(überarbeitete und ergänzte Neuausgabe 2016
beim Verlag Edition AV) macht durch detailrei¬
che Erlebnis-Schilderungen diesen gewiss nicht
alltäglichen Lebensweg gleichzeitig zu einem
Mosaikstein der Geschichte Südafrikas.
Sie, die Weiße und Europäerin, hörte auf die
Schwarzen in ihrem Land, in Südafrika, in Sam¬
bia und Simbabwe, lernte von ihnen und wurde
zu einer klugen und hochgeschätzten Vermittlerin
afrikanischen Gedankengutes, afrikanischer Ziele
und Strategien, zur Freude vieler Schwarzenführer
und - vielleicht ist dies noch wichtiger - einfacher
Menschen. Sie hat ihre journalistischen Fähigkeiten
an eine ganze Generation junger afrikanischer
Journalistikstudenten weitergegeben... Ihre Iden¬
tifikation mit den Problemen Afrikas ... ist nicht
lediglich eine Angelegenheit angelegter Intelligenz
... sie ist vor allem eine Angelegenheit des Herzens
sowie menschlicher Bindung und Anteilnahme.
Ruth Weiss verfügt über beides...
(Nadine Gordimer, Nachwort zur Autobiografie
von Ruth Weiss (Neuauflage 2016, 5. 272).
Mit scheinbarer Leichtigkeit schlüpft sie in
die Rolle des selbst zu Wohlstand gekomme¬
nen Fälschers Norbert Wild, nachdem dieser
viele Jahre nach Kriegsende vom Wiederauf¬
tauchen der äußerst wertvollen Kunstsamm¬
lung seines verstorbenen Vaters erfährt. Nun
aber tut er alles, um Alleinerbe dieses während
der Nazizeit verschwundenen Kunstobjektes
zu werden. — „Der neue Krimi von Ruth Weiss
strotzt vor schwarzem Humor, ein echter „pa¬
geturner“, spannend und unterhaltsam bis zur
letzten Seite“, verspricht der Werbetext auf
der Buchrückseite - damit keinesfalls zu viele
Erwartungen weckend. Zu empfehlen ist aber
dabei auch ein Blick in die Autobiografie der
außergewöhnlichen Autorin.
Helga W. Schwarz
Ruth Weiss: Die kunstvolle Entsorgung meiner
Familie. Kriminalroman. Bodenburg: Edition
AV 2022, 184 S. Euro 16,¬
Ruth Weiss: Wege im harten Gras. Erinnerungen
an Deutschland, Südafrika und England. Mit
einem Nachwort von Nadine Gordimer (Erstver¬
öffentlichung 1994, überarbeitete und ergänzte
Neuausgabe 2016) Bodenburg: Edition AV 2016,
306 S. Euro 18,¬
,converté ergo sum — ,, FAW FAT LAF KE —
translate so Jam“ — „ich übersetze also bin ich“ —
könnte man in Bezug auf Martin Winter getrost
sagen, erzählte er mir doch einmal, jeden Tag
Gedichte aus dem Chinesischen zu übersetzen.
Und auch er selbst als Dichter lebt zwischen den
Sprachen, schreibt er selbst doch sowohl auf
Deutsch, Englisch und Chinesisch Gedichte.
In Österreich ist die edition fabrik.transit seine
Verlagsheimat, in der seit langem sowohl sei¬
ne Gedichte, als auch Übersetzungen von ihm
aus dem Chinesischen erscheinen. Besondere
Beachtung verdient das monumentale Projekt
der „Neuen Poesie aus China“, das von Martin
Winter übersetzt in fünf Bänden alphabetisch
nach AutorInnen geordnet erscheint. „BRETT
VOLLER NÄGEL AH WEI THEIR NPC¬
Anthologie HrHt2uhf Band 1: A-J.“ erschien
2021 bei fabrik.transit. Soeben erschien mit
„HUNDEFUTTER JR NPC-Anthologie
Prt ZciFsh Band 2. K-M“ der zweite Band.
Beide Bande haben jeweils 510 Seiten und sind
zweisprachig Chinesisch — Deutsch. Zwei so
umfangreiche und dabei ungemein sorgfaltig
gemachte Bande in so kurzer Zeit vorzulegen,
ist eine sehr große Leistung vom Übersetzer wie
vom Verlag, wofür ihnen aufrichtiger Respekt
gebührt.
