Ich bin das Wilde, Dumpfe, das man schlug.
Das man erschlagen, weil es fremd und stumm;
Was schlau und müde Karren schleppt und Pflug,
dem legt der Mörder bunten Halsschmuck um.
Mir ward, die ihre Öde klagt und schnarrt,
Die Nacht der Raben freundlich zugesellt,
Die im Geröhre ächzt, in Birken knarrt
Und vor dem Licht der warmen Dörfer hält.
Mir ward ein Regenhimmel, graulich schwer,
Der zäh und stickig niederplumpt ins Luch,
Das Fell am Leib, an meinem Hirn die Wehr,
Nicht Hund, noch Peitsche, Stall und Trog und Tuch.
Das tierisch Mächtige hat sie entsetzt,
Das arglos Fromme meuchelt ihre List:
Daß es verende, wund und tot gehetzt,
Die Erdenkindheit, die doch nicht mehr ist.
Wir hören jetzt Auszüge aus dem Gedicht
(...)
Was scheltet ihr mich?
Was spottet ihr mein?
Weil meine Welt flach ist, wenig Schritt im Geviert, engumbaut,
Voll ruhmlos kleinlicher Dinge (...)
Erfüllt vom Klappern der Näpfe, Brodeln der Töpfe, den häßlichen Dünsten
schwitzender Fette, überschäumender Milch?
Weil ich bauchige Mehltonnen hebe, (...) Muskatnuß reibe, Kräuter wiege (...)
goldgelbes Dotter in blauem Becher zerquirle?...
Ja,
Wißt ihr denn, was die türkische Kaffeemühle in Sarajewo sah
Und im böhmischen Eger mein Krug (...)?
Wißt ihr,
Daß für mich große schwarzrauchende Schiffe alle Meere befahren,
Ga)
Daß, wenn die bleichen Körner durch meine Finger rieseln, stille Gesichter der
Männer Ranguns mich schaun
Oder das dunklere Antlitz des Negers singt (...)?
Daß aus dem hölzernen Teekästchen (...) eine Inderin steigt (...)?
Aus Zwiebelschärfe hallen mir kräftige Stimmen bulgarischer Bauern wider.
Und ich frage zäh quellende Tropfen, ob nicht der Ölbaum meiner fremden,
verlorenen Heimat sie schuf. (...)
Ein anderes Stadtwappengedicht
(Es zeigt einen in Rot gerundeten silbrigen Aal mit Flügeln und goldener Krone.)
Alles ist seltsam in der Welt;
Ich bin Anfang und Ende.
Wasser, das dir vom Auge fällt,
Morders Scharlachspende
Netzt meine flügligen Hände.
Lauwarmer Tee!
Eine mißlungene Biographie
Stella Kadmons
Die Schauspielerin und Theaterleiterin
Stella Kadmon ist ein Teil der innovati¬
ven, experimentellen österreichischen
Theatergeschichte. Eine „Theaterle¬
gende“ abseits der offiziellen Theater¬
betriebsamkeit, die auf eine 50 Jahre
andauernde Theaterpraxis verweist.
(Vgl. S. Bolbecher: Vom „Lieben Augu¬
stin“ zum „Theater der Courage“. Ein¬
nerung an Stella Kadmon. In: Zwischen¬
welt 2. Die Welt des Jura Soyver. Wien
1991, 99-114).
Als sie, die 1931 in Wien mit „Der liebe
Augustin“ die erste Kleinkunstbühne
gegründet hatte, aus dem Exil in Palästi¬
na nach Wien zurückkehrte, geriet sie in
eine Atmosphäre des mißbilligenden
Staunens, daß sie noch lebte. Mit ihrem
„Theater der Courage“ konnte sie
dennoch bestehen. Die Rettung vor der
Schließung brachte zunächst der Rück¬
griff auf Erfolge im Exil und die Er¬
kenntnis des ungeheuren Nachholbe¬
darfs an internationaler zeitkritischer
Dramatik. Die Bilanz des „Theaters der
Courage“ zwischen 1947 und 1979 weist
121 österreichische oder deutschspra¬
chige Erstaufführungen und 31 Urauf¬
führungen auf. Keine andere Wiener
Bühne kann eine nur annähernd ver¬
gleichbare Statistik anführen.
Die Bekanntschaft von Henriette
Mandl mit Stella Kadmon geht auf die
frühen 60er Jahre zurück - als die Ab¬
solventin der Theaterwissenschaft quasi
ihre Lehrjahre an der Courage absol¬
vierte. Ihre Kadmon-Biographie wurde
unter Verwendung von Interviews, be¬
ginnend 1987, und Teilen des Nachlasses
zusammengestellt. Bereits bei der Prä¬
sentation des Buches im Wiener Litera¬
turhaus verwiesen der Sozialhistoriker
Lichtblau und die Theaterwissenschaft¬
lerin Deutsch-Schreiner (die ihrerseits
eine ausgezeichnete Karl Paryla-Bio¬
graphie vorgelegt hat) kritisch auf mög¬
liche Fährnisse bei der Verwendung von
Interviews als Grundlage eines Lebens¬
bildes. Es ginge darum, nicht bei dem im
Interview dargebotenen Selbsibild
stehenzubleiben. Das Spiel mit dem
Selbstbildnis und dem offiziellen Kom¬
munique des eigenen Werdegangs
vermag sich zumal bei SchauspielerIn¬
nen zu einer Erzählrolle verdichten.