» Im Oktober 1939 be¬
gann Tschadek Me¬
dizin an der Universitat
Wien zu studieren,
wurde aber im Juli
1940 trotzdem zur
deutschen Wehrmacht
| einberufen, und zwar
zur Kriegsmarine nach
Stralsund. Dort wurde
er zunächst als Marine¬
schreiber verwendet.
Im Mai 1941 avan¬
cierte der Gefreite zum
Hilfskriegsgerichtsrat
beim Marinegericht
des Küstenbefehlsha¬
Otto Tschadek. Bildquelle: bers der westlichen
Stadtarchiv Kiel Ostsee im Rang eines
Kapitänleutnants:
Die Tätigkeit als Richter hat mir keinerlei Schwierigkeiten be¬
reitet. Ich habe mich schnell an das deutsche Strafrecht und an
das Militärstrafgesetzbuch gewöhnt. [...] nach fünf Monaten
wurde ich bereits Kriegsgerichtsrat der Reserve und erhielt da¬
mit den Rang eines Korvettenkapitäns.
Tschadek wurde nach Kiel abkommandiert und konnte nun
auch relativ bequem ein altes Problem lösen:
Während eines meiner Heimaturlaube ist es mir übrigens
auch geglückt, meine Eintragung in die Rechtsanwaltsliste zu
erreichen. Ich begab mich in der Uniform eines Marine-Ober¬
stabsrichters mit meinen Kriegsauszeichnungen in die Rechts¬
anwaltskammer und erklärte, daß ich nur mitteilen möchte, daß
der für Österreich untragbare Rechtsanwalt immerhin würdig
befunden wurde, über Leben und Tod deutscher Soldaten zu ent¬
scheiden. Ich wurde sofort gebeten, nachmittags nochmals zu
erscheinen und in wenigen Minuten war die Angelobung geleistet
und der Eintrag vollzogen.
Über seine Dienstzeit in Hitlers Militär wusste Tschadek
Jahrzehnte später in seiner Autobiographie eigentlich nichts wirk¬
lich Negatives zu berichten, die allermeisten Offiziere bis hin¬
auf zu Dönitz, diesen Eindruck bekommt man jedenfalls bei der
Lektüre vermittelt, scheinen so etwas wie klasse Burschen ge¬
wesen zu sein. Dem militärischen Widerstand vom 20. Juli 1944,
der auch in der Kriegsmarine viele Unterstützer und Sym¬
pathisanten hatte, stand Tschadek wohl skeptisch gegenüber:
„Es ist heute noch Gegenstand der Diskussion, ob der 20. Juli
1944 eine Rettung hätte bringen können.“
Bei Kriegsende geriet Oberstabsrichter Tschadek in britische
Kriegsgefangenschaft, aus der ihn aber der englische Stadt¬
kommandant bald mit einem Spezialauftrag entließ: „Ich frag¬
te nochmals, ob es keine Möglichkeit gebe, nach Österreich zu
gelangen, worauf mir die Engländer trocken erklärten, ich ha¬
be nur die eine Wahl, entweder in das Kieler Rathaus zu gehen
oder ein Jahr im Gefangenenlager zu bleiben. [...] Ich habe so¬
fort das Kriegsschädenamt und das Wiederaufbauamt in mei¬
ne Hände genommen und unter Einsatz der gefangenen deut¬
schen Soldaten die notwendigsten Aufräumungsarbeiten in
Angriff genommen.“ Durch sein Organisationstalent und wohl
auch durch seine rasch aufgenommenen Kontakte zur langsam
wiedererstehenden Sozialdemokratie Schleswig-Holsteins
rückte Tschadek am 27. April 1945 zum Bürgermeister der Stadt
Kiel auf, was in österreichischer Terminologie der Funktion ei¬
nes Vizebürgermeisters entspricht: „Der englische Rundfunk
brachte in seinen deutschen Nachrichten meine Berufung zum
Bürgermeister von Kiel und auf diese Weise erfuhren Oskar
Helmer und meine Freunde in Österreich, daß ich am Leben war
und den Weg in die Politik zurückgefunden habe. Eine Ver¬
bindung mit Österreich herzustellen ist mir jedoch nicht ge¬
lungen.“ Als der kommissarische Kieler Oberbürgermeister
Emcke Anfang 1946 von den Engländern ohne Angabe von
Gründen abgesetzt wurde, rückte Tschadek nach.
