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Orgel und Lore Segal. Den Schwerpunkt
der Analysen legt sie auf die Übersetzun¬
gen und die Wirkung der Bücher in den
USA. Sie interviewte neben den Autoren
auch die Übersetzerinnen und resümiert:
Alle „waren sich bewusst, dass sie aufgrund
ihres Übersetzungsprojekts einen wichtigen
Beitrag zur österreichischen Erinnerungs¬
kultur leisteten.“ So berichtet Susanne
Costa-Krivdic, dass sie Mortons Fehler in
Bezug auf die Wiener Geschichte verbes¬
serte und die Gymnasialprofessorin Astrid
Berger, die Eva Kollischs Der Boden unter
meinen Füßen übersetzte, bezeichnet die

Arbeit als „love’s lavor“. Weitere Interviews
führte sie mit Diplomaten und Vertretern
staatlicher Institutionen, unter ihnen Peter
Marboe und Kurt Scholz. Hanta beschreibt
auch ausführlich das Engagement der Iheo¬
dor Kramer Gesellschaft und der Österrei¬
chischen Exilbibliothek im Literaturhaus
für die österreichische Exilliteratur. Zwei
kleine Fehler sind zu korrigieren. Die Zeit¬
schrift Das jüdische Echo wurde 1952 und
nicht 1959 gegründet; Elisabeth Ehrlich,
eine Autorin der Zwischenwelt, heißt Edith
Ehrlich. Die Autorin beendet das Buch mit
dem Plädoyer, die von ihr analysierten au¬

tobiographischen Bücher und ihre Überset¬
zungen zu lesen: „Lesen bedeutet Freiheit,
Freiheit von Unwissen, Unwissen über eine
Zeit, die niemals in Vergessenheit geraten
darf. Dieses Wissen gibt Leser_innen auch
Antrieb — gegen Vorurteile und das daraus

resultierende Unrecht klar aufzutreten.“
E.A.

Karin Hanta: Zurück zur Muttersprache.
Austro-amerikanische SchriftstellerInnen im
österreichischen literarischen Feld. Wien:

Mandelbaum Verlag 2020. 336 S. € 29,¬

Der in München geborene Historiker Tim
Corbett hat als Fellow des Wiener Wiesent¬
hal Institutes die erste Gesamtgeschichte der
Wiener jüdischen Friedhöfe geschrieben. Ent¬
standen ist eine materialreiche und sorgfältig
gearbeitete Studie. Corbett hat im Archiv der
Israelitischen Kultusgemeinde recherchiert
und sich in die Geschichte der Gemeinde
eingelesen. Ernst Feldsberg, der langjährige
Leiter der Friedhofsabteilung der IKG nach
1945, nannte die Friedhöfe steinerne Archi¬
ve. In der Geschichte der Friedhöfe spiegelt
sich auch die Geschichte der Gemeinde und

ihrer Mitglieder. Corbett hat sich auch mit
der jüdischen Begräbniskultur auseinander¬
gesetzt und für sein Buch einige hebräische
Grabinschriften übersetzt. Im Kapitel über
die NS-Zeit beschreibt er das Schicksal des
jüdischen Friedhofs in Währing und die
geplante Zerstörung des jüdischen Teils des
Zentralfriedhofs. Bemerkenswert ist, dass er
auch die Literatur in seinen Blick einbezieht;
er zitiert aus Gedichten von Ernst Waldinger,
Alfred Werner, Ilse Aichinger und dem Ro¬
man Letzter Wunsch von Vladimir Vertlib.
Nur auf zwei kleine Irrtümer ist hinzuwei¬

Das Wiener jüdische Museum zeigt im Som¬
mer/Herbst 2021 im Haupthaus in der Do¬
rotheergasse die Ausstellung „Jedermanns
Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele“. Im
Begleitband, herausgegeben von Marcus G.
Patka und Sabine Fellner, enthüllt Georg
Gaugusch in seinem Beitrag über Hugo
von Hofmannsthals jüdische Vorfahren ein
faszinierendes Detail der Wiener jüdischen
Geschichte. Primavera Driessen Gruber
beschreibt anhand des Autogrammalbums
von Mimi Gruder-Guntram, der "Tochter
des Impresarios jüdischer Herkunft Hugo
Gruder-Guntram, aus ihrer jahrelangen For¬

