2 = „Arzt an vielen Fronten“ —
Fritz Jensen
Theodor Waldinger, der von der
Autorin wiederholt um Auskunft
gebeten wurde, war dennoch mit dem
Resultat nicht ganz zufrieden. Wohl be¬
grüßte er das Erscheinen des Buches,
lehnte aber die einseitig-heroisierende
Art, in der da der Arzt, Kommunist,
Journalist, Übersetzer und Lyriker Fritz
Jensen (1903 -— 1955) dargestellt wurde,
ab. Theodor Waldinger fehlte in dem
Buch die Widersprüchlichkeit dieses
Charakters, in dem sich zupackende
Selbstsucht und kühne Opferbereit¬
schaft faszinierend verbanden. Aus
Waldingers Autobiographie wird man
einiges darüber erfahren. In der Tat exi¬
stieren in dem Buch Widersprüche nur
so weit, als sie von außen an das beharr¬
lich fortstrebende Individuum Fritz
Jensen herangetragen werden: also als
Hindernisse, die es mit Bravour zu mei¬
stern gilt. Auch Jensens nicht ungalan¬
tes Verhältnis zum schöneren Ge¬
schlecht bleibt unterbelichtet, wie über¬
haupt Frauen im politischen und kultu¬
rellen Männerbild der Biographin eine
geringe Rolle zu spielen scheinen. Die
Bibliographie im Anhang, um kleinli¬
cheres anzumerken, hätte ruhig weniger
dürftigsein können, und ein Verzeichnis
der Quellen und nachgelassenen Schrif¬
ten Jensens hätte auch nicht geschadet.
Ernst Fischer wird zwar einmal als ein
Freund Jensens bezeichnet, daß er aber
dessen posthumen Band „Opfer und
Sieger. Nachdichtungen, Gedichte und
Berichte“ (Berlin: Dietz 1955) mit
einem kleinen Vorwort-Essay einleite¬
te, erfährt man nicht. Dort schreibt
Fischer, die ideale Linie Jensenscher
Widersprüchlichkeit angebend und die
Bemühung um Jensen großzügig recht¬
fertigend:
Das ungestüme Temperament Fritz
Jensens vereinigte sich mit hohem Be¬
wußtsein, die ewig junge Lust am Leben,
an seinen Spannungen und Gefahren,
Verheißungen und Überraschungen, mit
der ewig neuen Bereitschaft, dieses wun¬
Die „Felonen“ im „Kaiserpark“.
Vln.r.: Felix Kohn (,Felo’, später
Kolm), Carl Spitz, Fritz Kolari, Fritz
Jensen, Theo Waldinger. Foto zur Ver¬
fügung gestellt von Eva Barilich.
grimmig sprach er vom so „penetranten, ‚gemütlichen’ Antisemitismus Wiener
Prägung“. Von Ernst Waldinger unterschied ihn nicht nur seine Unversöhnlich¬
keit gegenüber den Biederen, Lauen, den feigen Versöhnlern - ihm wäre es auch
unmöglich gewesen, so wie sein Bruder „im Weltenbrand dem Feilen seiner
Verse zugewandt“ (Theo über Ernst, Karl Kraus zitierend) zu verharren.
Auf der anderen Seite, der „politischen“ sozusagen, rieb er sich, in Gesprächen
wie in seiner Autobiographie, immer wieder an der Persönlichkeit eines Jugend¬
freundes, an Fritz Jensen. Jensen, Arzt, Schriftsteller, Kommunist, der 1955 bei
einem Flugzeugattentat ums Leben gekommen war, verkörperte in seinem
Wesen, im politischen wie privaten Umgang, einen Lebensentwurf, der Theo
lange verlockend erschienen sein mag und dem er doch (wie Elsa Leichter zu
berichten weiß) schon in seiner Jugend nicht entsprach. In einer Erzählung
beschrieb Ruth Tassoni Fritz Jensen als „gedrungen und energisch, heftig und
herausfordernd“. Diese Charakterisierung läßt ahnen, weshalb Fritz Jensen
Theo gleichermaßen fasziniert wie irritiert hat. _
Ruth Tassoni ist übrigens eine der alten Weggefährten, zu denen er in den letzten
Jahren wieder Kontakte aufnahm. „In meinen frühen Wiener Jahren“, schreibt
sie, „und dann später in der Emigration habe ich Theo nur sporadisch getroffen;
es war erst in den letzten zwei Jahren, daß mir Theo menschlich so vertraut wurde,
daß er alte Verbindungen wieder aufleben ließ und daß ich jeder Begegnung
dankbar entgegensah. Diese Begegnungen hatten, wie alles, was man im späten
Alter erfährt, ihre eigene Bedeutung: sein lieber, stolpernder Gang, seine konzen¬
trierten Gespräche, seine unermüdliche Arbeit an der Herausgabe von Ernst
Waldingers Gedichten und Essays und seine atmosphärenreiche Einleitung dazu
- alles das bleibt mir unvergeßlich. Eigentlich fing sein wahrhaft schöpferisches
Leben erst in diesen späten Jahren an, was Verlust und Trost zugleich bedeutet.“
Es gibt Menschen, die davor zurückschrecken, die verschiedenen Kreise ihrer
Freundschaften miteinander zu vernetzen: Man hat Freunde aus der Schulzeit,
solche, die einem im Berufsleben, im Urlaub, in verschiedenen Ländern, Spra¬
chen, Lebensabschnitten zuwachsen. Theo war einer der wenigen, der seine
Freunde großzügig, und mit großem Vergnügen, einander schenkte. Wenn wir
heute an ihn erinnern, dann erinnern wir uns auch an alle, die wir ohne ihn nicht
kennengelernt hätten. Und sie erinnern sich vielleicht, ihn erinnernd, an uns.
„Die Heimat wurde mir Fremde, aber die Fremde mir nicht Heimat“ lautete der
Titel eines Vortrags, in dem ein Wissenschaftler an diesem Ort über seine
Begegnungen mit exilierten Österreichern referiert hat. Ich weiß nicht, ob diese
Formulierung für Theo Waldinger je zugetroffen hat. Aber ich bin mir sicher,
daß er sie an ihrem Lebensende in ihr Gegenteil verkehrt hat-die Fremde wurde
ihm vielleicht Heimat, doch die Heimat ist ihm nicht fremd geworden. Deshalb
sollten wir heute nicht trauern, sondern uns mit dem abwesenden Freund freuen.