Russischer Soldat.
Erster Weltkrieg.
Zwei Kinder gezeugt.
Kein Name, kein Foto, keine Erinnerung.
Unendlich, weit, Mut, Wellen, Bewegung,
Strömungen, Schlund, Hitzewelle
Ich studiere Russisch und wenn mich jemand fragt,
Mag ich
die Sprache gern,
die Schrift,
den Klang,
die Herzlichkeit.
Mitsichziehen, ankämpfen, türkisblau, klar, sandig
Trinkwasser, salzig, Gischt, Brandung, Flut, Ebbe, Möwen,
rau
Es ist der 24.02.
Mama hat Geburtstag
Sektgläser, Kuchen, Geschenke
Ukraine —
Es ist jetzt Krieg
Nein, es war schon lange Krieg
Rau, sanft, aufgewühlt, still, tobend, tosend, krachend,
Rhythmus, Strahlen, Reflexion,
Abschnitt, Süden, Norden, Mitte
Er lenkt
Entscheidet
Zerstört
hier
wahrend
dort
ist
Zeit im Bild
tagtaglich
mittlerweile alltaglich
wie Platzregen,
der auf der Haut ankommt,
schmerzt
Die Zeit in Bildern festhalten,
während der Zerstörung
Mariupol
Geburtenklinik unter Beschuss
Moskwa im Meer gesunken
Zivilisten getötet
Wahllos bombardiert
Human Rights
Vergewaltigung
Traktoren gestohlen
soll man jetzt überhaupt noch Russisch
unterrichten, reden, sein ¬
wird sie von Eltern in der Schule gefragt
und auch wenn es vielleicht absurd klingt,
aber plötzlich ist da eine Gewissheit in mir,
die davor so nie greifbar war
Die Gewissheit,
diese unheimlich komplexe Sprache
beherrschen zu wollen
anfangen sie zu verstehen,
die Geschichte, die Kultur,
Dem nachzugehen,
Was da ist.
Ich mochte es früher immer
Texten helle Enden geben
doch gerade weiß ich nicht,
welche Art von hell hier angebracht wäre
Leonie Mirjam Lindinger, geb. 2000 in Richterswil bei Zürich,
aufgewachsen in Salzburg. Besuchte die Rudolf Steiner Schule und
verbrachte als 17-Jährige im Zuge eines Schüleraustausches ein halbes
Jahr auf den Philippinen. 2. Platz beim U20 Poetry Slam des Salzburger
Literaturhauses (2019), Seit dem 8. Lebensjahr begeisterte Cellistin,
studiert derzeit am Mozarteum Bildende Künste und Gestaltung, sowie
Russisch auf Lehramt an der Universität Salzburg.