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auf. Ende des Sommersemesters die Ein¬
lösung des Paktes mit den Schwarzbe¬
schuhten: Per Post ein One-Way-Ticket
nach Belgrad. Umstieg und Weiterflug.
Das Zielland wird explizit nicht genannt.
Sack über den Kopf und Abfahrt in ein
Ausbildungszentrum. Alle Kursteilneh¬
mer bleiben anonym, statt Namen Zif¬
fern. Die Ausbildung findet in den unter¬
schiedlichsten Fachern statt und ist auf
jeden Kursteilnehmer individuell zuge¬
schnitten. Rene verliebt sich in eine Aus¬
bilderin, Adriana. Ihre Mutter war wah¬
rend des 2. Weltkrieges Bomberpilotin.
Vage Plane einer gemeinsamen Zukunft.
Vor der mit Auszeichnung bestanden Ab¬
schlusspriifung wird Rene vom Vortrags¬
saal direkt zum Flugzeug eskortiert. Er
sieht Adriana nie wieder.

Der Ausbildung folgen Auftrage. Einer,
der letzte, führt in die Katastrophe. Zwei
Tote. Rene unvorbereitet und unwissend

in die Aktion eines anderen Dienstes ge¬
raten. Oder zweier Dienste? An Verrat
aus den eigenen Reihen denkt er keinen
Augenblick. Trotzdem. Es bleibt ihm nur
die sofortige Flucht. Per Bahn und ge¬
stohlenem Auto über die Autobahn, wei¬
ter per Autostopp nach Italien. „Er ist auf
der Flucht in eine ungewisse Zukunft“.
Freund Enrico in Genua verschafft ihm
über sein Netzwerk einen Platz auf einem
Frachtschiff nach Südamerika.

„Rene streckt sich durch, richtet sich auf.
Das Land, das er gerade zum ersten Mal
betritt, ist eine von ihm selbst gewählte
neue Heimat. Hier wird er leben. Es wird
ein neues, anderes, wahrscheinlich span¬
nungsreiches Leben werden.“ (S. 345)
Am Romanende versucht der Autor noch
einen kurzen Blick in Renes Zukunft:
In einer Favela in Rio de Janeiro findet
er dauernden Unterschlupf, Arbeit, eine
Frau und beginnt wieder mit politischer

Einer seiner besten Freunde, erzählt Ru¬
dolf Schönwald in seiner Lebensgeschich¬
te, der 1998 verstorbene Maler Georg
Eisler, habe ihn einmal als „wandelnde
Enzyklopädie wertloser Informationen“
bezeichnet. Dies allerdings, bevor die bei¬
den zu engen Freunden wurden. Tatsäch¬
lich ist man manchmal geneigt, den wie
aus einem Springbrunnen sprudelnden
Geschichten Schönwalds atemlos zu fol¬
gen, zwingt sich zum Innehalten und fragt
sich, in welchen Zusammenhang mit dem
erhofften „großen Ganzen“ man sie stellen
könnte. So jedenfalls ging es mir manch¬
mal bei der Lektüre seiner nun erschiene¬
nen Erinnerungen.

Dem jungen Mann, der uns vom Buch¬
umschlag anlächelt, sitzt unübersehbar
der Schalk im Nacken. „Sprachlich ver¬
siert, gespickt mit Situationskomik und
frei von Pathos wird hier ein Zeitalter
besichtigt“, heißt es im Klappentext. Hat
man sich einmal in den Erzählungen ver¬
fangen, scheint dies eher untertrieben
formuliert. Was Georg Eisler beim ersten
Eindruck als „Enzyklopädie wertloser In¬
formationen“ erschien, sind tatsächlich
von Schönwald aufbewahrte unverzicht¬
bare Zwischentöne, die bei der Beschrei¬
bung des von ihm durchlebten Zeitalters
üblicherweise unter den Tisch fallen.
Ohne diese bleibt diese Zeit letztlich un¬
begreiflich. Das hindert ihn nicht an erfri¬

