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so Carl Laszlo (A.v. Schönburg, Nachwort,
S.143) . So ist die Rolle des Erzählers in „Fe¬
rien am Waldsee“ aufgeteilt und die Distanz
ermöglicht vielleicht erst ein die Lesenden
Tief-blicken-lassen. Nein, mein Freund, für
uns wäre es schon besser, nicht zu überleben,
sondern wahrhaftig Opfer zu sein. Ich meiner¬
seits möchte nur so lange leben, bis diese Lager
wieder verschwinden. Dann will ich zu denen
hinuntersteigen, zu denen ich schon lange ge¬
höre, die mich nicht missverstehen werden, die
ich treulos verlassen habe, zu den Toten. (S.
86) Der Ambivalenz, die Treulosigkeit der
Überlebenden, wird durch die Ambivalenz
zu Laszlos „altem Freund aus Auschwitz
Aliego“, der „mit seiner grausamen Wirk¬
lichkeitsbesessenheit zu etwas Anziehendem
und gleichzeitig Abstoßendem geworden“
war, zum Ausdruck gebracht.

Eine gewisse Distanz zum Leben, ein sich
der Wirklichkeitsbesessenheit Entgegen¬
stellendes, das aber nicht verleugnet, doch
das das Schuldgefühl, die Toten treulos
verlassen zu haben, nicht vernichtend groß
werden lässt, meint man im Nachwort zu
spüren: Carl Laszlo sei der Überzeugung
gewesen, „dass alles nur Schein, Maya,
wäre, dass das Leben ein einziges gro¬
ßes Bühnenstück sei...“ (Av. Schönburg,
S.145). Nach Kriegsende ging Carl Laszlo
nach Basel; später lebte er unter anderem

auch in New York und unterhielt Freund¬
schaften mit bildenden Künstlern darunter
Andy Warhol oder dem Schriftsteller Wil¬
liam S. Burroughs. Das Leben nach seinem
Uberleben war offenbar eines der Extreme,
der Ekstase, der Ortswechsel. Die „pracht¬
volle Oberfläche“, die „Schönheit“, seien
wesentliche Kriterien für Laszlo gewesen,
so A.v.Schönburg, der mit ihm befreundet
war. In einem eigenartigen Spannungsver¬
hältnis bleibt die Wichtigkeit der Schönheit
und das Schöne, das Carl Laszlo Mengele
wiederholt zuschreibt wie auch den Hunden
der SS, von denen Laszlo angefallen wurde,
das Attribut schön zu Teil wird. A.v.Schön¬
berg zitiert im Nachwort Rilke: „Denn
das Schöne ist nichts als des Schrecklichen
Anfang, den wir noch grade ertragen.“ Die
suggerierte Schönheit eines stillen Wald¬
sees — ist sadistischste Nazi-Farce, denn
die Postkarten, die die Verschleppten vom
Konzentrationslager aus ihren Verwandten
schicken mussten, trugen den Poststempel
„Ferien am Waldsee“. Carl Laszlo schreibt
im Vorwort: „Man kann sich zu dem Wald¬
see so hingezogen fühlen, dass man jährlich
zu ihm zurückkehren muss wie zu einem
Familiengrab; nur droht er den Weg zum
Meer zu versperren.“

„Aber was so unverstanden geblieben ist,
das kommt wieder; es ruht nicht, wie ein

Das Buch versammelt 120 Briefe und Post¬
karten an 43 Adressaten, aus elf Archiven
und einer Privatsammlung, viele davon sind
erstmals veröffentlicht. Sie dokumentieren
Zweigs „jüdische Sensibilität“, die Mark
H. Gelber in vielen Publikationen erläutert
hat, wie die Einleitung festhält, und seinen
Scharfsinn in vielen seiner Kommentare.

In einem (erstmals veröffentlichten) Briefan
den Verleger Ben Huebsch schreibt Zweig
im März 1933: „Es handelt sich in Deutsch¬
land jetzt um eine völlige materielle und
moralische Vernichtung des Judentums
[...].“ An den Schriftsteller Rudolf Kayser
schreibt er ebenfalls 1933 voll Resignation:
„was ein Jude heute tut, ist immer falsch.“
Über Zweigs geplantes Manifest der
Schriftsteller enthält der Band neue De¬
tails in den Korrespondenzen mit Felix
Salten und Chaim Weizmann.

