Am 6.7.2022 schrieb ich einen Rundbrief
per E-mail
Liebe Freunde Bekannte, Interessierte!
Es ist nicht eigentlich eine Gratulation, son¬
dern eine Kritik an einer unfairen Rhetorik
und an einer vorgetäuschten Überparteilich¬
keit. Der Schriftsteller Josef Haslinger hat sich
der Riege der “Prominenten” gegen “schwere
Waffen” angeschlossen. Was er dazu von sich
gibt, kann ich nicht unwidersprochen stehen
lassen. Bitte beachten Sie die folgende Glosse.
"Man wird Kompromisse finden müssen”.
Josef Haslinger hat die Lösung
Der Schriftsteller Josef Haslinger, der sich
als Interimspräsident des deutschen PEN¬
Clubs gegenwärtig in der Metamorphose
vom Intellektuellen zum Prominenten be¬
findet, hat dem “Standard” (6. Juli 2022,
S. 25) ein Interview gewährt, in dem er ex¬
plizit und implizit auf niedrigerem Niveau
wiederholt, was schon in dem ersten Promi¬
nentenbrief, dem jetzt ein zweiter folgte, be¬
hauptet wurde.
Haslinger ist kein Experte und verrät dies
auch durch seltsame Behauptungen über
die Ursachen und den Verlauf des Vernich¬
tungskrieges gegen die Ukraine. Was bei
Haslinger vielleicht neu ist, ist der besser¬
wisserische Zug in seinen Ausführungen
und die geschickte Rhetorik, mit der er sich
in eine Sprechposition der Überparteilich¬
keit hievt. Mag wer will das mit Sachlich¬
keit verwechseln.
Haslinger glaubt zu wissen, wann der ver¬
säumte “goldene Zeitpunkt” für einen
Kompromiss der Ukraine mit dem Aggres¬
sor war, und nennt mit Ende März ausge¬
rechnet den Zeitraum, in dem vermutlich
der Großteil der entsetzlichen Kriegsverbre¬
chen in Butscha und Irpin begangen wurde.
Diese Koinzidenz stört ihn nicht weiter,
denn er unterscheidet nicht zwischen Recht
und Unrecht, Krieg und Kriegsverbrechen,
Angriff und Verteidigung.
Für ihn ist die verzweifelte Verteidigung der
bedrohten Ukraine ein Stellvertreterkrieg
der NATO mit Russland. Er übernimmt da¬
mit die russische Propagandalüge, dass sich
die Russische Föderation mit dem Überfall
auf die Ukraine gegen die Umklammerung
durch die NATO wehren habe müssen. Er
fragt sich nicht, was die Föderation wirklich
zu ihrer “militärischen Sonderaktion” ge¬
trieben hat.
Er übernimmt lieber die Lügen des Blut¬
Antisemiten Sergej Lawrow. Dass die russi¬
sche Kriegsführung ein Spiegel der inneren
Verhältnisse der Russischen Föderation sein
könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.
Als geübter Vereinspräsident verfehlt er aber
nicht, seinem zurückgetretenen Vorgänger
Deniz Yücel in übler Weise “Feldwebelallü¬
ren” nachzusagen.
Humorvoll ist Haslingers Antwort auf die
Frage: “Jetzt soll der Westen sagen: Schluss,
keine Waffen mehr, und die Russen werden
stoppen?” Darauf Haslinger: “Die Russen
werden vielleicht stoppen. Auch Putin braucht
ein Ausstiegsszenario aus diesem Krieg.” — Was
darfalso für den “Kompromiss” in die Pfan¬
ne gehauen werden? Das D onez-Becken,
die Krim, Cherson, Odessa? Charkiw?
Die paar Kühlschränke, Traktoren und To¬
iletten tun es ja nicht.
Wiederherstellung der territorialen Integri¬
tät der Ukraine? Bestrafung der Kriegsver¬
brecher? Schadenersatz? Alles obsolet!
