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Tobsucht und von seiner Vorliebe für „Kanonengebrüll und wie¬
hernder Rosse Getrabe“, das heißt: ich finde das Orchester viel¬
fach viel zu laut, selbst für die mächtigen Singstimmen, über die
er gebietet. Sie geben sich dennoch kund, aber öfter nicht genug
für meinen Wunsch. Damit hängt es auch zusammen, dass mir
nachher die zahllosen Draufgaben Qual bereitet haben — denn
dann tobte auch das Publikum mit Klatschen und Stampfen, fast
unausgesetzt, fast eine Stunde lang, nach drei Stunden Konzert!
Und auf der Bühne stand Theodorakis mit seinen von der schwe¬
ren Arbeit schon halb entgeisterten Partisanen. Und ein Da Capo
folgte dem andern, Theodorakis selbst begann zu singen, allein
und dann zusammen mit den andern, mit und ohne Orchester
schrien sie die Lieder in das allesverschlingende, taktmässige
Applausgestampf. Es war eine politische Demonstration, nie so
gesehen, ungewöhnlich und quälend, erstaunlich und traurig zu¬
gleich, wenn man bedenkt, dass nichts davon nur im Geringsten
bewegt wird, aber im Glauben an Bewegungskraft geschieht! —

Ich sage nichts gegen Theodorakis — er schont sich selbst auch
nicht, sondern reibt sich auf wie ein Narr, wie wir gesehen ha¬
ben; aber mir ist um die herrlichen Sängerinnen leid, oder einfach
darum, dass ich sie nicht genug hörte. Wenn das aber wahr ist,
wovon bin ich dann so gepackt und wovon spreche ich? Doch
wohl von ihrem Gesang; kaum von etwas anderem — also habe

ich ihn doch gehört?! Ja, ich habe ihn gehört! (und dabei, oder:

Heimo Halbrainer

darum steige ich nun selbst wie aus der Erde herauf und sage:
Ich habe Theodorakis mit seinem Orchester und mit seinen
Sängern gehört und gesehen, ich habe ihn schließlich selbst wie
einen Rasenden singen gesehen, nachdem er drei Stunden lang
dirigiert hatte wie ein Rasender. Fast eine ganze Stunde länger
ließ sich der Rasende darüber hinaus von einem unablässig Bei¬
fallrauschenden Publikum festhalten, was Weiterrasen bedeutete.
— Dass ein Mensch das aushält? — Die armen Sänger!! — Aber
vielleicht täusche ich mich in meiner Kleinheit und in den engen
Grenzen, die mir gezogen sind. Tatsächlich wäre noch Vieles zu
sagen, über seine Lieder, über seine Sänger, über seine Mission,
über seine Textdichter, vor allem über Joannes Ritsos, und be¬
sonders über nur eines seiner Gedichte: „Auf eine Cyclame“, mit
dem Refrain: „Cyclame mou, Cyclame mou“ Grossartig, dieses
Kampflied in Gestalt einer Blume und des Sonnenlichts.

Das Konzert fand am 13. Februar 1973 im „Großen Saal“ des Wiener
Konzerthauses statt. Das Ensemble bestand u.a. aus Maria Farandouci.
Mimis Tountas, Antonis Kaioyannis. Veranstalter war Kulturvereinigung
der Jugend / Studio 3/4.

Der Text Michael Guttenbrunners, der hier erstmals veröffentlicht wira,
stammt aus dem Nachlass von Lorenz Gyömörey. Urheberrecht bei Katha¬

rina Guttenbrunner, Jänner 2021.

„Der Inhaber dieses Scheines, der deutsche Soldat der Div. 999,
ist Mitglied der antifaschistischen Organisation der Division und
der EAM Limnos sowie Mitglied der KP.“ ' Ihm sei - so heißt
es in der Legitimation der Bezirksorganisation Limnos der Nati¬
onalen Befreiungsfont EAM weiter — jede notwendige Hilfe sei¬
tens der EAM, der Griechischen Volksbefreiungsarmee ELAS,
des Jugendverbands der EPON und der Kommunistischen Partei
Griechenlands KKE zu erweisen.

