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merkenswert rüder Empfang zuteil. Die
Beamten gaben ihr deutlich zu verstehen,
dass sie unerwünscht sei. Damit war sie
keine Ausnahme. Es waren alle gleicher¬
maßen unbeliebt, die das Glück hatten,
am Leben geblieben zu sein. Die Juden
waren unbeliebt, die Widerstandskämpfer
waren es, die Heimkehrer, die Heimatver¬
triebenen und die zurückkehrenden Emi¬
granten, die man für verrückt erklärte,
weil sie nicht in ihren Zufluchtsländern
geblieben waren. Von jedem hat man sich
gedacht, besser er wäre nicht da.“

Vor einem halben Jahrhundert hieß es in
einem Lexikon über Rudolf Schönwald:
„Wer ihn kennt, rechnet ihn zur Spitzen¬
garde der Bildenden Künstler Wiens, aber
wer kennt ihn schon?“ — Heutzutage trifft
dies noch viel mehr zu. Mit faktisch allen
späteren „Stars“ der damals im Entstehen
begriffenen Kunstszene war er bekannt als
einer von ihnen. Er erzählt weniger Anek¬
doten, als dass er unumwunden persön¬
lich gefärbte Urteile anhand verschiedener
Umstände und Begebenheiten erläutert
und begründet. Dies betrifft neben seinen
persönlichen Freunden Georg Eisler und
Alfred Hrdlicka insbesondere die Maler
Arik Brauer, Adolf Frohner, Rudolf Haus¬
ner, Wolfgang Hollegha, Anton Lehmd¬
en, Josef Mikl oder Markus Prachensky
(samt ihren Lehrern). Aber auch manche
andere aus der literarischen oder Thea¬
terszene finden sich mit oft nur wenigen
charakteristischen Strichen gezeichnet,
abgesehen von würdigenden Beschrei¬
bungen des Wiener Kulturstadtrats Vik¬
tor Matejka anhand mancher Begeben¬
heiten und Begegnungen. Als Schönwald

schließlich gegen Ende seiner Berufslauf¬
bahn eine Professur für Bildnerische Ge¬
staltung an der Technischen Hochschule
in Aachen angenommen hatte und 1983
vom Tod des „katholischen Ketzers“ und
bedeutenden österreichischen Kulturwis¬
senschaftlers und Publizisten Friedrich
Heer erfahrt, mit dem er gut bekannt war,
steht er als getaufter, aber nicht glaubiger
Katholik nicht an, im Aachener Dom fiir
ihn eine Seelenmesse lesen zu lassen, die
der Wiener Experimentalfilmer, Kunstex¬
perte und Mitbegriinder des Osterreichi¬
schen Filmmuseums Peter Kubelka mit
seinem Flötenspiel bereicherte.

Auffällig auch, dass oftmals gegenteilige
Ak¬

teure, unterschiedliche Wege beispiels¬

Kunstauffassungen verschiedener
weise zwischen Gegenständlichkeit und
Abstraktion damals nicht zu persönli¬
chen Feindschaften führen mussten. Im
Gegenteil, den „Abstrakten“ Prachensky
bezeichnet Schönwald zwar als „künst¬
lerischen Antipoden“, war aber dennoch
mit ihm gut befreundet: „Unsere gegen¬
seitige Beurteilung erfolgte im stillen Ein¬
verständnis, dass wir auf künstlerischem
Gebiet nicht viel voneinander hielten, und
in der Gewissheit, dass wir einander darin
nicht in die Quere kamen. Wir hatten ja
genug andere Gemeinsamkeiten.“ Auch
in politischen Dingen berichtet Schön¬
wald von einem für manche Heutige un¬
gewöhnlichen Horizont: Als 1956 plötz¬
lich viele Flüchtlinge aus Ungarn nach
Österreich strömten, meldeten sich er und
Alfred Hrdlicka für einschlägige Arbeiten
und die Unterstützung von Flüchtlingen
im Lager Traiskirchen, ohne deshalb auf

den antikommunistischen Zug aufzu¬
springen.

