Fall gewesen ist). In Österreich orientierten sich die Künstler und
Künstlerinnen dabei cher an der „klassischen“ Vorkriegsmoderne
mit dem Zentrum Paris, in Deutschland an der abstrakten Malerei
der USA, was vom CIA nach Kräften unterstützt wurde und der
Abgrenzung sowohl von der Nazikunst wie vom sozialistischen Re¬
alismus der Sowjetunion dienlich war. Die „Moderne Kunst“ galt,
da vom Naziregime unterdrückt, als eine verfolgte Unschuld, die
durch die Wirren und Abgründe des 20. Jahrhunderts trockenen
Fußes hindurchgekommen war, mit ihr gelte es nun fortzufahren
als Überwindung des „kleinbürgerlichen Kitsches“ und des hohlen
Klassizismus der Nazizeit.
Ich erörtere hier nicht, wie weit dieser Nimbus einer antifaschis¬
tischen Stellungnahme der Künstlerinnen und Künstler entsprach;
es gab unter ihnen genug Parteigänger des Faschismus (in Italien)
und auch in Deutschland und Österreich einige Sympathisanten des
Nationalsozialismus. Jedenfalls waren sie alle in dem Moment des
Zusammenbruchs und neuen Anfangs „moderne Künstler“ ohne
Wenn und Aber. Ein großartiger Verdrängungs- und Substitution¬
sprozess kam in Gang. Mit der Nazikunst wurde der Nationalso¬
zialismus gleich selbst verdrängt; der „neue Anfang“ brauchte sich
nicht um die unmittelbar vorausliegende historische Katastrophe,
um Massenmord, imperialistischen Angriffskrieg, Vertreibung und
Shoah zu bekümmern. Verdrängt nicht nur im psychischen Sinn,
sondern durch Ausschluss von nahezu allen Wirkungsmöglich¬
keiten wurde in einem Aufwaschen auch die Kunst des Wider¬
stands und des Exils. Bedenkt man, dass führende Proponenten der
Nachkriegskunst, ich nenne z.B. Herbert Boeckl und Max Weiler,
Mitglieder der NSDAP gewesen waren und als solche tatsächlich
„trockenen Fußes“ durch die Nazizeit gekommen waren, versteht
man, dass die Exkulpierung durch die „Moderne Kunst“ auch im
Eigeninteresse wichtiger Künstler und Kunstfunktionäre gelegen
war. Sich selbst nicht als zumindest teilweise Mitschuldigen an
den Verbrechen des Nationalsozialismus, vielmehr cher als Opfer
sowohl der Vergewaltigung durch den „Führer“ wie der Folgen des
Krieges, der Bomben und des Elends nach der Niederlage zu inter¬
pretieren, war in der vom Antisemitismus durchseuchten, geistig
und menschlich verarmten Zombie-Gesellschaft des Nachkriegs
Common Sense. Die Künstler und Künstlerinnen verhielten sich
da nicht anders als die große Mehrheit der Bevölkerung. Bewusst
antifaschistische Positionen wurden nur von einer kleinen politischen
und kulturellen Minderheit vertreten: den Kommunisten, einem
Teil der Sozialdemokratie, einigen Schriftstellern, von Malern des
„fantastischen Realismus“ in ihrer Frühphase, von Alfred Hrdlicka
und seinem Umkreis.
Der Modernismus als Antitoxin des Nazigifts funktioniert bis
heute, also auch nachdem es üblich geworden ist, die hereditäre
Verstrickung in den Schuldzusammenhang des Nationalsozialis¬
mus anzuerkennen, sich für die Taten der Väter und Großväter
zu schämen und sie stellvertretend zu bereuen. Ein aufwendiges
Engagement für die „Moderne Kunst“ wie erwa die Stiftung von
Privatmuseen wird als Wiedergutmachung verstanden. Friedrich
Christian Flick, Enkel und Erbe seines Großvaters, der wegen seiner
führenden Rolle in der Rüstungsindustrie Nazideutschlands als
Kriegsverbrecher verurteilt worden war, hat das geradezu klassisch
anlässlich der Stiftung seines Privatmuseums formuliert: es ginge
darum, „der dunklen Seite ihrer Familiengeschichte [der Flicks]
eine helle hinzuzufügen“. Eine ähnliche Vorgeschichte hatte das
Privatmuseum von Julia Stoschek, deren Großvater Max Brose sein
Vermögen durch die Ausbeutung von der SS bereitgestellten Zwang¬
sarbeitern vermehrt hatte. Das Privatmuseum, das Heidi Horten im
Juni 2022 kurz vor ihrem Iod in Wien eröffnet hat, wurde aus einem
Vermögen finanziert, das durch die Arisierung von Kaufhäusern in
jüdischem Besitz begründet worden war. Die schamlose und durch
Wertsteigerung der eigenen Kunstsammlung letztlich eigennützige
Zurschaustellung von Reichtum wurde öffentlich immer wieder als
begrüßenswerte kompensatorische Tat gewürdigt. Wozu mir noch
als besonderes Schmankerl das Beispiel eines Kunsthändlers einfällt,
Mitglied der NSDAP und am Hitlerischen Raubkunstprogramm
beteiligt, dem die deutsche Kunstzeitschrift ART vor wenigen Jahren
attestierte, sein (verbrecherisches) Treiben durch sein gleichzeitiges
Engagement für die „Moderne Kunst“ gutgemacht zu haben.
Man könnte mit diesem Argument an manchen Gauleitern und
andren Funktionären des NS-Regimes auch noch das Gute finden,
dass sie bei sich zuhause expressionistische und sogar abstrakte
Bilder hängen hatten. In all dem nähert sich die Funktion der
Modernität einem moralischen Waschmittel.
Hier höre ich den mehr oder weniger lauten Einwand, dass die
Werke unabhängig von Funktion und Kontext ästhetischen Wert
haben und als autonome Resultate der künstlerischen Gestaltung
gewürdigt werden müssen. Das ist so weit richtig, als sie auch in
ihrer Einzelheit rezipiert werden können — und wenn sie die Kraft
haben, ihre Präsenz vom Kontext abzuheben und aus den Werken
selbst begründbare Interpretationen zu ermöglichen. Doch selbst
bedeutende Kunstwerke können schwer zur Geltung kommen,
wenn sie zum Beispiel als Illustrationsmaterial für die Ideen eines
Kuratorenteams in einer ausufernden Themenausstellung herhalten
müssen und zum Teil eines Erlebnis-Parcours werden, bei dem die
Einlassung auf einzelne Werke gar nicht beabsichtigt ist. In den
protzigen Museumsbauten der letzten Zeit triumphiert die gewaltige
Kubatur und ihre beabsichtigte Wirkung als Erlebnisraum über die