die Gefahr zu fallen und sich zu verletzen sehr groß. Die Toi¬
letten bestanden aus zwei langen Reihen offener Schuppen, die
einzelnen Sitze waren durch grobe Tücher voneinander abgeteilt,
eine Abflussrinne zwischen den beiden Reihen; es war stets sehr
unangenehm, an den Reihen vorbeizugehen und alte Männer in
den seltsamsten Positionen dort sitzen zu sehen. Das war für viele
von uns wohl nicht nur äußerst beschämend, sondern schwächte
auch unsere Gesundheit — immerhin bestand ein großes Risiko,
sich mit Krankheiten anzustecken.
Nach einiger Zeit kam der Kommandant zu uns; er hielt eine Art
von Ansprache, und ich muss zugeben, dass ich davon angetan
war, vor allem nach den Erfahrungen in Ascot. Er war ziemlich
freundlich, sagte, dass er für unsere Lage Verständnis habe und
wisse, dass die meisten von uns vertrauenswürdig seien, aber dass
wir auch für das Vorgehen der Behörden, die für Aktivitäten von
Spionen und „fifthcolumnists“ gerüstet sein müssten, Verständ¬
nis haben und sie unterstützen sollten, indem wir Geduld hätten
und das Beste daraus machten. Er gab zu, dass das Lager in ei¬
nem sehr schlechtem Zustand war und nicht geeignet, Menschen
darin unterzubringen, dass er das auch den Behörden mitgeteilt
habe, doch ohne Erfolg. Wir sollten uns aber nicht zu sehr da¬
ran stören, da es sich um keine Dauerlösung handele und wir
in einigen Tagen in ein anderes Lager gebracht würden. Inzwi¬
schen sollten wir ihm helfen, die Lage unter Kontrolle zu halten.
Er versprach, alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Le¬
bensbedingungen im Lager zu verbessern. Zweifellos handelte es
sich um einen klugen Mann, aber er hatte den Tick, während
seiner Ansprachen auf unangenehme Weise zu lächeln; ich war
mir nie sicher, ob er es ehrlich meinte oder ob er zynisch oder
gar sadistisch war, wie viele von uns glaubten. Vielleicht war er
eine Mischung aus Gut und Böse; sicher war er für viele der Be¬
schwerlichkeiten in Warth Mills verantwortlich und später sollte
ich einige sehr schlimme Dinge über ihn hören — dass er absolut
nicht vertrauenswürdig war, dass er Briefe und Anträge zurück¬
behielt, dass er bei finanziellen Angelegenheiten nicht vollkom¬
men ehrlich war usw., aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das
alles der Wahrheit entspricht. Es war schlimm genug, dass wir in
so vielen Angelegenheiten von dem Gutdünken eines Komman¬
danten abhängig waren, dass wir keine Möglichkeiten hatten,
unsere Rechte geltend zu machen — und ich fürchte, dass dies in
allen Lagern, bis zum heutigen Tag, nicht anders ist.
Der Kommandant bat um einen Repräsentanten, da er nicht
mit jedem Einzelnen von uns sprechen konnte, und ein jüngerer
Mann, Dr. B., erklärte sich bereit dazu, zunächst ohne Abstim¬
mung, später wurde er durch eine Art Umfrage in seiner neuen
Position bestätigt. Er erfüllte seine Aufgabe letzten Endes gar
nicht so schlecht, auch wenn unter uns ständige Unzufriedenheit
herrschte. Dann mussten noch Mitarbeiter für den Küchendienst
gefunden werden, was nach einiger Zeit auch gelang.
