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tanniens, das am 12. Mai 1940 von allen Enemy Aliens geräumt wurde.
Darüber hinaus galten für Ausländer Reisebeschränkungen, sie waren
meldepflichtig bzw. mussten Arbeits- und Wohnungswechsel in einem
„registration book“ vermerken. Am 15. und 16. Mai folgte dann die Inter¬
nierung der rund 2000 als Kategorie B eingestuften Männer, und nach der
Überprüfung durch das „Aliens Advisory Commitee“ wurden auch 3000
Frauen der Kategorie B, gemeinsam mit ihren Kindern, interniert. Im Juni
kam es schließlich zum „general round up“, bei dem 13.000 Personen der
Kategorie C interniert wurden. Zu den Kategorien siehe die Erläuterungen
in Anmerkung 3. Vgl.: Siglinde Bolbecher: Exilbedingungen und Exilkul¬
tur in Großbritannien. Eine Einleitung. In: Literatur und Kultur des Exils
in Großbritannien, Zwischenwelt 4, 1995, 25.

3 Bereits Mitte 1939 wurden in Großbritannien zur Überprüfung aller
Ausländer über 16 Jahren und der Entscheidung über ihre Internierung
bei möglicher „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und bei Verteidi¬
gungsmaßnahmen“ 112 Tribunale unter dem Vorsitz je eines Juristen ge¬
bildet, welche die Einteilung in drei Kategorien vornahmen: Kategorie A
waren „staatsgefährliche Personen“, die sofort interniert wurden, Kategorie
B gehörten jene an, die als Sicherheitsrisiko gewissen Beschränkungen un¬
terworfen waren, die aber vorerst nicht interniert wurden. Der Großteil
der EmigrantInnen wurde hingegen als Kategorie C, als „der britischen
Sache freundlich gesinnt“, eingestuft. Die Zuteilung zu einer Kategorie
wurde vielfach als willkürlich empfunden, oftmals waren politische Res¬
sentiments dafür verantwortlich, dass etwa SpanienkämpferInnen, Kom¬
munistInnen und engagierte AntifaschistInnen von der Internierung be¬
droht waren. Vgl.: Siglinde Bolbecher: Exilbedingungen und Exilkultur in
Großbritannien, 24f.

4 Warth Mills in Bury (rund 13 Kilometer nördlich von Manchester) war
eines der größten, und Berichten ehemaliger Internierter zufolge wohl auch
eines der schlimmsten Internierungslager in Großbritannien.

5 Warth Mills war eine 1891 erbaute Baumwollspinnerei, in der 1911
46.000 Spindeln und 500 Webmaschinen in Betrieb waren. Es kann da¬
her angenommen werden, dass es sich um die Überbleibsel von Spinn- und
Webmaschinen handelte.

6 Die Schließung aufgrund hygienischer Mängel kann durch andere Quel¬
len nicht bestätigt werden, viel wahrscheinlicher hängt sie mit dem allge¬
meinen Niedergang der englischen Baumwollindustrie nach dem Ersten
Weltkrieg zusammen, es kam zur Schließung zahlreicher Baumwollspin¬
nereien. Auch Warth Mills wurde Mitte der 1930er Jahre aufgelassen und
blieb bis zu seiner Verwendung als Internierungslager im Jahr 1940 unge¬
nützt und dem Verfall überlassen. Vgl.: Sven Beckert: King Cotton. Eine
Geschichte des globalen Kapitalismus. C.H. Beck: München 2014.

7 Rudolf Olden (1885 — 1940), in Stettin geboren, war Rechtsanwalt und
Journalist, schrieb u.a. für das „Berliner Tageblatt“, „Die Weltbühne“,
bekannt als Verteidiger Carl von Ossietzkys. Die Broschüre „Hitler der
Eroberer, Entlarvung einer Legende“ veröffentlichte er 1933 anonym in
Prag (gedruckt 1935 in Amsterdam). 1940 verließ er mit seiner Ehefrau
Ika Halpern Großbritannien, um an der New Yorker School for Social Re¬
search zu lehren, das Schiff wurde von deutschen U-Booten versenkt. Vgl.
Ingo Müller: „Olden, Rudolf“ in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999),

Joseph P. Henderson (Hecht)
Meine erste Weltreise

Mini Memoires — Auszüge

Josef Otto Hecht kam 1922 in Wien als Sohn jüdischer Eltern zur Welt,
wuchs in bürgerlichen Verhältnissen in der Josefstadt auf, besuchte dort
das Realgymnasium und später eine technische Fachschule. Der „An¬
schluss“ bereitet seiner Ausbildung ein vorzeitiges Ende. Wenige Tage
nach dem Novemberpogrom konnte er nach England ausreisen, seine
Eltern blieben zurück. In London arbeitete Josef Hecht in einer Au¬
towerkstatt, bis er, nach dem Kriegseintritt Großbritanniens, zum
„feindlichen Ausländer“ erklärt wurde. Hier setzt der Auszug aus sei¬
nem autobiographischen Bericht ein.

