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20 fordert Überwindung.“ Als Konstantin Kaiser forderte, der Name eines Mannes wie Josef Weinheber dürfe nicht mehr auf einer Schule, nicht mehr auf einer Straßentafel stehen, war die Gemütlichkeit zu Ende. Kaiser wurde in seinen Ausführungen durch Schreie der Empörung unterbrochen. Am wildesten gebärdete sich der Mittelschulprofessor Walter Marinovic, langjähriger Vorsitzender und nunmehr Ehrenobmann des Verbandes der Professoren Österreichs. In deren Zeitschrift „Der Professor“ garnierte er (Nr.1/1991) eine Polemik gegen den amtierenden Unterrichtsminister Rudolf Scholten mit einer Anmerkung zur Herkunft des Ministers: ,.... 35 Jahre, großbürgerliche Familie, die, wie man hört, Pfefferkorn hieß ...“ Was soll ich, selbst dieser „selbsternannte GroBinquisitor“ Dr. Kaiser, zu all dem sagen? Daß, nach einem griechischen Sprichwort, die Krabbe in ihrem Loch König ist? Oder daß ich, wenn ich mein Kind zur Schule bringe, das Schulhaus nicht einen Verehrer Adolf Hitlers gewidmet finden möchte? Die „Zucht“, die Weinheber dem Wort angetan hat, mag anderswo geehrt sein: nur nicht auf einer Schule. Definer WORTE DEUTSCHER DICHTER DEM FUHRER Deutschlands Genius, Deutschlands Herz und: Haupt, Ehre Deutschlands, ihm solang’ geraubt. Macht des Schwerts, daran die Erde glaubt. Finfzig Jahr und ein Werk aus Erz. Übergroß, gewachsen an dem Schmerz. Hell und heilig, stürmend höhenwärts. Retter, Löser, der die Macht bezwang, Ernte du auch, dulde Kranz und Sang: Ruh’ in unsrer Liebe, lebe lang!. JOSEF WEINHEBER Josef Weinhebers Gedicht „Dem Führer“ in „Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht (Abteilung Inland) zum Geburtstag des Führers 1941“ Erläuterung Herrmann Görings im Geleitwort: „Aus diesen Bekenntnissen der Dichter spricht die Liebe des deutschen Volkes zu seinem Führer“. Die malerische Weinstadt Krems ist für viele ein Synonym für eine ProvinzNazi-Stadt mit traditionellem Antisemitismus. Die Kleinstadt am Beginn der Wachau ist erst 1992 wieder ordentlich ins Gerede gekommen: Neonazis „ostmärkischer* und „reichsdeutscher“ Provenienz hatten im benachbarten Langenlois, Österreichs größter Weinbaugemeinde, seit Jahren Wehrübungen und einschlägige Treffen veranstaltet, die im deutlichen Geruch der „Wiederbetätigung“ standen. Diese Aktivitäten wirbelten sogar im immer noch weitenteils zumindest latent antisemitischen Österreich derartigen Staub auf, daß sich Österreichs Parlamentarier innerhalb weniger Wochen zu einer beachtenswerten Novellierung des „Verbotsgesetzes“ (gegen nationalsozialistische Wiederbetätigung) am 26.2.1992 aufrafften. Einige Jahrzehnte vorher, 1938, bestand in Krems eine kleine, aber rührige jüdische Gemeinde. Der 1959 in Krems geborene Historiker Robert Streibel hat es exemplarisch unternommen, der Vertreibung und Ermordung von Juden einer überschaubaren Gemeinde mit Akribie und Einsatz nachzugehen. Es ist ihm gelungen, das Schicksal fast aller in Frage kommenden Juden aufzurollen und zu dokumentieren. Die Rekonstruktion des damaligen Zustandes erfolgt mit bedrückender Klarheit und einer Wissenschaftlichkeit voll menschlicher Anteilnahme. In Interviews und brieflichen Kontakten zeigt Streibel den realen Stand der Aufarbeitung der Ereignisse nach der nationalsozialistischen Machtergreifung. Die Erfahrungen der Betroffenen, ihre Verzweiflung wirken, Jahrzehnte nach der Verfolgung, nach und führen oft zu einem „Verdrängen“, wie wir es sonst nur von denen kennen, die angeblich nichts gesehen haben. Wir verstehen es, wenn ein als Jude Verfolgter wie Benedikt Friedmann (in: Iwan, hau die Juden! St. Pölten 1989, 66 S.) sogar im heutigen Israel gegen die Tendenz kämpfen muß, die schrecklichen Ereignisse von damals einfach zu „vergessen“. Streibel zitiert den Brief einer ehemaligen Kremser Jüdin, die heute in den USA lebt und ein Treffen mit Streibel ablehnte: Wir können die Aufregung bei diesem Buch nicht verkraften. Man würde dann nur davon sprechen, was gewesen ist und was heute noch in Österreich los ist. Wir leben hier so in Frieden und hören nie etwas Antisemitisches, und da wir beide schon 65 Jahre alt sind, ist es gar nicht wichtig, was sich in Osterreich oder Krems tut. Unsere Kinder haben kein Interesse daran, sprechen nicht einmal Deutsch, und für uns alte Leute ist esganz egal, was die Nazis wieder anfangen. Viele ehemalige Kremser Juden haben indes reges Interesse an ihrer früheren Heimat gezeigt und Streibels Forschungen nachhaltig unterstützt. Das, was sie bezeugen, und das, was die heutigen Kremser wissen wollen, klaffen weit auseinander. Die Amsterdamer Soziologin Anna Gevers, die derzeit das Geschichtsbewußtsein der Kremser untersucht, bekommt immer wieder die Angst älterer Leute zu spüren, die Repressalien fürchten, falls bekannt würde, daß sie „zu viel von damals“ erzählt haben. Für viele vertriebene Juden ist die „Arisierung“ ihrer Vermögens eine immer noch offene Frage. Die Erkenntnisse Streibels zu dem Thema belegen ein trauriges Kapitel österreichischer Aufarbeitung von Unrecht: Eine Wiedergutmachung ist praktisch nicht erfolgt. Wenn es nach den professionellen Beschwichtigern gegangen wäre, hätte man es beim Gedenk- und Bedenkjahr 1988 belassen sollen. Doch das Myzel, das nicht erst 1938 zu wuchern begonnen hatte, hat auch 1945 beileibe nicht aufgehört zu wachsen. Irene Etzersdorfer („Die Presse“, 7. März 1992) unterstellt Streibel, den Leser nicht „involvieren“ zu können. Natürlich, mit einer Feststellung hat sie recht: „.. Bürgermeister von Krems wird Robert Streibel so bald nicht werden“. Wir wünschen ihm das auch nicht, denn Bürgermeister-Kandidaten wird die ehemalige Gauhauptstadt von Niederdonau schon finden. Aber Histo