Nichts ist getan, wenn es bleibt:
Weite lehrt Schatten der Schwingen,
die es im Vogelzug treibt;
Unbestand, soll er singen,
darf nicht zur Dauer sich wandeln
und des Gerechten Dom;
tragen nicht Zeugung und Handeln
dich in stetigem Strom?
Für die Entwicklung des Lyrikers Theodor Kramer
dürfte die Freundschaft mit Kalmer wohl von entschei¬
dender Bedeutung gewesen sein. Mit ihm feilte Kramer
die Gedichte der „Gaunerzinke“; Kalmer öffnete ihm die
Bahn zum Lyrik-Preis der Stadt Wien 1928. Geboren in
Nehrybka (bei Przemysl) kam Kalmer schon als Kind
nach Wien, nahm als k. k. Offizier am 1. Weltkrieg teil,
geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Französisch,
Englisch, Spanisch, Russisch, Tschechisch, Polnisch
waren Sprachen, die er im Laufe seines Lebens zu beherr¬
schen lernte, aus dem Hindi und dem Chinesischen über¬
setzte er. Nach einem kurzen Versuch als Fremdspra¬
chenkorrespondent einer Bank (Wunsch des Vaters)
wendet er sich einer literarischen Laufbahn als Lyriker,
Übersetzer, Journalist und literarischer ‚Agent zu. 1920
tritt er mit dem Plan einer „Bibliothek für die Internatio¬
nale des Geistes“ hervor, von angekündigten 40 Bänden
erscheinen drei. Es geht um eine neue „Weltidee“, die
endlich Schluß macht mit dem organisierten Massen¬
mord des Krieges. 1927 erscheint sein erster und einziger
Lyrikband „Flug durch die Landschaft“. Daß Kalmer
sein lyrisches Metier zu meistern versteht, beweist der im
selben Jahr erschienene Band „Europäische Lyrik der
Gegenwart 1900—1925“, eine heute noch lehrreiche und
in ihrer Zusammenstellung einzigartige Anthologie. Kal¬
mer steht der Sozialdemokratie nahe; freilich ohne
Fortsetzung von Seite 4
Hakel in Zusammenarbeit mit Emmerich Kolovic her¬
ausgegebene Zeitschrift „Lynkeus. Dichtung. Kunst. Kri¬
tik“ ein. Acht Nummern erschienen 1948—1951, fast 30
weitere sind seit November 1979 herausgekommen. In
„Lynkeus“ finden sich — sehr zum Unterschied von
anderen Organen der „Gegenwartsliteratur* — immer
wieder Beiträge von Exilierten und Emigranten, von
Alfred Polgar, Friedrich Bergammer, Fritz Brainin, Ina
Jun Broda, Joseph Kalmer, Emil Alphons Rheinhardt,
Berthold Viertel und vielen anderen. Für den Herausge¬
ber existiert die von manchen so geschätzte Trennungsli¬
nie zwischen Lebenden und Toten nicht: Was für die
Praxis einer Friedhofsverwaltung angehen mag, kann für
das Verständnis der Literatur unserer Epoche kaum för¬
derlich sein. Da steht z. B. ein Gedicht von „Joseph
Kalmer (London)“, es ist nicht sogleich durch mitgelie¬
ferte Daten des Ablebens von uns distanziert und durch
diesen Dreh als inkompetent, Gegenwärtiges auszusa¬
in Übersetzungen des Herausgebers eine große und für
das alte Österreich bedeutende Literatur, die jiddische
Literatur. Ein Band „Jiddische Lyrik“, den Hakel schon
1979 als im Manuskript vorliegend annoncierte, ist indes
bis heute nicht erschienen. (Redaktion und Verlag: Her¬
mann Hakel, A-1010 Wien, Babenbergerstr. 1/16).
nähere organisatorische Verbindung. Als Journalist
arbeitet er überwiegend für liberale Zeitungen, und zwar
in den seltensten Fällen als Kulturberichterstatter. Seine
Spezialgebiete sind vielmehr die Verhältnisse in Äthio¬
pien, China, Indien und in Osteuropa. (1935 erscheint ein
Band „Abessinien — Afrikas Unruhe-Herd“, 1947 „War¬
rior of god. The life and death of Jan Hus“). 1938 wird er
als ,,jiidischer Sudeljournalist“ von der Gestapo gefan¬
gengesetzt, kann aber mit einem chinesischen Visum
noch nach Prag ausreisen. Prag verläßt er erst knapp vor
Kriegsausbruch im August 1939 mit einem Flugzeug
nach London. (Bei dieser Flucht gehen wertvolle Manus¬
kripte verloren). In London findet er Beschäftigung beim
Ministery of Information. Unter anderem arbeitet er
auch bei der österreichischen Exilzeitschrift „Zeitspiegel“
mit, für deren junge Redaktion der erfahrene Journalist
sehr wichtig ist. Nach Kriegsende bleibt er in England,
stellt aber enge Verbindungen zu Österreich her. So figu¬
riert er als Londoner Redaktion der Zeitschrift „Plan“
(Wien), die von seinem alten Bekannten Otto Basil redi¬
giert wird, und beteiligt sich an einem kurzlebigen Expe¬
riment, die „Kleine Zeitung“ als Wochenschrift wieder
ins Leben zu rufen. Doch zum Hauptinhalt seiner Tätig¬
keit wird nun das Übersetzen. Das Exil hat vielen Auto¬
ren eine bis dahin ungekannte -Vertrautheit mit den
Literaturen anderer Sprachen ermöglicht, hat ihren gei¬
Leander Kaiser: In der Internationalen Konzession. Aus
dem Zyklus „Für Lu Xun“. (Der Beobachter im Hinter¬
grund ist Lu Xun nachgebildet).
stigen und sozialen Horizont erweitert: Diese Errungen¬
schaften weiß sich Kalmer verpflichtet. Aus Anlaß des 50.
Todestages des chinesischen Lyrikers, Übersetzers,
Fortsetzung auf Seite 8.