Rudolf Haller
Über Willy Verkauf-Verlon
Die Frage, ob die Kunst ins Leben eingreift, scheint überflüssig, wenn
man daran denkt, daß kaum ein gegenstand wie das Kunstwerk mit
gleicher Heftigkeit das Gemüt der Menschen - soweit sie eben mitihm
in Berührung kommen - zu erregen vermag. Die Leidenschaft der
Kontroversen über die moderne Kunst, der Eifer unaufhörlichen Pro¬
testes und der Erregung, das Partei-Ergreifen für die eine oder andere
Seite sind deutliche Symptome dieser Tatsache. Aber was es ist, das
die Menschen berührt und bewegt, ist nicht so offenkundig. Die
meisten freilich denken bei der Beantwortung der Frage, ob Kunst ins
Leben eingreift, an das individuelle emotionale Erlebnis des freudigen
oder erschütterten Ergriffenseins, der Resonanz eines Werkes auf dem
Boden der Gefühle und Stimmungen. Und in der Tat Haben sowohl
eine der Kunstrichtungen dieses Jahrhunderts wie eine der ästheti¬
schen Theorien den Ausdruckscharakter in das Zentrum gerückt.
Aber soweit Kunst eine „Sprache“ sein kann, also jedenfalls auch ein
Mittel der Mitteilung und Verständigung, soweit teilt sie auch gewisse
Eigenschaften, die den Zeichensystemen der Sprache typischerweise
eigen sind, nämlich durch den eigenen Charakter andere Gegenstände
präsentieren zu können, außer als Selbst-Präsentation auch als Fremd¬
Präsentation zu wirken. Zu den Funktionen der Wortsprachen gehört
aber auch noch das, was Karl Bühler, der im Wien des Wiener Kreises
lehrende und aus Wien vertriebene Sprachtheoretiker und Psycholo¬
ge, die Appellfunktion der Zeichenverwendung nannte.
Künstler, die bewußt und absichtlich ins Leben der Menschen eingrei¬
fen wollen, bedienen sich also eines Mittels, das in jeder Sozietät und
Kommunikationsgemeinschaft unabdingbar ist, des Mittels der Auf¬
forderung etwas zu tun, wie das in allgemeinen religiösen, moralischen,
politischen oder wirtschaftlichen Lebens- und Verhaltensregeln auch
geschicht.
Engagierte Kunst ist jedenfalls der Ausdruck solcher Absicht, in das
Leben der Menschen, der Sozietät bewußt einzugreifen. Freilich, im
engeren Sinne des etablierten Begriffes der engagierten Kunst besteht
diese in der Parteinahme für oder gegen eine Meinung von politischer
Bedeutung, ja ist selbst eine politische Stellungnahme und zugleich
eine Aufforderung, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Über Verlon,
über Verkauf oder Verkauf-Verlon ist viel geredet und geschrieben
worden. Schon als Student bin ich seinem Namen begegnet. Und noch
in den Fünfzigerjahren machte sein Buch „DADA, Monographie
einer Bewegung“ auf etwas aufmerksam, was bei dem Künstler Verlon
wiedergefunden werden kann: das Aufbrechen von Wirklichkeit, um
andere ihrer Dimensionen kennen zu lernen. „Dada“ als Aufrütte¬
lungsinstrument ist in die Arbeit von Verlon eingegangen. Denn
Verlon, d.i. Willy Verkauf, war von Anbeginn an daran interessiert,
Kunst als Aufrüttelung, als Symbol und Forderung zugleich zu produ¬
zieren. Und was sollte symbolisiert, was gefordert werden? Eine
Antwort könnte lauten: die condition humaine. Was gefordert wird,
ist: ihre Gefährdung zu erkennen, an ihrer Restitution mitzuwirken!
„Kunst ist eine Sprache, ein Kommunikationsmittel“ — so schrieb
Verlon einmal und setzte die Bedingung hinzu: — ,,Wenn nicht, dann
wird sie zur leeren Äußerlichkeit, zum Platzfüller in einer entseelten
Konsumwelt.“
Darum sind alle Beschreibungen des Schaffens von Verkauf-Verlon
auf die Aufgabe, die er sich setzt, gerichtet und bemüht, diesen
Vorrang zu unterstreichen. Und wer Augen hat, kann es nicht überse¬
Die Verlon-Ausstellung Was geschah mit den Saat¬
körnern...? Bilder und Gedichte ist noch bis 8. 11.
1992 im Bezirksmuseum Meidling, Wien 12., Ko¬
bingerg.7, zu sehen. (Mi.10-12 u. 16-18, So.10-12".).
Helga und Willy Verkauf-Verlon Preis
Am7. April 1992 wurde im Dokumentationsarchiv
des österreichischen Widerstandes dieser „für
österreichische antifaschistische Publizistik“ ge¬
stiftete Preis an Dr. Fritz Hausjell vergeben. (Der
Preis ging 1991 erstmals an Herbert Exenberger,
siche dazu MdZ 2/1991, 14-16). Die Laudatio hielt
Univ.Prof. Dr. Wolfgang R. Langenbucher.
Willy Verkauf-Verlon begründete, als einer der
Stifter des Preises, die Preisvergabe:
Als wir, Helga und ich, vor einigen Jahren über die
Realisierung der Stiftung dieses Preises sprachen,
beschäftigte uns auch die Frage, wie wir diesen
Preis nennen sollten. Mit dem gewählten Titel „Für
österreichische antifaschistische Publizistik“ sind
wir nicht ganz glücklich. Eine genauere Definition
wäre uns nach den Erfahrungen, die wir alle
gemacht haben, lieber, denn unter dem Banner des
Antifaschismus wurden da und dort auch Men¬
schenrechte verletzt, Verbrechen gegen die Mensch¬
lichkeit begangen. Wenn wir die Faschismen ver¬
schiedener Couleurs in erster Linie als unmensch¬
lich, antihumanitär, barbarisch beurteilen, so sollte
der Antifaschismus genau das Gegenteil ausdrük¬
ken: Menschlichkeit, Humanität, Humanismus.
Aber leider fanden wir keine Bezeichnung, die
diese Einstellung klar zum Ausdruck bringt.
Wir sind am Ende unseres Jahrhunderts in eine
Situation geraten, in der dank der neuen Kommu¬
nikationsmittel die Ausreden über das Nichtwissen,
das Nichterfahren des Bösen nicht mehr gelten.
Deshalb ist auch die Verantwortung derjenigen, die
sich der Informations- und Kommunikationsmittel
bedienen, größer als je zuvor.
Wer die Liste der Veröffentlichungen, Rundfunk¬
beiträge, Vorträge, Forschungsarbeiten von Dr.
Hausjell liest, muß feststellen, daß Fritz Hausjell
sich dieser Verantwortung voll und ganz bewußt ist.
Dieses Verantwortungsbewußtsein vermittelt er