Mir wäre lieber gewesen, Haslinger hätte
sich statt um Putins Gesicht um sein eige¬
nes gesorgt. Jetzt ist es halt so. Ich gratuliere
Josef Haslinger zum gelungenen Übergang
von der Intelligenz zur Prominenz.
Darauf erhielt ich neben zahlreichen zu¬
stimmenden Reaktionen auch diese:
Lieber Konstantin! Ich möchte zu Deiner
“Gratulation für Josef Haslinger” Stellung
nehmen.
Was nützen denn bösartige persönliche De¬
nunziationen? Sie tragen nicht zu einem die
politische Situation _erhellenden Verständnis
bei — was doch heute dringend notwendig
wäre. Wozu sie aber beitragen, ist ein Klima
zu schaffen, das die Hetzjagd auf abweichen¬
de Meinungen fördert. Darum empfinde ich
Deine Herabwürdigung des Schriftstellers
Josef Haslinger beschämend. Man muss Angst
haben, dass dieser neue Ton der Diffamierung
noch mehr um sich greift. Du hast das ja schon
in der Zwischenwelt mit Deiner von eigener
Lektüre unbelasteten Handke-Verurteilung in
Angriff genommen.
Dem Josef Haslinger aber möchte ich, als al¬
ter Literaturwissenschafiler, aus aufrichtigem
Herzen zu seinem Mut gratulieren. Er er¬
innert mich an die Menschen, die sich in der
Vergangenheit nicht um ihr selbständiges Den¬
ken bringen liefen. Ein Glück, dass es Leute
wie ihn gibt, die sich ‘die Zwischenwelt des
eigenen Verstandes’ bewahren und nicht auf¬
hören Fragen zu stellen!
Hans Höller, Salzburg, 8. Juli 2022
Dazu möchte ich weiter nichts sagen, nur
darauf hinweisen, daß Höller von Diffamie¬
rung redet, wo einfach Kritik geübt wurde.
Ein bißchen Schnittlauch im Salat, Pfeffer
auf dem Knödel wird der Herr Universi¬
tätsprofessor noch vertragen. Eine böswilli¬
ge Unterstellung Höllers ist, ich hätte von
eigener Leküre unbelastet in ZW Handke
verurteilt. Kritisiert habe ich in ZW ledig¬
lich den erbärmlichen Aufruf der selbst¬
Handke-Verteidiger. Selbst
einem „alten Literaturwissenschaftler“ darf
zugemutet werden, zwischen verschiede¬
nen „Iextsorten“ unterscheiden zu können.
Über Handke selbst schrieb ich nichts.
Ich hatte auch mit steigendem Entetzen Has¬
lingers Interview gelesen. Deine Reaktion ist
einfach goldrichtig. Danke!
Georg Deutsch, Nordwijk, 8.7.20202
Danke für Deine so klare Stellungname.Ich
habe Haslinger zum Rücktritt aufgefordert.
Charles Ofaire, Marburg, 8.7.2022
Grofsartige Replik von dir. Vielen Dank. Kein
Mensch weiß, was Putin stoppen wird, auch
ein Haslinger nicht, wenn er das auch behaup¬
tet. Die selbsternannten “Experten” sind wirk¬
lich meist nur Selbstdarsteller ohne Substanz.
Walter Mayer, Wien, 8.7.2022
... Bin wirklich froh dass ich in Österreich
noch wenigstens einen Menschen kenne, der
sich nicht nur dem ‚deutschen Waffentrauma‘
verpflichtet fühlt und der Meinung ist, dass
man einem überfallenen Land einfach ohne
zu zögern und zu zaudern Hilfe leisten sollte.
Ich war lange Zeit eher eine NATO-Skeptike¬
rin, finde aber, auch hinsichtlich der Entwick¬
lungen in Russland selbst, dass sich die Um¬
stände so grundlegend geändert haben, dass
auch wir unsere Ansichten darauf einstellen
sollten. Obwohl ich den Haslinger sehr mag,
bin ich genauso enttäuscht wie du. Als An¬