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Revolutionen, die deutschen und österreichischen Revolutionen 1918/19, die Räterepubliken 1919 (München, Budapest), die Siegergebärde der tschechischen, ungarischen und anderer Nachfolgestaaten nach dem Zerfall der österreichischen Monarchie, die Machtübernahme der Sozialdemokratie in der Republik Österreich u.v.m. Die hier skizzierten Ängste und Bedrohungen werden im ’gebesserten’ Bettler (das Welttheater ist ja u.a. auch ein Besserungsstück) gebannt; zunächst aber wird der Gesellschaftsbewegung, d.h. dem neuen Anspruch des 4.Standes in der rebellierenden Figur Ausdruck verliehen.!? Es ist faszinierend, wie Achbergers erhellende Analyse der Bettlerfigur gleichsam im Bernstein der allegorischen Form noch das alte Wesen des Dramas durchschimmern läßt: Während das Welttheater ostentativ die Gesellschaftsordnung, d.h. den sozialen Frieden thematisiert und allegorisch bekräftigt, wird in seinem Inneren doch die Rollenverteilung problematisiert und bildet die Rebellion des Bettlers das dramatische Movens: ohne ihn wäre das Stück kein Theater sondern ein tableau vivanı.!! Freilich: das Wesen ist tot, es kann die allegorische Form, von der es umschlossen wird, von selber nicht mehr sprengen. Bestimmten Rahmenbedingungen aber könnte es gelingen - und Achberger scheut sich hier nicht, weit auszuholen: In der Tat weist die Bettlerfigur mit den Anklängen an Saulus/Paulus auf dem Weg nach Damaskus und an Christus selbst zurück auf das - durchaus revolutionäre — Urchristentum. Es ließe sich in diesem Sinn auch eine heutige Aufführung des Salzburger Großen Welttheaters in einem mittelamerikanischen katholischen Kirchenrahmen denken, etwa San Salvador oder Nicaragua, die mit Glaubwürdigkeit das revolutionäre Pathos des Bettlers stärker hervorkehren würde als seine Rückführung in den Status quo.” Die Bedingungen der Uraufführung indessen waren einer solchen vielleicht möglichen Interpretation geradezu entgegengesetzt: ihre Devise findet sich in der Fackel: “Ehre sei Gott in der Höhe der Preise”'?. Für das Studium der Zwanziger Jahre - so schließt Achberger seine Interpretation - bietet sich kaum ein aufschlußreicheres Beispiel als dieses Welttheater: in seinem nahtlosen Ineinander von Literatur, Glauben, Politik und Spektakel. Nicht umsonst wird diese Art von Theater zum Lehrbeispiel für den Gegner, zum Modell für die sozialdemokratischen Feierspiele! Die Schlußpointe des kleinen Essays bringt den methodischen Ansatz der Arbeiten Achbergers auf den Punkt: alles in Zusammenhang zu bringen, auch das Entfernteste und Extremste miteinander zu konfrontieren, um aus diesen Gegensätzen die Erkenntnis der Epoche zu gewinnen. Die Verinnerlichung von Hofmannsthals allegorischem Ordnungs- und Ständetheater findet sich ein Jahrzehnt später in der Lyrik Joseph Weinhebers. In dem Aufsatz über Theodor Kramer und Weinheber aus dem Nachlaß Achbergers, der posthum in der Zeitschrift Mit der Zieharmonika erschienen ist, wird diese Verbindung zwischen Weinheber und Hofmannsthal hergestellt: und zwar anhand der Figur des Bettlers. Wobei auch hier wiederum die Differenzierungskraft Achbergers den gesellschaftlichen Wandel, der Hofmannsthal von Weinheber trennt, sinnfällig zu machen vermag: Im Welttheater wird der Bettler bekehrt und zum Erlöser verklärt, bei Weinheber (in dem Gedicht Sankt Martin mit dem Mantel) wird er derb an seinen Platz verwiesen. Dieses 1935 entstandene und 1936 zuerst veröffentlichte Gedicht hat die 1933 in Deutschland und 1934 in Österreich vollzogene Zerstörung der besitzbedrohenden Arbeiterbewegung bereits in sich aufgenommen und zwar aus der siegreichen Perspektive.” Auf diesen Wegen geschichtlicher Erfahrung ist Hofmannsthals allegorische Bettlerfigur in Weinhebers Lyrik gewandert und mit ihm das ganze Ständemodell. Mit der Etablierung des sogenannten Ständestaates in Österreich und des nationalsozialistischen Staats in Deutschland hat die Aufnahme solcher Allegorien natürlich eine ganz andere Brisanz. Das Bemerkenswerte an Achbergers Aufsatz ist nun aber, daß er diesen StändeAllegorien nicht die Klassenallegorien der sozialdemokratischen und kommunistischen Agitprop-Kunst entgegensetzt, sozusagen die richtigen Abstraktionen den falschen. Vielmehr gibt er zu bedenken, daß auch die richtigen Abstraktionen in der Literatur Ausgrenzung bedeuten. EIf exilierte Schriftsteller: Ernst Biocu, Berrout Brecut, FERDINAND Bruckner, Atrrep Désuin, Lion FsucutWANGER, Oskar Maria Grar, WIELAND HERZFrELDE, Heinrich Mann, BERTHOLD VIERTEL, ERNST WALDINGER, F. C. Weıskopr, beschlossen während des Krieges, in Amerika einen deutschen Verlag zu gründen, und nannten ihn AURORA VERLAG NEW YORK Herzfelde und Viertel Friedrich Pfäfflin, Mitarbeiter des Schiller-Natinalmuseums in Marbach am Neckar, hat sich, schon in seiner Zeit als Lektor des Kösel-Verlages in München, große Verdienste um die Erschließung von Werk und Biographie Berthold Viertels erworben. Seine Publikationen -in den “Nachrichten aus dem KöselVerlag” und im “Marbacher Magazin” — waren lange Zeit die einzige Quelle, aus der Verläßliches über den komplizierten Lebensweg und die weit ausgreifende Tätigkeit Viertels entnommen werden Konnte. Mit der Erschließung des Briefwechsels zwischen dem Verleger und Schrifisteller Wieland Herzfelde und Berthold Viertel hat Pfäfflin einen weiteren Beitrag nicht nur zur Viertel-Forschung, sondern ebenso zur Erforschung der Geschichte des deutschsprachigen Exils in den USA geleistet. Dokumentiert wird die Entstehung des im Sommer 1944 in New York gegründeten AuroraVerlags, des wichtigsten deutschsprachigen Exil-Verlags in den USA. In diesem Zusammenhang erscheint Herzfelde in den Briefen als der unablässig für sein Projekt Werbende, während Viertel, hierin wahrscheinlich von der Stellungnahme anderer Exilschriftsteller nicht allzusehr abweichend, der Verlagsgründung abwartend und skeptisch gegenübersteht. Einen wahren Spießrutenlauf von Einwänden, Änderungswünschen und Bedenklichkeiten muß Herzfelde über sich ergehen lassen. Ihm scheinen als nächste Mitarbeiter F.C. Weiskopf und Ernst Waldinger zur Seite gestanden zu haben. Schließlich ist der Bann gebrochen, als der von Bertolt Brecht vorgeschlagene Name “Aurora”