Karriere in der zweite Republik
Gefördert von seinem einflussreichen Männerfreund Oskar
Helmer, der vor dem Bürgerkrieg Vorsitzender der Sozial¬
demokratischen Arbeiter-Partei Deutsch-Österreichs (SDAP) in
Niederösterreich gewesen war und Ständestaat sowie NS¬
Regime im Versicherungswesen unbeschadet überstanden hat¬
te, machte der Abgeordnete aus Kiel rasch große Karriere.
Unterstützt wurde er dabei auch von mächtigen Exponenten des
rechten Parteiflügels der damaligen Sozialdemokratie wie Karl
Renner und Adolf Schärf, die die Parteilinke um die ehemali¬
gen Mitstreiter von Otto Bauer praktisch vollkommen ausge¬
schaltet hatten. Tschadek gehörte von 1949 bis 1952 dem
Kabinett Figl II als Justizminister an, zog sich danach auf sei¬
nen auch als Minister beibehaltenen Abgeordnetensitz zurück
und wurde 1956 im Kabinett Raab II wiederum mit seinem al¬
ten Ministerposten betraut. In den damals brennenden Fragen
der Restitution geraubten Vermögens oder der strafrechtlichen
Verfolgung von NS-Verbrechern folgte der Justizminister wohl
im Großen und Ganzen der Linie seines Mentors, Innenministers
Helmer. Der einflussreiche Helmer hatte als langjähriger In¬
nenminister und Vorsitzender der SPÖ Niederösterreich auch
nichts, jedenfalls nicht wirklich, an öffentlich zelebrierten SS¬
Veteranentreffen auszusetzen und war eine treibende Kraft hin¬
ter der Zulassung der „Wahlgemeinschaft der Unabhängigen“
zur Nationalratswahl 1949. Tschadek selbst hatte sich schon 1947
öffentlich in die trickreiche Abwehrfront gegen die Rückgabe¬
ansprüche jüdischer Österreicher eingereiht. „[...] die Be¬
reicherungen einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Österrei¬
chern durch die Beraubung der Juden wurde auf ‚reichsdeut¬
sche Geschäftsleute, reichsdeutsche Krämer’ abgeschoben, die
nach Wien gekommen seien, um jüdische Unternehmen ‚um ei¬
nen Pappenstiel’ zu erwerben, wie der spätere Justizminister Otto
Tschadek in der Nationalratsdebatte um das 2. und 3. Rück¬
stellungsgesetz feststellte‘, deckte die Historikerkommission vor
einiger Zeit auf.
1960 ging Justizminister Dr. Tschadek, der sein hohes Amt
durchaus zu genießen wusste, als Landeshauptmann-Stell¬
vertreter, SPÖ-Klubobmann im Landtag, stellvertretender
Landesparteiobmann und BSA-Obmann nach Niederösterreich.
Dort starb der Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens am
Band für Verdienste um die Republik Österreich, des Gro߬
kreuzes des deutschen Verdienstordens, des Großkreuzes des
päpstlichen Gregoriusordens und des Goldenen Komturkreuzes
mit Stern des Landes Niederösterreich nach kurzer Krankheit
im Jahr 1969 in all seinen Ämtern und Würden.
Von Manfred Wieninger erscheint im Herbst im Haymon Ver¬
lag, Innsbruck, der Kriminalroman „Der Engel der letzten
Stunden“.