Ende der Sechziger-, Anfang der Sieb¬
zigerjahre zeichnete Rudolf Schönwald
mehrere Jahre lang eine Comic-Seite für
das von Günther Nenning herausgegebe¬
ne linke Magazin „Neues Forum“, Unter¬
titel: „Internationale Zeitschrift für den
Dialog“. Angeblich habe Nenning sich
beklagt, dass Schönwalds Geschichten
mit der surrealistisch-anarchistischen Fi¬
gur namens „Goks“ ihn monatlich zwei
Abonnenten kosteten. Aber vermutlich
hat der Herausgeber jene Leser nicht be¬
rücksichtigt, die dieser Zeichnungen we¬
gen zu Abonnenten wurden. Auch ihret¬
wegen habe ich einige dieser Hefte noch
aufbewahrt.

In einer editorischen Notiz am Ende des
Buches ist vermerkt, dass die von Erich
Hackl niedergeschriebenen Lebenserin¬
nerungen vor allem auf ausführlichen
Interviews Schönwalds durch ihn und
Barbara Coudenhove-Kalergi beruhen.
Wer Bücher von Erich Hackl kennt, wird
feststellen, dass die Sprache des Buches
nicht die dieses Schriftstellers ist. Ohne
Schönwald persönlich zu kennen gehe
ich unbesorgt und fasziniert davon aus,
dass Hackl die Sprache, den Tonfall und
den Witz Schönwalds in beeindruckender
Weise getroffen hat.

Karl Wimmler

Rudolf Schönwald: Die Welt war ein Irren¬
haus. Meine Lebensgeschichte. Nacherzählt
von Erich Hackl. Wien: Zsolnay 2022. 302
S. Euro 26,¬

Bei Kameras gibt es eine Portrat-Ein¬
stellung, das heißt die Person im Sucher
wird scharf und prominent platziert
während die Umgebung verschwimmt.
Diese Einstellung entspricht einer Bio¬
graphie im herkömmlichen Sinn. Nach
der Lektüre des Buches muss der Rezen¬
sent feststellen, dass es auch eine andere
Porträt-Einstellung gibt, den „emanu¬
elyischen Fokus“, der die Person zeigt,
aber die Umgebung und Geschichte so
scharf zeichnet, dass die Gefahr droht,
den Porträtierten aus den Augen zu ver¬
lieren und zu vergessen.

Alexander Emanuely verzichtet wohl,
um sich nicht beschneiden zu müssen,

bewusst auf den Begriff Biographie.
„Das Beispiel Colbert. Fin de siecle und
Republik. Ein dokumentarischer Essay“
heißt seine 656-seitige Studie. Emanuely
stellt seinen wissenschaftlichen detekti¬
vischen Rechercheblick nicht scharf auf
die Person, sondern fokussiert das Um¬
feld, die Geschichte ohne Beschränkung
auf Raum und Zeit.

Beim ersten Versuch das Buch zu lesen
habe ich die Geduld verloren, nachdem
sich mir die vielen Abwege nicht sofort
erschlossen haben. Dieses Buch gleicht
einem Marathonlauf in einem Laby¬
rinth, wobei das Ziel immer wieder nach
hinten verschoben wird. Doch irgendet¬

was hat mich an diesem Labyrinth ge¬
reizt und meinen Ehrgeiz angestachelt.
Bücher, die es einem schwer machen,
haben für mich immer wieder einen be¬
sonderen Reiz gehabt. Diese Bücher, die
sich nicht sofort erschließen und viele
Lesearbeit erfordern, bergen natürlich
ein Wagnis, denn wer weiß am Beginn
schon, ob sich die investierte Zeit und
Energie tatsächlich auch gelohnt hat.
Mein Gefühl hat mich im Falle Colbert
nicht im Stich gelassen und so habe ich
mich ein zweites Mal in diese Textwüste
gewagt.

Diese Vorbemerkung scheint mir wich¬
tig, um anderen LeserInnen eine Fährte

August 2022 93