von meinem Bruder monatlich, mein
Zins 175 ausmacht und ich also
durch Bitt- und Bettelbriefe das
Notwendigste Monat für Monat her¬
auspressen muß, aber komme einer
und verurteile mich. Das Recht, das
mein Magen täglich auf die ge¬
schmacklose Auskocherei hat, das
gleiche Recht auf Erhaltung hat mei¬
ne arme, ausgehungerte Seele im
Exil.”
Im Gefängnis von San Vittore
Die Kriegsvorbereitungen Italiens
versetzen den Schriftsteller in zu¬
nehmende Alarmstimmung und nach
dem Kriegseintritt seines Gastlandes
am 11. Juni 1940 bleibt er fast nur
mehr daheim, „seitdem so viele von
uns von der Straße und aus den Re¬
staurants geholt werden. [...] Jeden
Tag kann die Entscheidung über uns
fallen, das gemeinsame Schicksal der jüdischen Emigranten
hier.“ Die faschistische Regierung internierte zügig politische
Gegner und „feindliche Ausländer“, zu denen auch die Juden
aus dem nationalsozialistischen Machtbereich gezählt wurden,
wodurch sich, wie Klaus Voigt präzise feststellt, eine Verbin¬
dung von Kriegsmaßnahmen und Rassenpolitik ergab.’ Inmitten
der bedrohlichen Atmosphäre setzte Hakel dennoch die Lek¬
türe der „treuesten Begleiterin seiner Tage in Italien“, der
Göttlichen Komödie, fort und feilte an seinen eigenen Versen,
bis ihn am 7. Juli 1940 frühmorgens zwei Kriminalbeamte ab¬
holten, angeblich zur Paßkontrolle. Schließlich wurde er mit zwei
Dutzend anderen jüdischen Männern ins Stadtgefängnis San
Vittore gebracht. Man nahm den Verhafteten bis auf Wäsche und
Zigaretten alles ab, pferchte sie in viel zu kleine Zellen und ließ
sie über ihr künftiges Schicksal im unklaren. Wollten sie sich
nicht bloß von der „urinfarbigen Minestra (mit Teigeinlage)‘“”*
ernähren, so konnten sie sich, sofern sie über genug Geldmittel
verfügten, bei „beamteten Sträflingen“ Schmackhafteres be¬
stellen; freilich stellt Hakel bitter fest, daß trotz des anfängli¬
chen Geredes von „Kollektiv und Zusammenhalten“ bald nur
mehr die Besitzenden unter ihnen eine „hilfs- und gebeberei¬
te Gruppe“ bildeten und - in getreuer Spiegelung der Sozial¬
ordnung außerhalb des Gefängnisses — „die Nichtbesitzenden
ebenfalls durch die Tatsache des gleichen Verzichtenmüssens‘”.
Über die verheerenden sanitären Verhältnisse in dem von
Schmutz und Ungeziefer starrenden Gebäude, das Verbrecher
genauso wie politische Häftlinge und Landstreicher beherbergte,
mag sich der Leser anhand des im Anhang abgedruckten Ori¬
ginalberichts informieren, wir weisen nur noch auf das Entsetzen
hin, das den Schriftsteller angesichts seiner Zellengenossen be¬
fiel, die mit hochgezogenen Knien am Boden hockend Läuse
suchten: „Erstaunt sehe ich das Urtümliche hervorkommen —
gespenstisch, schauerlich, was aus Menschen wird‘. Anderer¬
seits aber vertreiben sich die Gefangenen die Zeit wieder höchst
menschlich mit Geschichtenerzählen oder durch Teilnahme am
italienischen Sprachkurs des „Bankbeamten H.“ Als nach neun
Tagen ohne Buch, ohne Möglichkeit zu schreiben oder zu zeich¬
nen, die Zustände für Hakel unerträglich zu werden beginnen,
erfährt er zusammen mit einigen Leidensgenossen von der be¬
Foto: Sammlung Archivio Centrale dello Stato, Rom
vorstehenden Uberstellung in die Toskana. Die Häftlinge erhalten
ihre Habseligkeiten zurück, werden aus dem „großen Verb¬
recherbuch“ gestrichen und je einem „Kiberer“ (= Polizeibeam¬
ten in Zivil) übergeben.
Interniert in der Toskana
Nach einer friedlichen Zugfahrt, auf der die Bewacher den
Internierten bald die Handschellen abnehmen, sie rauchen und
Kaffee trinken lassen und schließlich selbst einschlafen, errei¬
chen sie das Landhaus Villa Oliveto bei Civitella della Chiana
— Hakel lokalisiert es durchgehend beim in unmittelbarer Nähe
gelegenen Badia al Pino — in der Provinz Arezzo. Trotz der Über¬
belegung, der unzureichenden Waschgelegenheiten und der un¬
hygienischen Toiletten bedeutet dieses Lager für die aus dem
Kerker kommenden Juden ‚neu gefundene Freiheit: die Natur,
den Himmel, die Sonne, Olivenhaine, Blumen, Bienen, Vögel,
Zypressen, Landschaft“. Den insgesamt etwa 60 Internierten
— Hakel zählt österreichische, tschechische, polnische, rumä¬
nische Juden, „einen Neger, einige Engländer, Franzosen,
Inder“? auf - steht außer dem geräumigen Hof ein Spazierweg
von 600 Metern zur Verfügung, allerdings ist die Verpflegung
auch hier elend und der Streik gegen den ausbeuterischen
Hausherrn und Wirt verläuft erfolglos. Die regelmäßig ein¬
treffende Post wird zensuriert. Man verbringt die Tage mit sport¬
lichen Übungen, Sonnenbädern, Schach- und Kartenspielen,
Musikmachen. Hakel organisiert Lesungen und sucht für sich
selbst die Lagererfahrungen anhand der Lektüre von Goethes
Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten zu interpretieren.
Die hügelige Weite der Toskana ruft das Fernweh der im „be¬
grenzten Gehege“ Festgehaltenen hervor: „Oh diese Fenster¬
landschaften...““* In den überfüllten Räumen des Lagers kann
Hakel sein Bedürfnis nach Alleinsein und Schweigen kaum be¬
friedigen, lediglich in den Nächten gelingt es ihm, sich zu sam¬
meln und in einem unter dem Kopfpolster verwahrten Heft sei¬
ne Einfälle einzutragen. Doch gewinnt er unter den Kameraden
auch einen Freund und häufigen Zuhörer, den Musikstudenten
Wolfgang Neumann aus Breslau.