Gerüchte über deutsche Spione, die in Zivilkleidung [über England]

S. 505 f. [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/
pnd118915363.html#ndbcontent

8 Es dürfte sich hier um die Operation Grasp gehandelt haben, bei der am
3. Juli 1940 die in britischen Häfen liegenden französischen Schiffe durch
die Royal Navy gekapert wurden, um den Zugriff der Achsenmächte auf
die Flotte zu verhindern.

9 Der Westfeldzug begann am 10. Mai 1940, am 14. Juni wurde Paris
kampflos besetzt. Am 18. Juni bildete Philippe Petain als neuer Minis¬
terpräsident eine Regierung, am 22. Juni wurde der Waffenstillstand mit
Deutschland geschlossen.

10 Wahrscheinlich meint Pollak hier die „Bekennende Kirche“, eine Grup¬
pierung innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland, die sich ge¬
gen die Gleichschaltung der Kirche mit dem Nationalsozialismus gebildet
hatte.

11 Die SS Arandora Star war am 1. Juli 1940 mit italienischen und deut¬
schen Internierten sowie einigen deutschen Kriegsgefangenen an Bord von
Liverpool in Richtung Kanada aufgebrochen. Das Schiff war ohne Eskorte
unterwegs und wurde am Morgen des 2. Juli von einem deutschen U-Boot
torpediert. Etwa die Hälfte der Passagiere, über 800 Menschen, kam dabei
ums Leben.

12 Bruno Ahrends (1878 — 1948), deutscher Architekt, geboren als Bruno
Arons in Berlin.

13 Hans Rothfels (1891 — 1976), nicht unumstrittener deutscher Histori¬
ker, der nationale bzw. nationalistische Konzeptionen vertrat. Vgl. Wolf¬
gang Neugebauer: „Rothfels, Hans“ in: Neue Deutsche Biographie 22
(2005), S. 123-125 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biogra¬
phie.de/pnd118749943.html#ndbcontent

14 Emil Goldmann (1872 — 1942), geboren in Karlsbad, studierte in Wien
Rechtsgeschichte, Altertums- und Volkskunde.

15 Robert Eisler (1882 — 1949), in Wien geborener Kunst- und Kultur¬
historiker, 1938 in Dachau und Buchenwald interniert, Emigration nach
Grofbritannien, spater Lektor an der Universitat Oxford.

16 Das „Stacheldraht-Kabarett“ wurde von Peter Herz im Internment
Camp Hutchinson gegründet und ab Mitte 1941 als Blue Danube Club
in London, ebenfalls unter der Leitung des Gründers Peter Herz, bis 1954
weitergeführt.

17 Erläuterungen zu den Kategorien in Anmerkung 2.

18 John Anderson (1882 — 1958) war von September 1939 bis Oktober
1940 britischer Innenminister.

19 Hier ist vermutlich Osbert Peake (1897 — 1966) gemeint, seit 3. Septem¬
ber 1939 Unterstaatssekretär im Innenministerium.

20 Diese Änderung wurde ab August 1940 durchgesetzt, zudem wurde
eine Art Selbstverwaltung innerhalb der Lager akzeptiert. Mithilfe der
Emigrantenorganisationen konnten nun vermehrt Bücher, Zeitschriften
und Geld in die Lager gebracht werden. Vgl.: Siglinde Bolbecher: Exilbe¬
dingungen und Exilkultur in Großbritannien, 26.

21 Lingfield ist eine Kleinstadt der Grafschaft Surrey in South East Eng¬
land. Das Lager fungierte zunächst als Internierungslager für Enemy Ali¬
ens, später als Kriegsgefangenenlager für italienische Kriegsgefangene

abgesprungen waren, häuften sich. Unfairer Weise trugen sie keine
großen „Deutscher Spion“ -Abzeichen. Schrecklich unsportlich,
oder nicht? Aus unterschiedlichsten Gründen, teilweise wohl um
die Menschen angesichts der Flüchtlinge mit deutschem Akzent,
von denen man wusste, dass sie aus Deutschland und Österreich
kamen, zu beruhigen, wurde entschieden alle Männer im Alter
zwischen 16 und 65 Jahren, die einen deutschen oder italienischen
Pass hatten, zu internieren. Sogar das wurde nicht auf vernünftige
Weise durchgeführt: Eine Anzeige wurde veröffentlicht (im Daily
Telegraph zumindest), die verkündete, dass diese Maßnahme am
folgenden Tag in Kraft trete, und gewährte so Jedermann mit bö¬
sen Absichten 24 Stunden, um unter zu tauchen. In der Tat erschien
einen Tag nach der Zeitungsnachricht ein höflicher Bobby vor der
Haustüre, fragte nach mir und hieß mich ihn auf die örtliche Poli¬
zeistation zu begleiten. Dort traf ich auf eine Gruppe anderer, denen

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