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ich hatte einen der Ärzte um mehr Milch gebeten, da Männern
über 60 eine zusätzliche Ration zustand, und auch wenn ich
selbst keine Milch mochte, wollte ich die Ration unseres Hauses
vergrößern. Nach der Untersuchung erklärte der Arzt, dass er
mich aufgrund von Prostatitis und meines schwachen Herzens
für eine sofortige Entlassung vorschlagen werde. Ich weiß nicht,
ob er das nur sagte, damit ich entlassen würde oder ob ich tatsäch¬
lich krank war, doch natürlich war ich sehr froh darüber und ein
paar Tage später wurde ich zum englischen Arzt gerufen, der mir
mitteilte, dass ich einen Antrag auf Entlassung stellten sollte, den
er unterstützen werde. Das war am 3. August und am nächsten
Tag wurde ich ohnmächtig, daher denke ich, dass es mit meiner
Gesundheit tatsächlich nicht zum Besten stand.

Aber als einige Männer das Lager verlassen konnten, waren es nicht
die ältesten und nicht jene, deren Entlassung der Arzt vorgeschla¬
gen hatte, sondern die Entscheidung wurde durch Beziehungen
außerhalb des Lagers beeinflusst. Daher ist es verständlich, dass
uns die Ungewissheit sehr zu schaffen machte. Es war also eine
Überraschung, dieses Mal eine schöne, als ich am Abend des 17.
Augusts zum Kommandanten gerufen wurde, der mir mitteilte,
dass ich freikäme; nur wenige Minuten zuvor hatte der Nachrich¬
tenofhizier verkündet, dass alle Männer zwischen 19 und 50 sich
zum Pionierkorps melden konnten, und sollten sie als tauglich be¬
funden werden, so behandelt würden wie englische Rekruten. Ich
wurde im ersten großen Schwung jener freigelassen, die vom Arzt
dafür vorgeschlagen worden waren, insgesamt 31 Männer.

Auch bei der Entlassung ging es sehr bürokratisch zu; unser
Gepäck wurde durchsucht, Formulare wurden ausgefüllt, wir
mussten eine Erklärung unterschreiben, dass wir gegen den
Kommandanten des Lagers keine Ansprüche stellten. Das war
tatsächlich nötig, da es gegen die Kommandanten anderer Lager,
vor allem von Warth Mills, Klagen gab. Bis heute habe ich weder
meine Dokumente noch mein Messer und meine Taschenlam¬
pe zurückbekommen — und andere haben noch viel mehr und
auch wichtigere Dinge verloren. Der „Manchester Guardian“
veröffentlichte Briefe, in denen behauptet wurde, dass Komman¬
danten von den Entlassenen das Unterschreiben einer Erklärung
verlangten, mit der sie sich verpflichteten, nichts über die Bedin¬
gungen und Zustände in den Lagern zu erzählen, ganz so wie
es in deutschen Konzentrationslagern gemacht wurde. Ich frage
mich aber, ob dies tatsächlich passiert ist, für die Isle of Man
wurden solche Erklärungen nicht verlangt. Doch wir durften
von Douglas aus nicht telegrafieren — einer der letzten unnötigen
Auswüchse militärischen Bürokratismus.

Am Abend des 18. August, es war ein Sonntag, verabschiedeten
Professor Weiler und ich uns von den Kameraden in unserem
Haus, die sich uns gegenüber stets sehr nett verhalten hatten,
einer von ihnen hielt eine freundliche Rede. Ich antwortete, ge¬
rührt durch den Abschied, und dankte ihnen für ihre Herzlich¬
keit und sprach einige Worte, die meiner Auffassung nach jeder
der Internierten hören sollte: Dass diese Männer, die so vieles
durch die Nazis erleiden mussten, niemals vergessen sollten, dass
ihre Seele und ihr Geist nicht nur durch die Natur und die Städte
ihres alten Vaterlandes geformt worden waren, durch die Donau,
die Alpen, die österreichischen Seen, aber auch durch St. Stephan
und andere wunderbare Denkmäler Wiens, durch den Rhein
und den Schwarzwald, Nürnberg und Speier und Worms — und
durch Goethe, Lessing, Kant, Beethoven, Schubert — die Genies
des ewigen Deutschland, die den Krebs des Hitlerismus überdauern
werden; und dass sie niemals vergessen sollten, dass es ein lebendi¬