Ein wichtiges Dokument ist auch Zweigs
Brief 1935 an Soma Morgenstern über des¬
sen Roman Der Sohn des verlorenen Sohnes.
In einem Brief von 1937 an den Rabbi¬

ner Alfred Wolf, der eine Studie über den
Schriftsteller geplant hatte, nennt Zweig
den Zionismus „eine der glücklichsten und
bestärkendsten Ideologien innerhalb des
Judentums, die ungeheuer viel zur Erneue¬
rung der Idealität beigetragen hat. [...] Ich
glaube, dass das Jüdische und das Mensch¬
liche doch immer identisch bleiben muss,
und jede Überheblichkeit und gewaltsame
Absonderung des Judentums [...] halte ich
für eine große moralische Gefahr.“
Anfang März 1938 schrieb Zweig an Sig¬
mund Freud: „Sie haben uns durch Ihre
menschliche Haltung nicht minder gehol¬
fen als durch Ihr Werk [...].“

Nach dem „Anschluss“ nannte er in einem
Briefan Arnold Zweig das Geschehene ei¬
nen „mörderischen Hieb [...] die Wiener,
die österreichischen Juden waren ja viel
homogener in ihrer Struktur als die deut¬
schen, sie gehörten dazu, sie hatten diese
Stadt Wien geformt und mitgeschaffen.“
Bedauerlich ist, dass bei Marek Scherlag

im Unterschied zu den meisten anderen

Karin Hanta absolvierte in Wien ein
Dolmetschstudium und übersetzte unter
anderem die Erinnerungen von Marta
Blend, die Briefe von Stefan und Lotte
Zweig aus Südamerika und die Studie
Zionismus und Antisemitismus im Dritten

72 __ZWISCHENWELT

Reich von Francis R. Nicosia aus dem Eng¬
lischen. Als publizistische Mitarbeiterin
des Austrian Forum in New York hatte sie
in den neunziger Jahren viel Kontakt mit
österreichischen ExilantInnen. Seit 2011
lehrt sie Ubersetzungswissenschaften am

unerlöster Geist, bis es zur Lösung und Er¬
lösung gekommen ist.“ (Sigmund Freud.
G.W., VI, S.355) Ein in der Psychoanalyse
zentrales Phänomen, das auch Ruth Klü¬
ger ansprach, ist der Wiederholungszwang,
der uns immer wieder an den Anfang des
Schrecklichen zurückbringt, auf dass et¬
was in uns zur Ruhe komme und gleich¬
sam auf dass etwas in uns nie zur Ruhe
komme. „Behaupte was!“ sei eine häufige
Aufforderung Carl Laszlos an seine Gäste
gewesen. Ruth Klüger forderte: „Werdet
streitsüchtig, sucht die Auseinanderset¬
zung!“ (Ruth Klüger: weiter leben. Eine
Jugend. Göttingen 1992, S.178)

Lisa Emanuely

Carl Laszlo: Ferien am Waldsee.
DVB-Verlag 2020. 160 S. € 22,¬

Wien:

CARL LASZLO (1923 — 2013) wuchs im
ungarischen Pecs auf. 1944 wurde er mit
seiner gesamten Familie nach Auschwitz de¬
portiert. Der größte Teil seiner Familie wur¬
de ermordet. Carl Laszlo, der in mehrere
Konzentrationslager, darunter Auschwitz,
Sachsenhausen und Buchenwald verschleppt
wurde, überlebte. Nach Kriegsende lebte er
in Basel. Er war als Kunsthändler (Mitbe¬
gründer der Art Basel), Psychoanalytiker,
Sammler und Literat tätig.

Adressaten die Lebensdaten und knap¬
pen biographischen Angaben fehlen, ob¬
wohl diese leicht eruierbar wären, befindet
sich doch sein Nachlass in den Central
Zionist Archives. Ebenso bei Abraham
Schwadron. Auch das Wort Predigt, das
Zweig verwendet, wird nicht erläutert. Es
bezieht sich auf Schwadrons Buch Mau¬
schel-Predigt eines Fanatikers. Beim Brief
an seinen Vetter Egon Zweig 1932, in dem
Stefan Zweig die Absage seiner geplanten
Ägypten- und Palästina-Reise mit „De¬
visenplackereien“ begründet, wird in den
Erläuterungen Egon mit Arnold Zweig
verwechselt. Stefan Litt, der Herausgeber,
ist als Archivar in der Israelischen Natio¬
nalbibliothek zuständig für deutschspra¬
chige Sammlungen und Nachlässe.

E.A.

Stefan Zweig: Briefe zum Judentum. Hg.
von Stefan Litt. Berlin: Jüdischer Verlag im
Suhrkamp Verlag 2020. 295 5. € 24,70

Middlebury College in den USA.

In ihrer nun als Buch vorliegenden mate¬
rialreichen Dissertation beschreibt sie das
Werk und die Rezeptionsgeschichte der
ExilautorInnen Carl Djerassi, Eva Kol¬
lisch, Jakov Lind, Frederic Morton, Doris