den Frauen in der „schwarzen Baracke, durch die

der Wind pfeift“ ... in Gurs, Südfrankreich.

Frauen, zusammengepfercht, schäbig, humpelnd, voll Schmutz,

Gewimmer der Kinder, und alle warten — auf den Transport, auf
Arbeit macht frei.

Gemeinsam knurren ihre Mägen nach fetter Butter und
cremigem Camembert.

Heute sind es wieder Kartoffelschalen in der Wassersuppe.

Sie hungert mit ihnen,

streut Gedichte in all die schlaflosen Furchen.

Oh, so viel...

Zerschossenes Antlitz ..