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ges England gebe, wo sie alle so viel Freundlichkeit und Hilfsbereit¬
schaft erfahren hatten und in dem, wie man gerade schen konnte,
Freiheit und Gerechtigkeit noch immer über Ungerechtigkeit und
Unvernunft siegten, — dass die Engländer noch immer die gerechtes¬
ten und gütigsten aller Völker der Erde seien. Am nächsten Morgen
wurden wir zum Schiff, einem gewöhnlichen Passagierschiff, ge¬
bracht, und als wir an Bord gingen, waren wir freie Männer.

Einer meiner Mitbewohner im Haus war ein Zahnarzt aus Wien,
ein sehr stiller und bescheidener, aber auch geistreicher Mann.
Einmal erzählte er uns: „In Warth Mills hatte ich einen wunder¬
baren Traum. Ich träumte in England zu sein — und als ich er¬
wachte, war ich in Warth Mills.“ Nun war es kein Traum; ich war
wieder in England und nie mehr danach habe ich dies so deutlich
gespürt wie in den Tagen, die auf meine Entlassung folgten, als
ich in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand so viel
Hilfsbereitschaft und Güte erfuhr, nicht nur von Freunden, son¬
dern auch von dem einfachen Wachtmeister unseres Dorfes und
seiner Frau. Doch sind dies nur persönliche Erlebnisse, die hier
nicht erzählt werden sollen.

Vielmehr möchte ich hier die wichtigsten Punkte eines Memo¬
randums wiedergeben, das ich in Hutchinson Camp verfasst
habe, um es an die höchsten Behörden zu senden. Dieses Me¬
morandum wurde jedoch nie abgeschickt, da andere Männer ein
ähnliches Schreiben verfassten. Vor meiner Entlassung musste
ich mein Memorandum zerstören, da vor allem unsere Doku¬
mente durchsucht wurden, doch ich erinnere mich gut daran:

„Die Flüchtlinge in Hutchinson Camp sind zutiefst davon über¬
zeugt und denken, dass sie dies auch beweisen können, dass die
gesamte Inhaftierung von Flüchtlingen unrechtmäßig, ihre Be¬
handlung in vielerlei Hinsicht unmenschlich und grausam ist
und die Maßnahme den britischen Interessen entgegensteht...“

Aus dem Englischen von Corina Prochazka.

Valentin Pollak verfasste seinen Bericht über die Zeit seiner Inter¬
nierung als Enemy Alien auf Englisch, dieser wurde nun für die
erstmalige Veröffentlichung in ZW übersetzt. Übergeben wurde
uns der Bericht im Oktober 2018 von Erich Hackl. Es handelt
sich um Scans eines Typoskripts, das jedoch nicht mehr vollstän¬
dig erhalten ist und an einigen Stellen eine sehr schlechte Lesbar¬
keit aufweist. Auf diese Leerstellen wurde in der Transkription
hingewiesen. Zudem fehlt die genaue Datierung des Berichts, es
kann jedoch angenommen werden, dass Valentin Pollak ihn kurz
nach seiner Freilassung im August 1940 verfasste.

Auch eine ebenfalls aus dem Nachlass seiner Tochter Ilsa Ba¬
rea-Kulcsar stammende, unveröffentlichte Autobiografie Valen¬
tin Pollaks befindet sich seit Oktober 2018 im Archiv der Theo¬
dor Kramer Gesellschaft. C.P.

Anmerkungen

1 Sir Nevile Bland war von 1938 bis 1948 britischer Botschafter in den
Niederlanden. Am 30. Mai sprach er in einer Radiosendung von den
Gefahren, die von deutschen und österreichischen vermeintlichen „Fifth
Columnists“ ausgehen wiirden [,,Be careful at this moment, how you put
complete trust in any person of German or Austrian connections.]. Zitiert
nach: Francois Lafitte: The Internment of Aliens [1940]. London: Libris
1988, S. 173.

2 Die „protected areas“ umfassten das gesamte Küstengebiet Großbri¬