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Chagall in der Albertina Die Albertina zeigte von Dezember 2004 bis März 2005 die Ausstellung „Marc Chagall — Die Mythen der Bibel“. Chagall (1887 - 1985), einer der bekannten und beliebten Maler der Moderne war fast immer anders als die anderen, anders in seinen Bildmotiven, anders in seiner Farbgebung anders in seinem Bildaufbau. Denn er verließ weder das Bildhafte, noch die Darstellung der menschlichen Gestalt. Trotzdem ist er einer der Wegbereiter der Moderne. In Witebsk im heutigen Belarus (Weißrußland) in einer armen jüdischen Famile geboren, war er im Laufe eines langen Lebens immer wieder gezwungen weiterzuziehen, zu emigrieren. Und bei all seinen - freiwilligen oder erzwungenen — Reisen nimmt er zeit seines Lebens die Bilder und Erinnerungen an die jüdische Kindheit mit. Nach einer kurzen Zeit des Aufbruchs, in der er nach der russischen Revolution Kommissar fiir Bildende Kiinste und Lehrer an einer neugegriindeten Schule für Volkskunst in Witebsk war, verläßt er nach Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen — v.a. mit Malewitsch — zuerst Witebsk und dann Rußland und geht nach Berlin und dann Paris. Und hier beginnt bereits als Folge eines Auftrags des Kunstsammlers und Verlegers Vollard seine erste Auseinandersetzung mit dem Stoff der Bibel. Und er setzt sich dann bis ins hohe Alter mit diesem Stoff auseinander und immer wieder auf neue Art und doch immer wieder gleich, denn nie vergißt er seine Kindheit, die von der chassidischen Gedankenwelt geprägt war. 1941, nach dem Einmarsch der Nazis in Frankreich, welche ihn schon sehr früh „zur Symbolfigur des jüdischen Kulturbolschewismus“ erklärt hatten, muß er wieder fliehen, diesmal in die USA. Nach Kriegsende kehrt er zurück und läßt sich 1955 in Südfrankreich nieder, wo die 16 Gemälde zur Bibel entstehen, die jetzt erstmals außerhalb Frankreichs zu sehen waren und den Kern und Anlaß der Ausstellung bilden. Das „Musee national Message Biblique Marc Chagall“ in Nizza mußte restauriert werden und hatte daher seine Bestände einigen ausgewählten Museen für eine temporäre Ausstellung angeboten, darunter der Albertina, und diese hat erfreulicherweise am schnellsten reagiert. Chagall bleibt sich auch hier treu, vergißt und verleugnet weder die Moderne, noch seine chassidischen Erinnerungen. Seine Bilderwelt ist weit entfernt von dem in unseren Breiten herrschenden Kanon der römischisch-katholischen Kirche, ist bunt und tief, sucht ihresgleichen. Chagall war nicht religiös, er war gläubig im Sinne eines Pantheismus, und so entstand ein Werk im Spannungsfeld jüdischchassidischer Bilder in seinem Kopf und den —nur in den christlichen Religionen erlaubten — Bilddarstellungen der Bibel. Ergänzt wurden die 16 späten Gemälde aus Nizza durch Werke aus Privatbesitz, aus eigenen Beständen der Albertina, und anderen Werken aus Nizza, darunter das bereits 1927/28 entstandene Bild „Der Engel als Maler“, wo er sich selbst als aus 76 einer katholischen Kirche herausfliegenden Maler dargestellt hat. Der Katalogtext ist mir persönlich zu sehr vom christlich-religösen Gedanken beherrscht, und das im Gegensatz zu den bei der Pressekonferenz geäußerten Ansichten der Tochter Chagalls, Meret Mayer. Sie gab der Hoffnung Ausdruck, daß „die Bilder nicht zu etwas Reaktionärem umfunktioniert werden, sondern seine tiefe Menschlichkeit widerspiegeln“. Marc Chagall: Die Vertreibung aus dem Paradies, 1961, Öl auf Leinwand, © VBK, Wien, 2004 (Foto RMN, Gerard Blot) „Jetzt ist er bös, der Tennenbaum“. Versuch über die Zweite Republik und ihre Juden Ausstellung zum Republik-Jubiläum im Jüdischen Museum Wien (20. April — 4. Juli 2005) — eine Ausstellung zum „Jubeljahr“, die recht wenig „Bejubelbares“ zum Vorschein bringt. Natürlich, die Befreiung war und ist für die Juden im allgemeinen und für diejenigen unter ihnen, die aus KZ’s, U-Boot-Dasein oder Ähnlichem befreit und erlöst wurden, eine Befreiung, was sonst. Doch die darauf folgende Zeit stellt in ihrer Stellung zu den Juden — und nicht nur zu ihnen - sicher kein Ruhmesblatt in der Geschichte des modernen Österreich dar, ganz im Gegenteil. In zehn Abteilungen und in einigen zum Teil recht gelungenen Spielen wird das Trauerspiel des Verhältnisses der Zweiten Republik zu den Juden abgehandelt. Dabei wird klar gezeigt, daß der titelgebende Ausspruch des „Herrn Karl“ aus der gleichnamigen Satire von Merz und Qualtinger von Beginn der Zweiten Republik an bis heute seine Berechtigung hat, daß die Scheinheiligkeit, der Opportunismus und die Verlogenheit, die diese Satire offenbar macht, fortbestehen wie und je. Das Thema wird in zehn Räumen in zehn Abteilungen abgehandelt. 1) Diesen ziert Alfred Hrdlickas Original des berühmt gewordenen Pferdes, das in der Auseinandersetzung mit der Verlogenheit des Staates wie des Präsidentschaftskanditaten und nachmaligen Präsidenten Waldheim zum Symbol wurde. Zugleich stellt es das Vokabel „Befreiung“ in Frage ebenso wie die beliebte Formel von der „Stunde Null“. 2) In diesem Teil wird zuerst der allgemein bekannten Lage der befreiten KZ’s und deren angeschlossener Einrichtungen gedacht. Im zweiten, größeren Teil dieses Saales wird auf das Vorhandensein und die Lage der sogenannten DP’s — Displaced Persons — erinnert. Deren Zahl betrug zu Kriegsende rund 1,65 Millionen, mehr als ein Viertel der Bevölkerung. 250.000 davon waren Juden, von denen etwa 12.000 in Österreich verblieben. 3) Für diesen Teil kann man wohl am Besten wieder ein Zitat aus „Herr Karl‘ nehmen: „I hab an Juden gführt, i war a Opfer“. „Stunde Null“ — „Opferrolle“ — „Tabu“: Die „Moskauer Deklaration“ von 1943 diente als Vorwand, um jedwede Auseinandersetzung mit der aktiven Beteiligung vieler ÖsterreicherInnen an den Verbrechen des NS-Regimes und über den Antisemitismus im Lande zu blockieren. An deren Stelle trat „Österreich als das erste Opfer der Hitleragression“. Als ein besonders krasses Beispiel dafür kann das „Feuerwehrhaus“ in Hohenems gelten, wo auf der abgebildeten Gedenktafel die Wahrheit gleich mehrmals gebogen wurde: statt „umgebaut“ stand dort „erbaut“, und das muß so sein, denn sonst könnte man nicht verschweigen, daß es sich um das Gebäude der devastierten, aber nicht zerstörten ehemaligen Synagoge von Hohenems handelte. Erst seit 1991 weist eine Gedenktafel auf diesen Umstand hin. 4) „Entnazifizieung“ — „Persilschein“ — „Nationalsozialistengesetze“: Die Moskauer Deklaration verlangte sehr wohl einen eigenen Beitrag zur Überwindung des Nationalsozialismus. In der allerersten Zeit nach der Befreiung zogen die Allierten noch am selben Strang, wenn es um die Auffindung und Bestrafung der ehemaligen Nationalsozialisten und um deren Entfernung aus öffentlichen Funktionen ging. Doch mit dem Kalten Krieg war es mit einer gemeinsamen Linie der Allierten vorbei. Und das nutzten die politischen Parteien, die österreichischen Regierungs- und Verwaltungsstellen, um die Nationalsozialistengesetze so lax wie möglich zu handhaben. Gleichzeitig wurde am weiteren Ausbau des „Opfermythos‘ gearbeitet, was eine kritische Auseinandersetzung geradezu ausschloß. 5) Zum beschämendsten Kapitel der Rolle der „Österreicher“ in der Nazizeit zählen zweifelsohne die Arisierungen, insbesondere die „Privatinitiativen“ der ersten Tage und Wochen nach dem „Anschluß“; denn danach wurden diese größtenteils „großtechnisch und bürokratisch“ vom Regime selbst durchgeführt. Doch vom Anfang bis zum Schluß war dabei die Rolle der „Österreicher“ eine beschämende. Für die zwar auf dem Papier existierenden „Rückstellungsgesetze“ kann man, was ihre Anwendung und Durchführung betrifft, wohl auch kaum eine andere Bezeichnung finden als beschämend. Die Restitutionen wurden zum Teil „hinausgezögert“, im Dschungel von immer mehr und immer wieder veränderten Vorschriften ins Leere geführt oder aber einfach abgelehnt. Das soll nicht heißen, daß es keine gegeben hat, aber immer mußten die Opfer als Bittsteller auftreten und nicht umgekehrt der Staat seiner Verwaltungsaufgabe und seiner Schuldigkeit nachkommen und die Opfer ausfindig machen und von sich aus entschädigen.