92 — ZWISCHENWELT

schenden Pauschalisierungen, denen man
zugleich anmerkt, wie genau er jene Men¬
schen, Urteile und Ausnahmen kennt, auf
die das pauschale Verdikt nicht zutrifft.
So beispielsweise, wenn er in der Mitte des
Buches, als junger Mann nach Kriegsende
aus dem ungarischen Exil auf abenteuerli¬
chen Wegen nach Wien zurückkehrt. „Die
Organisationen, die eigentlich jüdischen
KZ-Heimkehrern und Displaced Persons
beistehen sollten, waren von einer unver¬
schämten Aufgeblasenheit und ihre Funk¬
tionäre hauptsächlich mit Schleichhandel
und Reichwerden beschäftigt.“

Als ich zum ersten Mal den Buchtitel
„Die Welt war ein Irrenhaus“ zu Gesicht
bekam, zweifelte ich an der Sinnhaftig¬
keit der Vergangenheitsform. Allerdings
bemerkte ich bald, dass er den Inhalt des
Werks passend charakterisiert. Der 1928
in Hamburg als Sohn österreichischer
Eltern geborene Schönwald entkam, bald
als Schulkind kurz in Wien, den Nazis
durch Flucht nach Ungarn. Schon diese
Beschreibung des Exils aus der Sicht des
Jugendlichen mit einem trockenen, sar¬
kastischen Humor findet man für diese
Zeit selten. Gegen Ende des Exils in einem
Lager, keinem Konzentrationslager, wie
er ausdrücklich hervorhebt, bezeichnet
er sich gegenüber polnischen Juden, mit
denen er sich dort anfreundete, als „einen
getauften Katholiken, den man als Juden

Arbeit ...

Der Roman ist packend und überzeugend
geschrieben, es bestehen aber Zweifel,
ob alle Details von Jüngeren verstanden
werden, so Smart Export, USIA-Betriebe,
Details aus der Kunstszene. Aber dafür
gibt es ja heutzutage das Internet oder
man fragt mal bei Älteren nach. Auf je¬
den Fall ein Text, den man nicht vor
dem Fertiglesen aus der Hand legt. Ein
Roman, der eine wichtige Zeit und die
Sichtweise proletarischer, sozialistischer
bzw. kommunistischer Lebenserfahrun¬
gen beschreibt.

Gero Fischer

Georg Tidl: Rene oder Der andere Weg.
Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesell¬
schaft 2022. 350 S. Euro 24,¬

verfolgt, obwohl er nicht einmal beschnit¬
ten ist und kein einziges jüdisches Gebet
„Der Hitler ist wirk¬
lich meschugge, sagten sie und bestaunten

aufsagen kann“. —

mich wie einen exotischen Vogel in einer
Voliere.“

Man ist versucht, sein abenteuerliches
Leben auch darauf zurückzuführen, dass
Schönwald es zumindest teilweise dar¬
auf angelegt hätte, dass er also auch ein
Abenteurer gewesen sei. Aber das ist ab¬
wegig. Eher verführt sein genaues Beob¬
achten Leserinnen oder Leser dazu, sich
dem letztlich oftmals einstellenden Ge¬
fühl der Kombination von Wunder und
Irrsinn eines einzelnen Menschenlebens
an seinem Beispiel bewusst zu werden.
„Im ganzen Jahr 1945“ sei er — „mit Aus¬
nahme der gepflegten, gut versorgten, gut
gelaunten Amerikaner — keinem normalen
Menschen begegnet. Denn sie waren die
einzigen, die nicht gelitten hatten. Die
russischen Soldaten waren verrückt, die
Zivilbevölkerung war übergeschnappt.
Alle, die Leidtragende waren, ob als Op¬
fer oder Täter, hätten in die Klapsmühle
gehört.“ Von der Mutter, die mit selte¬
nem Glück Auschwitz und Bergen-Bel¬
sen überlebt hatte, erzählt er, nachdem
sie auf noch abenteuerlicheren Wegen als
er selbst nach Wien zurückgekehrt war:
„Als sie sich am Magistratischen Bezirks¬
amt Döbling anmeldete, wurde ihr ein be¬