gers auf. Seinen tiefen Weltekel hat Rimbaud verdichtet, tiefen
Ekel soll man verspüren, wenn man an die Schlacht von Sedan
erinnert wird, an die Raben, die die Leichen fressen. Der Film
war für Troller ein Versuch, den für ihn „rätselhaftesten und
faszinierendsten Menschen“ zu porträtieren, dessen Gedichte
seine Jugend begleitet hatten.
Rimbaud wurde kurz vor seinem Tod wegen seiner Erkran¬
kung ein Bein amputiert. In der Schlussszene von Trollers
Film sieht man in einer der seltenen Totaleinstellungen ei¬
nen einbeinigen Bewohner von Charleville durch seine Stadt
gehen. Vor wenigen Jahren haben die Kinder dieses Mannes
Georg Stefan Troller kontaktiert, weil sie Film und Vater im
Fernsehen gesehen haben. Sie baten um eine Kopie. Doch
Georg Stefan Troller besaß keine Kopie. So machten sich er
und seine Tochter Fenn auf die Suche. Sie wurden, zur großen
Freude der Charleviller Familie, aber auch des Rimbaud-Mu¬
seums in Charleville-Méziéres, wo der Film nun in der Dauer¬
ausstellung zu sehen ist, fündig.
Aus dem Französischen von Georg Stefan Troller
Ich zog dahin, die Fäuste in kaputten Taschen vergraben,
Mein Überzieher war auch nicht mehr überzuziehn.
Ich ging unterm Himmel, Muse, und war dein Paladin:
Oh la la, was für tolle Liebesträume wir haben!
Meine einzige Hose war von Löchern ganz flau.
Träumender Däumling, ließ ich mich wandernd bescheren
Von meinem Reimen. Mein Hotel war zum Großen Bären,
Meine Sterne am Himmel knisterten süß im Blau.
Und ich lauschte ihnen, hockend am Rand der Chausseen,
Diese milden Septembernächte, wo Tautropfen stehen
Auf deiner Stirne, wie ein stärkender Wein.
Wo, reimend inmitten phantastischer Schattensprenkel
Ich, wie Leierseiten, zupfte die Senkel
Meiner verwundeten Schuhe, gegen mein Herz ein Bein.
Wenn die Stirn des Kindes, von roten Qualen zerbissen,
Erfleht der undeutlichen Träume Schimärenland,
Dann nahn sich zwei hohe Zauberschwestern den Kissen
Mit Silbernägeln an der zartbefingerten Hand.
Sie setzen das Kind vor eines der Fenster, weit offen,
Sodaß durch die blaue Luft die Blumengewühle herüberwehn.
Und durch seine schweren Haare, von Tau durchtroffen,
Wandern die feinen Zauberfinger, schrecklich und schön.
Als „voice over“ trug Troller Rimbauds Gedichte vor. Da ihm
die vorhandenen Übersetzungen nicht wirklich zusagten,
übertrug er jene Gedichte, die er für seinen Film brauchte,
kurzerhand selbst ins Deutsche. Übersetzt und mit einer Her¬
mes Baby zu Papier gebracht wurden „Ma Boh&me“ (Mein
Wanderleben), „Les Chercheuses de poux“ (Die Läusesuche¬
rinnen), „Le Mal“, (Das Böse), „Le pauvre songe“ (Der arme
Traum), „Les corbeaux“ (Die Raben); „Le coeur vol&“ (Das
Herz des Hanswurst), „Morts de Quatre-Vingt-Douze et de
Quatre-Vingt-Treize“ (Tote von zwei- und dreiundneuzig),
„Larme“ (Träne), „Chanson de la plus haute tour“ (Lied vom
höchsten Turm), „Lesprit“ (Der Geist), „Eternite“ (Ewigkeit),
„O saison, ö chäteaux“ (O Schlösser, o Lebenszeit), „Honte“
(Schande). Als Skizzen soll es laut Troller jedoch noch mehr
übersetzte Gedichte geben.
Und die für den Film 1971 übersetzten Gedichte werden nun
erstmals in ZW abgedruckt.
Er horcht ihrer ängstlichen Atemzüge Vorüberwischen
Mit Duft von Pflanzen und rosigem Honigerguß,
Die zeitweise unterbricht scharfeingezogenes Zischen
Auf Lippen zurückgehaltener Gier nach dem Kuß.
Er hört in der duftenden Stille der Wimpern Schatten
Sich senken, ihre elektrischen Finger ziehn knisternd aus,
Und befördern - in seiner Schlaffheit grauem Ermatten ¬
Mit majestätischen Nägeln den Tod jeder kleinen Laus.
Da steigt in ihm hoch der Wein der Benommenheiten,
Gestöhn von Harmonikatönen, delirienbang:
Das Kind verspürt, im Ersehnen der Zärtlichkeiten
Aufquellen und wieder entgleiten der Tränen Drang.
Während der rote Feuerschlund der Kanone
Tagelang durch den unendlichen Himmel dröhnt,
Und, scharlach oder grün, in Massen die Bataillone
Hinbrechen vor dem König, der ihrer höhnt;
Während grauenvolle Irrsinnsbefehle zerschmettern
Einhunderttausend Menschen zu dampfendem Brei,
- Arme Tote! Der Sommer, in Freude, in deinen Blättern
O Natur! Die wollte, daß ihre Menschwerdung heilig sei! ¬
Gibt's einen Gott, der lacht über die damastenen Decken
Seiner Altäre, den Weihrauch, die großen goldenen Becken,
Der einschläft, wenn die Gemeinde wiegend Hosianna singt,
Und erst erwacht, wenn ein Mütterchen, vor Angst zerbrochen,
Schluchzend in ihre schäbige schwarze Haube verkrochen
In ihr Schnupftuch gewickelt ihm einen Batzen bringt.