dem Krieg in Kopenhagen eine Familie. Kori sah Klara nur einmal,
als sie in den sechziger Jahren in die USA reiste. Wann und wie die
anderen Mädchen Wien entflohen, weiß Klara Calitri nicht. Zeit
zum Abschiednehmen gab es nicht. „Man verliert seine Heimat.
Das ist eine große Sache“, bemerkt sie nachdenklich.
Klara war sich in ihrer Jugend auch der politischen Umstände im
Land bewusst.Im Zusammenhang mit den Februarkämpfen im
Jahr 1934 erinnert sie sich an die Einschusslöcher in ihrem Wohn¬
hausund daran, dass ihr Vater mit einer weißen Fahne durch die
Straßen zog, wenn er zum Mittagessen nach Hause kam. Und als
Hitlers Truppen in Wien einmarschierten, sagt sie, wurden die
Schulklassen dazu abkommandiert, am Heldenplatz Spalier zu
stehen. Ihr Vater wurde von der Gestapo für einige Zeit arretiert.
Klaras Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch und legte sich
ins Bett. Gemeinsam mit ihrer Freundin Kori dachte sich Klara
eine List aus, um ihre Väter aus dem Nazigefängnis zu befreien.
Sie erinnert sich, in das Büro des Gauleiters [entweder Odilo Glo¬
bocnik oder Josef Bürckel] gegangen zu sein und ihn tatsächlich
dazu gebracht zu haben, ihren und Koris Vater zu entlassen. Doch
wie sich das alles zutrug, ist off the record. „Als mein Vater aus dem
Gefängnis entlassen wurde, war er nicht mehr derselbe Mensch“,
bemerkt sie traurig.
Da sie ihre Eltern in Sicherheit bringen wollten, übersiedelte sie im
Sommer 1938 zu ihren Großeltern in Mähren. Zu allem Überfluss
bekam sie im Juli Scharlach, und nachdem sie ins Spital eingelie¬
fert wurde, auch noch Diphtherie. „Wenn ich meine Mutter nicht
gehabt hätte, wäre ich sicherlich gestorben“, erzählt sie. „Sie kam
jeden Tag zu mir und tröpfelte mir Zitronensaft in den Mund. Ein
wahres Wunder, dass sie weder die eine noch die andere Krankheit
erwischt hat.“ Nach ihrer Genesung ging sie einige Monate in ein
Gymnasium in Jihlava (Iglau), wo sie bei einer Frau in Untermie¬
te wohnte. Moritz Feiner hatte sich einstweilen in Wien bei vie¬
len Botschaften um ein Visum angestellt, war jedoch lange Zeit
erfolglos. „Wir waren ganz entmutigt und wollten uns mit den
Dingen einfach abfinden“, bemerkt sie. In ihrer Briefsammlung
findet sich ein Schreiben von Jerome Feiner aus New York, der der
Familie mitteilt, dass er ihr leider kein Afhıdavit ausstellen kann.
Eines Tages im Herbst traf jedoch ein Brief von John Berler, einem
Cousin aus Brooklyn ein, der der Familie ein Affidavit anbot. Berler
stammte aus dem ungarischen Zweig der Feiner-Familie. Als er und
seine Geschwister im Ersten Weltkrieg extrem unter Hunger litten,
nahm Moritz‘ Vater Ignaz — der mit der eingangs erwähnten Ge¬
mischtwarenhandlung in Pernitz — immer ein Kind ein halbes Jahr
zu sich, um es aufzupäppeln. „Dein Vater hat damals mein Leben
gerettet, jetzt rette ich eures“, meinte Berler nur. Klara kehrte im
Oktober 1938 von Mähren nach Wien zurück.
Der Zug blieb an der Grenze stehen und es gab keine weitere Verbin¬
dung. Ich saß im Wartesaal und hatte mein Strickzeug dabei. Ein sehr
schweres Muster, bei dem ich ständig zählen musste. Plötzlich sagte
ein Mann, dass er Jäger sei und uns durch den Wald zum nächsten
Bahnhof in Österreich führen könnte. Ich vertraute mich ihm an, ohne
zu wissen, ob er auch wirklich gute Absichten hatte. Bei der Diskus¬
sion verlor ich immer wieder den Faden mit meinem Strickmuster.
Ich packte es ein und wir gelangten dann auch wirklich auf sicheren
Boden. Meinen Eltern habe ich erst viel später davon erzählt.
Mithilfe von John Berlers Affıdavit konnte sich die Familie ein
Einreisevisum in die USA verschaffen und den Nazi-Schergen am
11. Februar 1939 entkommen. Auf der „Aquitania“ ging es von Le
Havre in einer rauen Überfahrt nach New York. Klara sollte als
Dolmetscherin für ihre Eltern fungieren, doch konnte niemand ihr
Englisch verstehen. Erst als sie einem Mitglied der Crew erklärte,
dass ihr Privatlehrer aus Schottland stammte, war das Rätsel ge¬
klärt.
