Fassaden ein System von Kammern zu finden ist,
Behausungen und Arbeitsplätze, aber diese bleiben nur
Nischen, in denen man sich niederläßt, bevor man wieder
auf die Straßen, in den Verkehr gerät.“
Eine Ausstellung bietet das Vergnügen, das,.was man
geistig in eine Parallele gesetzt hat, nun auch sinnlich
miteinander zu konfrontieren und dadurch vielleicht
einen Schritt weiter im Verständnis des Phänomens zu
gelangen. Gedichte und Zeichnungen zusammenzumon¬
tieren zielt natürlich — diesseits der Ideologie vom
„Gesamtkunstwerk“ — auf ein Aufreißen des sozialen
Hintergrunds und der geschichtlichen Situation, in denen
diese Gedichte und Zeichnungen entstanden sind. „Exil“
ist nicht nur ein wissenschaftlicher Begriff für historische
und literarische Sachverhalte, „Exil“ ist eine reale
Lebenstatsache, die, so sehr sie nur eine Minderheit von
Menschen zu treffen scheint, doch mit dem ganzen (und
unheilen) Lebenszusammenhang gesetzmäßig verbunden
bleibt.
Die Ausstellung erfüllt auch eine naheliegende Aufgabe:
an Österreicher zu erinnern, die 1938 exiliert und nie
wieder zurückgekehrt sind. Brainin und Kramer wurden
1938 viele Entwicklungsmöglichkeiten abgeschnitten, sie
haben dennoch unter großen Schwierigkeiten Wege
gefunden, sich künstlerisch zu artikulieren. Die Ausstel¬
lung soll „uns“ (sozusagen den Dagebliebenen) Gelegen¬
heit geben, das, was sie uns zu sagen haben, zur Kenntnis
zu nehmen.
Konstantin Kaiser
„Vertriebene Vernunft — Emigration österreichischer
Wissenschaft“ ist der Titel eines internationalen Sympo¬
sions, das vom 19. — 23. Oktober 1987 im Palais Palffy,
1010 Wien, Josefsplatz 6, stattfindet. (Veranstalter:
Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte der Gesell¬
schaftwissenschaft und Institut für Wissenschaft und
Kunst in Gemeinschaft mit dem Bundesministerium für
Wissenschaft und Kunst).
Dem wahrlich ungeheuren Stoffkomplex wird nach wis¬
senschaftlichen Disziplinen zu Leibe gerückt. Neben
Berichten von „Zeitzeugen“ (angekündigt sind u. a.
Bruno Bettelheim, Ernest Dichter, Leo Kofler, Hans Zei¬
sel, Hilde Spiel, Ernst Krenek, Friedrich August von
Hayek, Margarete Schütte-Lihotzky) sollen monogra¬
phische „Fallstudien“ Aufschluß über einzelne Forscher¬
persönlichkeiten geben. Hier scheint die bloße Angabe
eines Namens als Thema eines Vortrags ungenügend.
Wenn z. B. eine „Fallstudie“ über Ludwig Wittgenstein
vorgesehen ist, so dürfte es doch kaum mehr darum
gehen, der Unbekanntschaft mit Leben und Werk des
Philosophen abzuhelfen. Was interessierte, wäre der Ein¬
fluß der Erfahrung des Exils auf sein Philosophieren,
bzw. seine verdeckte Auseinandersetzung mit der NS¬
Ideologie. Dieser Einwand hat allerdings nur bei den
ohnehin prominenten Namen Berechtigung. Doch selbst
bei ihnen sind Verlauf und Umstände ihres Exils oft
wenig bekannt.
