satzungszone lagen, wurden schon im August 1942 antisemiti¬
sche Maßnahmen verhängt: das wirtschaftliche Leben und die
Mobilität wurden eingeschränkt, die jüdischen Verbände aufge¬
löst, das Tragen des gelben Sterns obligatorisch.”
Am 22. Februar 1943 beschloss die Regierung in Sofia auf deut¬
sche Aufforderung hin die Deportation von 12.000 Juden aus
den bulgarisch besetzten Zonen in Griechenland und Jugoslawi¬
en. In Tabakfabriken in Kavala, Drama, Komotini, Xanthi und
Serres wurden Aufenthaltslager für die bald zu deportierenden
Juden eingerichtet. In den Morgenstunden des 4. März 1943 wur¬
den ca. 4.500 Juden durch Razzien in der bulgarischen Zone in
Nordgriechenland verhaftet. Daraufhin wurden sie in Lager in
Dupnica und Gorna Dumaja in Südwest-Bulgarien, später zum
Donau-Hafen Lom deportiert. Von dort wurden die Menschen
mit Schiffen nach Wien und danach mit Zügen in das Vernich¬
tungslager Treblinka transportiert. Niemand überlebte.
Die italienische Kapitulation im September 1943, die es den Deut¬
schen erlaubte, ihre Macht auf das ganze Land zu erweitern, stell¬
te aus deutscher Sicht die langersehnte Chance dar, die Endlösung
griechenlandweit umzusetzen. Die Juden in Athen ignorierten den
Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers Jürgen Stroop, dem Be¬
fehlshaber der Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstands,
sich registrieren zu lassen. Denn sie kannten das tragische Schicksal
ihrer Glaubensgenossen in Thessaloniki. Geholfen wurde vielen von
ihnen durch griechische Amtstrager: der wichtigste war Erzbischof
Damaskinos, der seine Priester instruierte, Juden gefälschte Tauf¬
scheine auszustellen. Bemerkenswert war auch die aktive Unterstüt¬
zung von EAM sowie die des Athener Polizeipräsidenten, Aggelos
Evert, der falsche Identitätspapiere ausstellen ließ. Außerdem war die
Flucht des Rabbiners Eliahu Barzilai ein deutliches Signal für alle
Juden in Athen, sich um Flucht und Versteckmöglichkeiten zu be¬
mühen. Mehr als 1500 Menschen konnten sich mit Hilfe von EAM
und der Jewish Agency über Euböa und die Türkei absetzen.
Obwohl die Besatzungsmacht den Registrierungsbefehl mit Sank¬
tionsandrohungen und Anreizen durchzusetzen versuchte, blieb der
Erfolg aus. Daraufhin griffen die Deutschen zu einer List: am 24.
März 1944, dem Vorabend des Pessach-Fests sowie des griechischen
Nationalfeiertags wurde das Gerücht gestreut, dass in der Synagoge
Beth Salom ungesäuertes Brot verteilt würde. Ungefähr 350 arglose
Juden wurden unmittelbar in der Synagoge verhaftet. Später wurden
sie zusammen mit ihren Familien ins Lager Haidari transportiert,
insgesamt 800 Menschen.
Am 2. April 1944 verließ der „längste Todeszug“ Athen in Richtung
Auschwitz.” In diesem 20. Transport aus Griechenland befanden
sich mehr als 4.500 Jüdinnen und Juden, die zur gleichen Zeit in
Patras, Chalkida, Volos, Larissa, Trikala, Arta, Preveza, Ioannina,
Thessaloniki und Kastoria verhaftet worden waren. Von ihnen wur¬
den 80 Prozent nach Ankunft in Auschwitz sofort vergast. In die¬
sem Zug befanden sich auch 175 Jüdinnen und Juden ausländischer
Staatsangehörigkeit aus Athen, die meisten davon mit spanischem
Pass, die in eigenen Wagons fuhren. In Wien wurden sie vom restli¬
chen Zug abgekoppelt und nach Bergen-Belsen gebracht, wo sie bis
zum Ende des Krieges blieben.
Nachdem die Deutschen die Vernichtung der jüdischen Gemeinden
auf dem Festland erreicht hatten, wendeten sie sich den griechischen
Inseln zu. In Korfu wurden am 9. Juni 1944 alle 1.795 Jüdinnen und
Juden der Insel verhaftet. Zuerst wurden sie in das Haidari-Lager in
Athen gebracht und dann am 20. Juni nach Auschwitz deportiert.