Georg Tidl

schung zahlreiche unbekannte Biografien
im Kontext der Festspiele. Weitere Beiträge
befassen sich mit den Schicksalen jüdischer
Förderer, Musiker und Schauspieler der
Festspiele, mit ihrem Exil und der Rück¬
kehr nach 1945 und dem Antisemitismus
in Salzburg. Auch der Begleitband zur vor¬
herigen Ausstellung des Museums „Die
Wiener in China. Fluchtpunkt Shanghai“,
herausgegeben von Daniela Pscheiden und
Danielle Spera, über rund 6000 österreichi¬
sche Juden und Jüdinnen, die in der NS-Zeit
nach Shanghai flüchteten, ist eine wichtige
Publikation zur Exilkultur. Der Band ent

Solidarität unter Müttern: Eine Palästinen¬
serin wurde nach einem Unfall mit mehreren
Knochenbrüchen in ein Spital in Jerusalem
gebracht. Ein vier Monate altes Baby schrie
stundenlang vor Hunger, wollte aber kein
Fläschchen nehmen, wie die Hadassah-Klinik
am Donnerstag mitteilte. Daraufhin habe eine
(jüdische) Krankenschwester nach Erlaubnis
durch die Tante des Babys das Kind kurzer¬
hand an die Brust gelegt und gestillt. Jael Co¬
hen hat selbst ein einjähriges Kind, das sie stillt.
Die Tante dankte Cohen erleichtert: Nicht jede
Frau hätte das getan, es ist nicht leicht, ein
Kind zu stillen, das nicht das eigene ist.

Eine gute Geschichte über das Gute im

Menschen. Eine sehr gute Geschichte. Einer
österreichischen Tageszeitung 101 Worte
wert. In anderen Zeitungen ist diese Ge¬
schichte gar nicht erst erschienen. Kein Zu¬
fall. Das Gute hat keine Lobby. Für die Re¬
ligion-Institutionen ist immer das gut, was
sie selbst unter gut verstehen. Die Wirtschaft
braucht keine guten Menschen, sondern er¬
folgreiche einerseits und willige Käufer an¬
dererseits. Die Parteien schieben die Guten
zuerst an ihren politischen Rand, von dem
sie sie dann gerne ins Nichts fallen lassen.
Und die modernen Pädagogen verlangen
von den Schülern vor allem gutes Beherr¬
schen des Computers. Wäre jemand anderer

sen. Hugo Bettauer war nicht Chefredak¬
teur, nur Mitarbeiter der Neuen Freien Presse
und Guido Fuchsgelb war Amtsdirektor,
nicht Friedhofsamtsdirektor der IKG. Als
Forschungsdesiderate nennt Corbett die Ge¬
schichte der jüdischen Provinzfriedhöfe und
die kultur- und kunstgeschichtliche Erfassung
des jüdischen Teils des Zentralfriedhofs.

E.A.

Tim Corbett: Die Grabstätten meiner Väter.
Die jüdischen Friedhöfe in Wien. Wien, Köln,
Weimar: Böhlau Verlag 2020. 1041 S. € 83,¬

hält Beiträge zum Exiltheater, zu Musik,
Sport, Kunst, zu den Freimaurern und er
dokumentiert einzelne Familiengeschichten.
Am Judenplatz zeigt das Museum bis No¬
vember Fotos des jüdisch-sowjetischen Foto¬
grafen Jewgenij Chaldej von den Tagen der
Befreiung Wiens im April 1945. Im Begleit¬
band, herausgegeben von Erich Klein und
Marcus G. Patka, ist über das Überleben
in Wien nach 1945 und über die Eröffnung
der Wiener Universität mithilfe der Roten
Armee durch Kurt Schubert nachzulesen.
E.A.

Meinung und forderte sogar ein Schulfach
etwa mit dem Titel „Förderung des Guten
im Menschen‘, sperrten ihn die Mächtigen
im Land in die Schublade „Irre und Wirre!“
Kein Wunder also, dass sich wenige freiwil¬
lig als Gutmenschen bezeichnen. Kommt
doch diese Menschenart in der Minus-Skala
der Öffentlichkeit oft gleich nach den Arsch¬
löchern.

„Das Gute — Mappe der Menschlichkeit“
— September Nummer 1958. Eine einzige
Nummer - ein Zufallsfund aus dem Archiv.
Billiges Papier. A 5 Format. Acht Seiten. Kei¬
ne Bilder. Vor allem keine Annoncen. Wäre
heute undenkbar. Der Titel „Das Gute“

September 2021 73