Der Schriftsteller Franzobel betrachtet aus sicherer Entfernung
das blutige Gemetzel in der Ukraine und ist entsetzt. Doch er
hat, Gott sei gelobt, auch gleich einen Ratschlag zur Hand. Ei¬
gentlich ganz einfach: Die Ukraine solle kapitulieren, eine Exil¬
regierung bilden und auf besseres Wetter hoffen. Warum sind wir
nicht schon längst darauf gekommen?
Nun könnte man freilich die Frage stellen, ob dieser Ratschlag
wirklich so klug ist, vor allem aus Sicht der Ukraine? Was wäre
gewesen, wenn die Alliierten auf Hitlers Erpressungen und An¬
griffskriege so reagiert hätten, wie Franzobel das jetzt den Uk¬
rainern empfiehlt: Kapitulieren, auch auf die Gefahr hin, dass
ihr Land „kurzfristig von den Landkarten verschwinden“ würde.
Hitler hätte sich die Hände gerieben, und wer weiß, vielleicht
würden heute noch Hakenkreuzfahnen über der Hofburg, dem
Brandenburger Tor, dem Eiffelturm und anderen europäischen
Wahrzeichen wehen. Doch Franzobel denkt nicht in historischen
Kategorien, die sind ihm offenbar fremd.
Eine Frage sei in diesem Zusammenhang noch erlaubt: Worauf
stützt Franzobel seine Ansicht, dass die Ukraine im Fall einer
Kapitulation nur „kurzfristig“ von den Landkarten verschwinden
würde? Da hat er anscheinend seinen Putin nicht aufmerksam
gelesen, denn von „kurzfristig“ ist bei Putin nirgends die Rede.
Im Gegenteil. Er spricht der Ukraine unverblümt jedes Existenz¬
recht ab, das Land, das er als solches gar nicht anerkennt, soll für
immer von den Karten getilgt werden, samt seiner Kultur und,
auf längere Sicht, samt seiner Sprache.
Putin macht gar keine Anstalten, diese mörderischen Absichten
zu verschleiern, sie in lügnerische Watte zu verpacken, er hat alle
Hüllen abgeworfen und präsentiert sich so, wie er eigentlich im¬
mer schon war: ein skrupelloser, vor keiner Grausamkeit, keiner
Vernichtung von Menschenleben, Alte, Frauen und Kinder mit¬
eingeschlossen, zurückschreckender Kriegsherr, der nur die rohe
Gewalt kennt. Wer heute noch glaubt, mit Putin verhandeln, ihn
zur Einsicht bewegen zu können, weil er doch am Ende ein ra¬
tional denkender, zu Einsichten fähiger Politiker ist, der ist ent¬
weder blind oder zynisch, oder, noch schlimmer, beides zugleich.
Ich will einmal davon ausgehen, dass Franzobel zu den Blinden
gehört, zu den Ahnungslosen, die jetzt das Wort ergreifen und
irgendetwas daherplappern, um ein Stückchen Aufmerksamkeit
zu erhaschen. Das ist ihm ja nun gelungen. Allerdings verraten
seine Ausführungen nicht nur fundamentales Unwissen, sondern
auch ein gerütteltes Maß an Niedertracht.
So etwa, wenn Franzobel die ukrainischen Verteidiger unter¬
schiedslos in einem Atemzug mit den russischen Angreifern
nennt — „sollen sich diese Reserve-Rambos gegenseitig das Rest¬
gehirn wegpusten“ — und obendrein den ukrainischen Präsiden¬
ten persönlich angreift, indem er ihn als fragwürdige Figur dar¬
stellt: ein Schauspieler, der schon einmal in einer Fernsehserie
seine Rolle als Präsident gespielt hat. Oh Gott! „Was das über das
Wesen der Demokratie sagt“, so Franzobel unheilschwanger, „sei
dahingestellt“.
Das führt er nicht weiter aus, weshalb wir nicht erfahren, was
so schlimm daran sein soll, dass Selenskyi Schauspieler war und
einmal einen Präsidenten gespielt hat. Warum soll ihn das für
das Amt disqualifizieren? Meines Erachtens ist die Ukraine um
ihren Präsidenten zu beneiden, er beweist in dieser katastropha¬
len Situation eine Größe, die vielen seiner europäischen Amtskol¬
legen gut anstehen würde.
Gegen Ende seiner Ausführungen bringt Franzobel noch ein
Bild, das uns, im fernen, sicheren Österreich sitzend, in die Rolle
von Eltern versetzen soll, „die zusehen, wie der kleinere Bruder
dem aggressiveren größeren die Nase blutig schlägt, aber ... nicht
eingreifen, wenn sich dieser unbarmherzig rächt“.
Im Ernst jetzt? Der Kleinere hat also die Auseinandersetzung be¬
gonnen, indem er dem Größeren die Nase blutig schlug. Da darf
sich niemand wundern, wenn sich dieser gnadenlos rächt. Selber
schuld.
Franzobel bemüht hier die Täter-Opfer-Umkehr, die traditio¬
nell zum rhetorischen Repertoire Putins gehört. Die Ukraine,
beherrscht von mit Drogen zugedröhnten Nazis, war drauf und
dran, das friedliche Russland zu überfallen, das sich naturgemäß
zur Wehr setzen muss.
Dass ein bekannter österreichischer Autor solche verlogenen
Argumente übernimmt und sich damit als Apologet eines skru¬
pellosen Diktators und Schlächters outet, ist so schändlich wie
dumm. Franzobel sollte sich schämen für diesen Text.