Dieser Bestatigungsschein, den Anfang September 1944 mehrere
österreichische und deutsche Soldaten des Strafbataillons 999 auf
der nordägäischen Insel Limnos erhalten haben, ist eines jener
seltenen Schriftstiicke, die den Widerstand von Osterreichern
dokumentieren, die sich dem griechischen Widerstand gegen die
deutschen Besatzer in Griechenland angeschlossen hatten.? Die¬
ser Widerstand von österreichischen Soldaten des Strafbataillons
999, die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen, ist weitgehend
vergessen und kaum aufgearbeitet.’

Aufstellung des Strafbataillons 999

Die Aufstellung eines eigenen Strafbataillons im Jahr 1942 hing
mit dem Kriegsverlauf nach dem Überfall der Wehrmacht auf die
Sowjetunion zusammen. Denn anders als erwartet waren die Ver¬
luste der eigenen Truppen sehr hoch. Daher forderte das Ober¬
kommando der Wehrmacht (OKW) im April 1942, dass mit
Zuchthaus vorbestrafte „Wehrunwürdige“, die ihre Strafe bereits
verbüßt hatten, „ohne eigenen Antrag zwecks Verwendung bei
der fechtenden Truppe zur gnadenweisen Wiederherstellung der
Wehrwürdigkeit“ eingezogen werden sollten.‘ Bereits davor war

„Wehrunwürdigen“ mit einer Vorstrafe bis zu eineinhalb Jahren
Zuchthaus durch eine freiwillige Meldung die Möglichkeit gege¬
ben worden, in das „graue Ehrenkleid des Führers“ zu schlüpfen
und sich „vor dem Feind zu bewähren“.

„Wehrunwürdig und damit ausgeschlossen von der Erfüllung der
Wehrpflicht“ war nämlich laut Wehrgesetz vom 21. Mai 1935,
„wer a) mit Zuchthaus bestraft ist, b) nicht im Besitz der bür¬
gerlichen Ehrenrechte ist, c) den Maßregeln der Sicherung und
Besserung nach $ 42 a des Reichsbürgergesetzbuches unterwor¬
fen ist, d) durch militärgerichtliches Urteil die Wehrwürdigkeit
verloren hat, e) wegen staatsfeindlicher Betätigung gerichtlich
bestraft ist.“ °

Das hieß, dass all jene Männer, die von den Gerichten wegen
politischer oder krimineller Delikte zu mehr als eineinhalb Jah¬
ren Zuchthaus verurteilt worden waren, nicht an die Front gehen
durften bzw. mussten. Dadurch sei „dieser Personenkreis durch
die Nichtheranziehung [zum Kriegsdienst] ... zu ‘Kriegsgewinn¬
lern’ geworden, während die Anhänger der Nationalsozialisten
an der Front ihr Leben einsetzen“, was — wie es in einem Rund¬
schreiben von Martin Bormann aus der Partei-Kanzlei der NSD¬
AP hieß — Anlass zu Kritik gab: „Schon mehrfach haben Gaulei¬
tungen darüber berichtet, dass die Bevölkerung kein Verständ¬
nis dafür aufbringt, wenn Wehrunwürdige einerseits im Kriege
nicht zum Wehrdienst eingezogen, andererseits aber auch nicht
zu besonderen anderen Dienstleistungen herangezogen werden.“
Daher schlug Bormann vor, neben jenen, die ihre Strafe bereits
verbüßt hatten, auch „Wehrunwürdige“ direkt aus dem Straf¬
vollzug in eine Sondertruppe einzuziehen, die auf Grund ihrer
Zusammensetzung ursprünglich „Brigade Z“ heißen sollte. Im
Oktober 1942 wurde schließlich wegen des geplanten Einsatzorts

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