Die Tendenz des offiziellen Österreich, das Exil nur so
weit zur Kenntnis zu nehmen, als es die Exilierten aus
eigener Kraft zu internationalem Ansehen gebracht
haben und sich ihre Heimat mit ihnen: nun zieren karin,
scheint bei dem Kapitel „Literaturwissenschaft“ voll
durchgeschlagen zu haben. Hier werden „Fallstudien“
über Robert Musil, Jean Améry, Hermann Broch und
Manes Sperber angeboten, über Autoren von Format
also, deren Ehrgeiz aber nicht auf die Literaturwissen¬
schaft ging. Ernst Fischer und Paul Reimann etwa, die
sich im Exil um Deutungen der österreichischen Litera¬
turgeschichte bemühten, hätten hier eher ins sachliche
Gesamtkonzept gepaßt.
„Vertriebene Vernunft“ schließlich ist nicht eben ein
glücklich gewählter Titel. Vertrieben wurden 1938 (und
bereits davor) Wissenschaftler jüdischer Abstammung,
politisch engagierte Wissenschaftler/innen, bzw. (und
dieses Problem ist noch komplexer) solche, deren über-.
wiegendes Forschungsinteresse unliebsam geworden
war. Nicht erst durch ihre Vertreibung wurde die Herr¬
schaft des Vernunftwidrigen in Österreich etabliert. Die
Vertreibung vorwiegend jüdischer Wissenschaftler/in¬
nen ist vielmehr eine Folge jener „Zerstörung der Ver¬
nunft“, deren Höhe- und vorläufigen Endpunkt der
Nationalsozialismus darstellte.
1983—1986 fand im Institut für Wissenschaft und Kunst
ein von Konstantin Kaiser geleitetes Seminar „Zur antifa¬
schistischen Literatur Österreichs (1934— 1945)“ statt.
(Es mußte eingestellt werden, da das Publikumsinteresse
von Semester zu Semester geringer wurde). Ein Teil der
Vorträge, die in diesem Seminar gehalten wurden, wer¬
den jetzt unter dem Stichwort „Vergessene und Unbe¬
kannte“ in den Mitteilungen des Instituts für Wissen¬
schaft und Kunst (A-1010 Wien, Bergg. 17) Nr. 2/1987
publiziert. Beiträge von Karl-Markus Gauß, Christian
Hawle, Konstantin Kaiser, Harald Sattek, Horst Fassel
und Erich Hackl beschäftigen sich mit Martina Wied,
Richard Zach, Joseph Kalmer, Peter Roessler, Emil
Alphons Rheinhardt, Ferdinand Bruckner, Leo Katz und
Alfredo Bauer.
Beginnend mit dem Jahr 1984 gibt die Dokumentations¬
stelle für neuere österreichische Literatur, 1060 Wien,
Gumpendorfer Str. 15/13, einen Pressespiegel „Öster¬
reichische Literatur“ heraus. Diese jährlich erscheinen¬
den Pressespiegel im Umfang von. jeweils ca. 100 Seiten
dokumentieren kritische Reaktionen auf die in den
betreffenden Jahren publizierte österreichische Litera¬
tur. Natürlich kann es sich hierbei nur um eine Auswahl
handeln. „Es soll“, so die Dokumentationsstelle, „ein gut
orientierender Überblick über die österreichische literari¬
sche Szene gegeben werden, aber auch ein Eindruck von
der Art und Qualität der literarischen Kritik.“ Die
„Szene“ beschränkt sich aber nicht auf die sogenannte
„Gegenwartsliteratur“ — wir finden im „Pressespiegel“ u.
a. Besprechungen von Büchern von J. Am£ry, G. Anders,
R. Ausländer, E. Canetti, P. Celan, E. Fischer, E. Fried,
F. Grünbaum, F. Hochwälder, A. J. Koenig, Th. Kramer
usw. usf. Aufgenommen werden in der Regel nur solche
Buchbesprechungen, die schon durch ihren Umfang tiber
ein bloßes Hinweisen auf ein lesenswertes Buch hinausge¬
hen und einer gewissen (manchmal erbärmlichen,
manchmal glanzvollen) geistigen Auseinandersetzung
des Kritikers mit dem Werk Raum geben. Der „Presse¬
spiegel“ ist zum Preis von öS 90,— über die Dokumentat¬
ionsstelle für neuere österreichische Literatur zu
beziehen.