Übersetzende vermitteln zwischen Sprachen
und Kulturen und haben damit eine wichtige
Rolle als Brückenbauer inne. Martin Win¬
ter fungiert als ein Vermittler zwischen dem
deutschsprachigen und dem chinesischen Raum
und lässt uns teilhaben an einer vom Dichter Yi
Sha gegründeten chinesischen Poesiebewegung,
die europäische Größenverhältnisse sprengt,
fristet die Poesie in den meisten europäischen
Ländern doch eher ein Nischendasein. Im Vor¬
wort schreibt Martin Winter:
rte Zc FH, NPC, Neue Poesie aus China.
New Poetry Canon, New Century Poetry Canon.
Die Abkürzung NPC wird sonst für National
Peoples Congress verwendet. Das ist Chinas Parla¬
ment, der Nationale Volkskongress, der allerdings
nur einmal im Jahr im Marz zusammentritt. Yi
Sha (FY gründet einen nationalen Kongress für
neue Poesie und bietet damit seit 2011 schon über
900 Dichterinnen und Dichtern eine tägliche
Bühne. In mehreren sozialen Medien zugleich
wird jeden Tag ein Gedicht vorgestellt, und sehr
oft wird es schon in den ersten Tagen zehntausende
Make angeklickt, kommentiert und weitergeleitet.
[...] Es gibt Zensur und Selbstzensur, aber es ist
ein Kongress, bei dem alle sich melden und dabei
immer wieder möglichst gleichberechtigt auftreten
können. Avantgarde, moderne Literatur, das heifst
in China seit der Zeit der Demokratiemauer in
Beijing (1978-1980) etwas, das von AutorInnen
und KünstlerInnen selbst organisiert wird und zu¬
erst privat im kleinen Kreis, im Untergrund lebt.
Yi Sha selbst schreibt in Alltagssprache, nahe
an einer gesprochenen Umgangssprache, um
von möglichst vielen verstanden zu werden.
Gleiches lässt sich von den in der Anthologie
versammelten Gedichten sagen. Vom Tonfall
her lapidar, beiläufig, bescheiden zurückhal¬
tend oder sich bewusst aufs Wesentliche kon¬
zentrierend, verhandeln sie auch inhaltlich
Alltägliches. Wobei man nie vergessen darf,
dass chinesische Dichter und Dichterinnen
staatlicher Zensur unterworfen sind und daher
vieles doppelbödiger und weniger harmlos ist,
als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen
mag. Liest man die Gedichte aufmerksam, so
erfährt man sehr viel über die Geschichte und
Gegenwart Chinas, über Lebensumstände und
chinesische Mentalität. Gesellschaftlicher Wan¬
del, der oft schneller vonstatten geht, als die
Menschen nachkommen, wird in vielen der
Gedichte angesprochen:
Lanse Yaoji
Kaffee-Zeremonie
Herr Wang im Dorf
hat erfolgreiche Kinder,
er trinkt nicht mehr Tee
aus großen Teeblättern,
sondern Kaffee.
Nachbarn und Freunde
kommen öfters und trinken mit.
Aber wenn er Kaffee macht,
nimmt er dieselben Geräte
wie früher für Tee.
Die Gedichte sind dem Leben und den
Menschen zugewandt und thematisieren somit
auch die Corona-Pandemie. Im Gedicht „Im
Frühling“ von Liu Jian fährt beispielsweise ein
kleiner Junge aufseinem Roller mit dem Mund¬
schutz unten am Kinn um die Wohnhausanlage,
schneidet der neben ihm herlaufenden Mutter,
die ihm „Setz die Maske aufl/ Du kommst noch
um!“ zuschreit, Grimassen und ruft dabei: „Ich
sterbe nicht!“.
Die Dichter und Dichterinnen der Bewegung
„Neue Poesie aus China“ beweisen immer wieder
einen erfrischend trockenen Humor:
Lin Chunyu
wir haben daheim
ein hoverboard
seit unser hund
es gebissen hat
fährt es in jeden
menschen
hinein