Am Tag ihrer Verhaftung hatten in einer gemeinsamen Erklärung
der Provinzgouverneur Komianos, der Polizeipräsident Dedopoulos
sowie der Insel-Bürgermeister Kollias die Verhaftung der korfioti¬
schen Juden aufgrund der finanziellen Vorteile für die Insel lautstark
begrüßt.” Auf Zakynthos hingegen konnten sich alle Jüdinnen und
Juden dank einer Reihe von glücklichen Umständen retten. Am 20.
Mai 1944 wurden auf Kreta 261 Jüdinnen und Juden aus Chania
sowie 19 aus Iraklion verhaftet. Zwei Tage später ordnete der Kom¬
mandant der Festung Kreta, Oswald Bräuer, die Veräußerung des
jüdischen Vermögens an. Zusammen mit 48 christlichen Wider¬
standskämpfern und 112 Italienischen Kriegsgefangenen wurden
die festgenommenen Jüdinnen und Juden per Schiff in Richtung
Piräus gebracht. Am 9. Juni versenkte ein britisches Torpedo die Tanais,
fast alle Passagiere ertranken.
Das ganze Ausmaß des Fanatismus der Nazis, jüdischem Leben
noch im entferntesten Winkel Europas ein Ende zu setzen, zeigt die
Deportation der 1.650 Jüdinnen und Juden von Kos und Rhodos,
damals noch zu Italien gehörend, am 3. August 1944 — kurz vor Ende
der Besatzung und in den letzten Kriegsmonaten. Von der Gemeinde
aus der Insel Kos überlebten 12 Menschen, aus Rhodos 151.
Direkt nach dem Krieg lebten in Griechenland ca. 10.300 Juden
und Jüdinnen. Abgesehen von den tiefen Traumata, welche sie
aufgrund der Erfahrungen in den Todeslagern, der Ermordung
ihrer Lieben sowie des „ohrenbetäubenden Schweigens“ der Mehr¬
heitsgesellschaft spürten, hatten die meisten ihr Vermögen verlo¬
ren. Gleichzeitig war ihre Teilnahme am Nationalen Widerstand
keinesfalls überall ein „Empfehlungsschreiben“ im vom Bürgerkrieg
geplagten Griechenland. Auch der Antisemitismus war eine Hypo¬
thek. Bis 1957 halbierte sich die Zahl der Juden im Lande auf 5.209:
3.550 sind nach Israel ausgewandert, 1.200 in die USA und ein paar
Tausend nach Kanada, Australien, Südafrika und in den Kongo.”
Der Fall Griechenland unterscheidet sich im Vergleich zu ande¬
ren von Nazi-Deutschland besetzten Ländern in Europa in vielerlei
Hinsicht. Besonders markant ist der Umstand, dass die Überlebens¬
chancen wesentlich davon abhingen, in welcher der drei Besat¬
zungszonen die Juden lebten. Einerseits gab es die fast vollstän¬
dige Zerstörung der Gemeinde von Thessaloniki, was durch die
weitgehende Konzentration der Juden Griechenlands auf die Stadt
im Norden begünstigt wurde. Andererseits hatte die jüdische Be¬
völkerung in anderen Teilen des Landes weitaus bessere Überlebens¬
chancen, was sich auch aus der Durchschlagskraft des nationalen
Widerstands erklären lässt.
Maria Vassilikou hat ihre Promotion mit dem Titel „Politics of the
Jewish Community of Salonika in the Interwar Years: Party Ideologies
and Party Competition“ am University College London abgeschlossen.
Sie hat in Deutschland und Großbritannien zur neueren europäi¬
schen und jüdischen Geschichte gelehrt und an zahlreichen Veröffent¬
lichungen in griechischen und internationalen Magazinen u.a. zum
Campbell Pogrom, zum Jüdischen Friedhof von Thessaloniki, zum
jüdischen Bildungswesen in Thessaloniki und zu den griechisch-jü¬
dischen Beziehungen in Odessa und Thessaloniki gearbeitet. Sie ist
Mitherausgeberin des Sammelbandes „Der Ort des Judentums in der
Gegenwart“ (2006) und Autorin eines Beitrags über die Verfolgung
und Ermordung der griechischen Juden in Band 14 der 2017 erschiene¬
nen Publikation „Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden
durch das nationalsozialistische Deutschland, 1933-1944“. Seit Feb¬
ruar 2019 ist sie Mitarbeiterin am Jüdischen Museum Griechenlands.