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schen Strandpromenade und U-Bahn¬
Station, lagen die noch nicht ganz fertig¬
gestellten Geschäftsräume von Mrs.
Berkin’s zukünftigem Laden. Dort ar¬
beitete Borja als Anstreicher.

Mrs. Berkin war eine joviale Matrone,
die gelegentlich wie ein frischer Wirbel¬
wind ins Geschäft stürmte, einen schar¬
fen Inspektionsblick an den Wänden
entlangstreifen ließ, immer skeptisch
den Kopf schüttelte, die Stirn runzelte
oder einen verächtlich anklagenden
Schmatzlaut von sich gab. Ihre Nörgelei
hielt sich allerdings in Grenzen, sie
wurde nie wirklich lästig, klopfte Borja
öfters freundschaftlich auf die Schulter,
nannte ihn ihren lieben Freund und
zahlte ihn pünktlich aus, drei Dollar pro
gearbeitete Stunde.

Auch an diesem Tag stürmte sie aus der
über dem zukünftigen Geschäft sich be¬
findenden Wohnung herunter. Sie
keuchte schwer, und ihr großer Mund,
den sie dabei etwas zu weit öffnete, ent¬
hüllte zwei Reihen schlechter, gelber
Zähne. Ihr vor allem in den Wangen
überquellendes Gesicht erinnerte Borja
an eine Pyramide, zugespitzt Richtung
Stirn und Scheitel. Ihre ganze Figur
wirkte wie eine Pyramide. Schon der
robuste Körper war nach den Prinzipien
der Pharaonengräber gebaut, vom Fun¬
dament der Hüften, der Beine, des Hin¬
terteils, verschlankte er sich hinauf zu
den Schultern.

„Wie zwei Pyramiden aufeinanderge¬
stellt“, dachte Borja „eine große und
eine kleine.“

„Ach, bist auch schon da!“ schrie Mrs.
Berkin im Vorbeilaufen. „Mußt dich ein
bißchen beeilen, denn spätestens über¬
morgen kommen die Trucks mit den
Möbeln.“

»Mmmhm!“ brummte Borja und nickte
zustimmend.

„O.K. also“, keuchte Mrs. Berkin, „aber
jetzt muß ich weg, muß mit der Subway
in die Stadt, muß dieser verdammte
Cohen doch sein Office tatsächlich in
Manhattan haben und das Appointment
fiir 2 PM. ansetzen, bei dieser Affenhit¬
ze. Crazy.ist das.“ Und weg war sie.
Borja hatte ein Pensum für diesen Tag,
das zu erfüllen er sich vorgenommen
hatte. Er war fast fertig, als eine alte
dürre Frau den Raum betrat: Krejna So¬
lomonowna. Krejna Solomonowna war
eine Expertin auf ihrem Gebiet. Seit
mehreren Monaten schon, fast schon

seit sie aus Odessa eingewandert war,
betreute sie ein ganz spezielles, doch für
jeden Einwanderer lebensnotwendiges
Gebiet — den Möbelmarkt für ärmere
Leute; dieser Möbelmarkt war gute
amerikanische Tradition. Bald war 1.
September - ein sehr beliebtes Datum,
um zu übersiedeln, der Amerikaner zog
von Des Moines nach Oklahoma City,
von Nashville nach Montgomery, aus
der 7. Straße in New Paris in die 9.
Straße von New Munich, die Städte
waren beliebig und öfters auch in ihrem
Aussehen auswechselbar. Oft vergaß
der Amerikaner, wo er sich befand,
Geographisches war ihm ohnehin
fremd, aber es gab ja schließlich Auto¬
bahnschilder und Wegweiser. Der Su¬
permarkt war immer um die Ecke, die
Autobahn recht nah... Und wer, der
besseren Arbeit wegen, fast alljährlich
die Zelte abbricht, muß sich des häusli¬
chen Ballastes entledigen. Und Krejna

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Solomonowna, in ihrer unendlichen
Güte und Weisheit, wußte nicht nur
immer wann wo und was zu finden war,
sie half auch anderen, für eine kleine
Gefälligkeit, versteht sich.

„Lassen Sie alles liegen und stehen“,
schrie sie, kaum daß sie eingetreten war.
„In der 18. Straße, Ecke U-Avenue,
gibt’s einiges zu holen! Da sind gleich
mehrere Familien ausgezogen, und Sie
wissen ja, morgen kommt die Müllab¬
fuhr, und am Abend, nachdem die Leute
von der Arbeit heimgekommen sind, ist
dann alles weg. Womöglich holen sich’s
sogar noch die Schneewittchen! Ich
habe mit Ihrer Schwiegermutter gespro¬
chen, und die hat Galja alarmiert. Die ist
schon unterwegs...“ Die Alte war völlig
außer Atem, ihre kleinen Äuglein glänz¬
ten wie Kohlenstücke. Sie ergriff Borjas
Arm. „Weil Sie es sind, Boris Mojsee¬
witsch, und weil doch Galja und ihre
Schwiegermutter so nett zu mir sind ...