In New York wohnte die Familie zuerst bei den Berlers, die sie auf
das Herzlichste empfingen. Sie zogen danach in eine Wohnung in
einer armen Gegend in der Bronx, die mehrmals ausgeraubt wur¬
de. Klara musste ihren Spitznamen „Sissy“ ablegen, da er, wie John
Berler ihr erklärte, in der US-amerikanischen Umgangssprache
„Memme“ bedeutete. Nachdem Marie Feiner anfangs Stückarbeit
geleistet hatte, merkten die Modehäuser bald, dass sie es mit einer
Modistenmeisterin zu tun hatten, und sie fand eine gute Anstel¬
lung. Ihrem Vater ging es weniger gut: Er schlug sich als Vertreter
durch und sparte mit seiner Frau darauf, ein gemeinsames Geschäft
zu eröffnen. Leider hatte er Herzprobleme und ein New Yorker Arzt
verschrieb ihm Salztabletten. Die Hitze in der Stadt tat ein Übriges.
Im Jahr 1949 verstarb Moritz Feiner im Alter von 57 Jahren.
Klara Feiner brauchte einige Zeit, um das durch das NS-Regime
verursachte Trauma zu verarbeiten. „Ich musste mich psychisch
wieder aufrichten, nachdem man mir einzutrichtern versucht hat¬
te, dass ich ein Untermensch bin.“ Über eine katholische Wohl¬
fahrtsorganisation kam sie in ein von Nonnen geführtes Internat in
Putnam Valley in Connecticut, von wo sie ihren Eltern jeden Tag
einen Brief schrieb. „Ich war aufgrund meines Aufenthalts in der
Tschechoslowakei recht selbständig geworden und fühlte mich dort
ziemlich eingesperrt,“ erinnert sie sich. Aber die Nonnen waren sehr
nett zu ihr und erlaubten ihr, die Prüfungen anfangs auf Franzö¬
sisch abzulegen, bis sich ihr Englisch verbessert hatte. Klara war
in Wien in einen französischen Kindergarten gegangen und hatte
die Sprache in ihrer Schulzeit weitergelernt. Auch den außerschuli¬
schen Klavierunterricht wollte man ihr ermöglichen.
Die Schule fand einen Lehrer, der mir Privatunterricht geben wollte.
Er fragte mich, was ich zuletzt gespielt hatte. Die Mondscheinsonate.
Also gut. Er holte die Noten heraus, und ich sollte ihm mein Können
zeigen. Ich starrte auf das Blatt, und es kam mir alles nur mehr chine¬
sisch vor. Ich konnte mich an keine einzige Note mehr erinnern.
Das Trauma zeigte offenbar seine Auswirkungen.
Die Familie Feiner hielt zu ihrer auf der ganzen Welt verstreuten
Familie Kontakt, so gut sie konnte. Klaras Grofvater Ignaz Feiner
war Anfang der dreißiger Jahre verstorben, seine Frau Emilie (geb.
Jaul) bereits 1915. Wie das Kulturzentrum Hacker Haus in Bad
Erlach belegt, wurden Mitglieder der Familien Feiner und Jaul im
Holocaust ermordet oder entkamen nach Südamerika oder Israel.
Moritz Feiners Bruder Alfred war es gelungen, mit seiner Frau Her¬
ta (geb. Heller) nach Wales zu flüchten. Dort schloss der gelernte
Arzt innerhalb von drei Jahren seine Befähigungsprüfungen ab und
konnte wieder in seinem ursprünglichen Beruf arbeiten. Klara Ca¬
litri erinnert sich, dass sie als Kind bei ihrem Onkel und ihrer Tante
oft zu Soirdes und zum Seder eingeladen war, wo sich auch andere
Mitglieder der Familie Heller zuammenfanden. Tante Herta war
eine Saloniére, die rege am Wiener Gesellschaftsleben teilnahm.
Onkel Alfred spielte in einem Quartett Violine. Nach der Exilie¬
rung arbeitete Herta Feiner in Wales als Haushälterin und Köchin,
um ihren Mann zu unterstützen, während er sich auf die Ärzteprü¬
fung vorbereitete. „Sie schrieb uns dann, dass sie in Wien schöneres
Geschirr und Hauswaren gehabt hatte als ihre ‚Herrschaften‘“
Klara Feiner erhielt nach der High School ein Stipendium an das
Trinity College in Vermont, wo sie sich auf das Lehramt vorbe¬
reitete. Im Sommer 1940 lernte sie an der Orchard Beach in der
Bronx den Rettungsschwimmer Junius Calitri kennen, der Sohn
einer jüdischen Mutter und eines ehemaligen Pfarrers war, dessen
Familie ursprünglich aus Italien stammte. Er trainierte mit ihr, so
dass auch sie die Rettungsschwimmerprüfung ablegen konnte. One