Antiterroristische Operation.
Konflikt im Osten.
Ukrainische Krise.
Ich darf
- wenn ich will —
Krieg nicht Krieg nennen
Ganna Gnedkova, ukrainische Überset¬
zerin und Schriftstellerin, lebt in Wien,
schreibt mir zu ihrem Gedicht: “Im Jahre
2020 war es nicht vielen Medien bewusst,
welche Worte sie von der russischen Pro¬
paganda entlehnen, um über die Ukraine
zu sprechen.”
Der Faschist nennt sich Antifaschist und
bezeichnet seine Gegner als Faschisten.
Sieben Länder anerkennen den russländi¬
schen Angriffskrieg gegen die Ukraine als
Völkermord am ukrainischen Volk:
Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tsche¬
chische Republik, Irland, Kanada.
Unser Kind muss aufwachen, Schultag.
Im Vorraum, zwischen Kinderbett und
Küche, sagt mein Mann: “Sie sind einmar¬
schiert.”
Wir machen Kakao. Es geht durch das
Schultor. Ich gehe in den Wald, Prater.
SMS an Maria, mit einem Ukrainer ver¬
heiratete ehemalige Studienkollegin: “Wie
geht es Euren Verwandten, FreundInnen?”
Antwort: “Wie ist das möglich?”
Diese Frage ist nach vier Monaten völ¬
kermörderischem Angriffskriegs auf die
Ukraine und in rhythmischen Abständen
publizierter offener Briefe, mittels derer die
VerfasserInnen ihren vielfältigen Sorgen
um den Weltfrieden Ausdruck verleihen
und diesen sich ausschließlich zulasten des
ukrainischen Widerstands vorstellen kön¬
nen, noch immer die präziseste.
Zu Mittag findet die erste Demonstration
am Ballhausplatz für die Ukraine statt.
Marias Mann Yevhen kommt mit der EU¬
Flagge, ich sche neben ukrainischen Flag¬
gen auch georgische, belarussische, tsche¬
tschenische. Ich, gelernte Österreicherin,
frage ihn unter Schock: “Was macht Ihr
jetzt? Geht Ihr in den inneren Wider¬
stand?”
Seinen Blick werde ich nie vergessen.
“Sie haben schon fünf russische Kampf¬
Augzeuge abgeschossen!”
Ich bin ihm dankbar für diesen Blick: Ge¬
gen meinen inneren Schuschnigg, der sagt:
Wir weichen der Gewalt.
Ich kann es immer noch nicht glauben
Ich kann es immer noch nicht glauben,
dass liebe Bekannte, liebe Menschen, die
ich in spätestens zwei Jahren wieder be¬
suchen und meiner Tochter und meinem
Mann vorstellen wollte, in allem bedroht
sind, in absolut allem.
25. Februar 2022: Tatjana Maljartschuk,
weibliche Stimme des Widerstands, lebt
seit 2011 in Wien, in einem österreichi¬
schen T'V-Sender:
“Ich höre Sie, meine Herrschaften, und es
tut mir so weh. Die Ukrainer sind keine
Zahlen in den Statistiken. Das sind le¬
bendige Menschen. Jetzt ist es [Öl, Kohle,
Gas] wichtig, um uns und unsere Angst zu
rechtfertigen.
Wir hier in Westeuropa haben Angst vor
dieser Aggression. Es ist so schwer, einem
Aggressor zu widerstehen.
Aber diese Kräfte und diesen Mut müssen
wir finden. Ich weiß nur, dass wir alles ma¬
chen müssen, um ihn zu stoppen.”
Sie berichtet von einer Freundin, die mit
ihrem Sohn vor den russländischen Trup¬
pen flüchtet. Der Sohn, sieben Jahre alt:
“Mama, aber wenn wir nicht zurückkom¬
men, dann sterben alle unsere Topfpflan¬
zen!”
Ukrainische Schriftsteller greifen zur Waf¬
fe. Auch Frauen. Die Ukraine, so schreiben
sie: Fin einziges riesiges widerständiges
Netzwerk, das das ganze Land durchzicht,
gewachsen in dreifacher demokratischer
Erhebung:
zuerst gegen Präsident Kutschma, der nach
dem Vorbild anderer postsowjetischer Staa¬
ten einen Erpresserstaat errichten wollte,
dann, 2004, in der Orangenen Revolution
gegen die Wahlfälschungen des Moskau¬
treuen Janukowytsch, dann, im Winter
2013/2014, im Euromaidan gegen die auf
Druck Moskaus verweigerte Unterschrift
von Präsident Janukowwytsch unter das
Assoziierungsabkommen mit der EU
Die Worte des ukrainisch-jüdischen Prä¬
sidenten Wolodymyr Selenskyj auf das
Angebot aus dem Ausland, ihn und seine
Familie in Sicherheit zu bringen:
Ich habe um Waffen gebeten, nicht um eine
Mitfahrgelegenheit.
Die
von der Armee bis zu den Freiwilligen: Ein
ukrainischen Verteidigungskräfte,
Fünftel Frauen.
Das ist der höchste Anteil in Europa und
aller NATO-Staaten.
Die Ukraine ist die Wiege des osteuropäi¬
schen Judentums. Der Historiker Timothy
Snyder hatte begonnen, sich mit der Uk¬
raine zu beschäftigen, als er erkannte, dass
man den Holocaust nicht verstehen kann,
ohne die Geschichte der Ukraine zu verste¬
hen: Die Ukraine stand im Zentrum der
Politik von Stalin und von Hitler: Brüder
im Geiste. Auch das nationalsozialistische
Todeshungern sowjetischer Kriegsgefange¬
ner könne man nur verstehen, wenn man
den Holodomor versteht.
Frühling 2022, Demonstration für die
Ukraine:
In seiner Rede geht der österreichische
Politikwissenschaftler Dr. Martin Malek,
Mitarbeiter am Institut für Friedenssiche¬
rung und Konfliktmanagement der Lan¬
desverteidigungsakademie in Wien, der