Schließlich wurden uns die Räume, in denen wir die Nacht ver¬
bringen sollten, gezeigt: Es waren einige sehr große Hallen, der
Boden teilweise aus Stein, teilweise aus Holz, unglaublich dre¬
ckig, mit großen Löchern, das Dach bestand zum größten Teil
aus Glas, war aber an vielen Stellen gebrochen, ebenso wie viele
der Fenster, überall fanden sich Überbleibsel von Maschinenan¬
lagen’, Gestank und Schmutz. Dann mussten wir unsere Betten
holen — es waren schmutzige Feldbetten — und wir bekamen re¬
lativ gute Decken, aber keine Polster. Doch wir hatten Glück,
da wir die ersten im Lager waren und daher Betten bekommen
hatten; an diesem und den nächsten Tagen kamen weitere Män¬
ner aus anderen Lagern — am Ende waren 1840 Manner in Warth
Mills untergebracht, in einer Baumwollfabrik, die vor einigen
Jahren aufgrund hygienischer Mängel geschlossen werden muss¬
te°, und die meisten von ihnen mussten auf Strohsäcke gebettet
am schmutzigen Boden schlafen. Niemand, der es nicht mit ei¬
genen Augen gesehen hat, kann sich vorstellen, dass in diesem
Land Hunderte von Männern in diesen dreckigen Hallen schla¬
fen mussten, so dicht gedrängt, dass es fast unmöglich war, beim
Durchqueren nicht auf die Strohsäcke oder einen der Männer zu
treten.
Für unsere Mahlzeiten hatten wir Schüsseln und Teller aus
Blech, wie in Ascot, und nicht nur Löffel, sondern auch Messer
und Gabel - ein Punkt für Warth Mills.
Ein weiteres Mal untersuchte uns ein Sanitätsofhzier und auch
unser Gepäck und unsere Taschen wurden durchsucht. Nun
wurden, auf Befehl des Kommandanten, alle Bücher, Papiere,
sogar Toilettenpapier, konfisziert; glücklich der, der etwas von
seinen Schätzen verstecken konnte. Hier durfte man jedoch, an¬
ders als in Ascot, 10 shilling von seinem Geld behalten. All dies
hing vom Kommandanten ab.
An diesem Tag wurde es sehr spat, ehe wir unser Abendessen
erhielten. Nach dem Abendessen fanden wir noch heraus, dass
wir fiir die Reinigung unseres Essgeschirrs kein warmes Wasser
zur Verfügung hatten, sondern sie bei den Waschstellen säubern
mussten, an denen wir uns auch wuschen. Diese befanden sich in
Baracken außerhalb der Fabrik, enge und schmutzige Baracken
mit 32 Wasserhähnen für bis zu 1500 Männer! Jeden Morgen und
nach jeder Mahlzeit brach eine Art von Kampf aus, um so früh
als möglich zu den Wasserhähnen zu gelangen — vor allem, da das
Wetter in diesen Tagen sehr schlecht war und man beim Anstel¬
len im Schlamm versank. Unser Geschirr konnten wir nie ganz
vom Heringsgeruch befreien und es war nahezu unmöglich, uns
und unsere Wäsche sauber zu halten.
[...] es folgt eine kurze, schwer lesbare Stelle darüber, dass die Grup¬
pen der Männer, die aus demselben Lager nach Warth Mills gekom¬
men waren, unter sich blieben.
Unter uns befanden sich sehr alte Männer, viele Kranke und sogar
körperlich Versehrte; mindestens zwei Männer, ein Professor und
ein Künstler, hatten ein Bein im Weltkrieg verloren. Es gab Män¬
ner aus Norwegen, wo doch gegen die Deutschen gekämpft wor¬
den war, einige führende Persönlichkeiten der österreichischen und
deutschen Sozialdemokratie, Rudolf Olden’, der bekannte demo¬
kratische Schriftsteller, Verfasser einer Hitler-Biografie, der sicher¬
lich von den Nazis erschossen worden wäre, hätten sie ihn gefangen
genommen. Auch Männer, die kein Deutsch verstanden, so zum
Beispiel ein junger Mann aus meiner Gruppe, Ungar von Geburt,
der aber seit vielen Jahren in England lebte; es gab natürlich Männer
jeder Profession und jeden Glaubens. Mehrere Hundert der Männer
waren in Dachau oder Buchenwald gewesen — zu der Zeit hatte ich
bereits die schrecklichsten Geschichten über diese Konzentrations¬
lager gehört, aber es wurde auch erzählt, dass die hygienischen Zu¬
stände in Dachau viel besser waren als in Warth Mills. Es gab auch eine
kleine Gruppe echter Kriegsgefangener im Lager, zwanzig deutsche
Soldaten, die meisten von ihnen waren in Island gefangen genom¬
men worden; angesichts der überwältigenden Menge an Anti-Na¬
zis mussten sie sich natürlich sehr vorsichtig verhalten und blieben
meist unter sich; mit einem von ihnen habe ich mich ein paar Mal