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entwickelt sich langsam zu einer christlichen Lasker. Sie hat auch einen Sohn von
13 Jahren, der in einer Schulgemeinde am Meer lebt. Unehelicher Sproß. Sie ist
Dienstmädchen gewesen, Modell in München, Souffleuse. Jetzt schreibt sie diese
Gedichte an ihren Knaben. Und wie bescheiden arm!

Iwan Goll erlebte die Liebesbeziehung mit Paula Ludwig mit gemischten Gefüh¬
len: einerseits war er von ihr sehr fasziniert, anderseits ist der Ton seines Briefes
etwas herablassend. Sie gehörte eben nicht zu den Kreisen.

Motiviert durch diese Liebesbeziehung, aber zugleich darüber hinausgehend,
schrieb Paula Ludwig „Dem dunklen Gott. Ein J ahresgedicht der Liebe“®. Die
Gedichte, teils sehr kurz, teils in Form von Balladen sind in ihrer Iyrischen
Sprache ausdrucksvoll; die Bilder aussagekräftig. Der Einfluß Iwan Golls mag
eine wichtige Rolle gespielt haben, zumindest war diese Zeit ihre produktivste,
in der sie eine intellektuelle Kontur gewann, aber auch gesellschaftliche Be¬
achtung erlebte. 1932 - 1935 schrieb Iwan Goll „Die Malaiischen Liebeslieder“,
als „biographisches Pendant“ zum Dunklen Gott?

Allerdings ertrug Iwan Goll diese Beziehung nicht lange, wie alle seine anderen
auch. So schrieb er seiner Frau:

Ich kann nämlich Paulas großes und ganzes Gefühl nicht mit derselben Fülle und
Ganzheit erwidern.

Sie trafen sich weiter, bis Iwan Goll von Paris aus - wo er bis 1939 lebte — mit
seiner Frau in die Vereinigten Staaten ins Exil ging.

Der Antisemitismus, die nationalsozialistische Diktatur veranlaßten Paula
Ludwig, Deutschland 1934 aus „Gewissensgründen“ zu verlassen und nach
Ehrwald in Tirol, zu Nina Engelhardt, zu ziehen.

Ich hatte es nicht notwendig Deutschland zu verlassen! Ich - als Arierin! ... Aber
ich konnte es einfach nicht aushalten. a

In Deutschland konnte sie noch weiter veröffentlichen, weil sie 1934 Mitglied
des Reichsverbandes deutscher Schriftsteller geworden war!2, So erschien 1935
der Gedichtband „Traumlandschaft“!? ‚der aber wegen seiner Widmung - „Dem

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Abendwanderung

Du sprichst, du sprichst zu mir!

Ich höre und demütig senkt
meine Schulter sich neben der deinen.

Du schreitest schlicht durch die
. Dämmerung
ohne den Glutglanz deines Lebens.

An deiner Seite steht mein Herz offen,
und Schale sind meine Hände.

Ich gehe behutsam neben dir,
daß ich nicht trete auf deinen Schatten.

Aus: Die selige Spur (1919). (Gedichte.
Gesamtausgabe 1986, S.16)

Anmerkungen zu Vitale/Ludwig

1 Brief von Paula Ludwig an W. Sternfeld
vom 14.3. 1961, in: Deutsche Bibliothek,
Handschriftenarchiv, Frankfurt am Main.
Wilhelm Sternfeld, Eva Tiedemann:
Deutsche Exilliteratur 1933-1945. Eine
Bio-Bibliographie, Heidelberg 1970

Geiste der Abraham-Lincoln-Stiftung, Geoffrey Winthrop Young, in Verehrung 2 Die meisten Informationen tiber Paula
gewidmet“ - sofort verboten wurde, 1936 kam das „Buch des Lebens“ heraus, Ludwig stammen von ihr selbst aus: Buch
1937 „Blätter für die Dichtung“ '*. Am 13. März 1938 verließ Paula Ludwig des Lebens (1936). Ebenhausen:
Ehrwald und flüchtete über die Schweiz nach Paris. Dort hatte sie Gelegenheit, Langewiesche-Brandt 1990
öfter Iwan Goll zu treffen, und das führte zu Auseinandersetzungen zwischen Paula Ludwig: Gedichte. Gesamtaus¬
Claire Goll und Paula Ludwig wie auch zwischen den Ehepartnern. Schließlich gabe. Hg. Det an Wachinger und
emigrierten die Golls in die USA, während Paula Ludwig vor den Deutschen "stiane Feter. Ebenhausen bei Mün¬
: 5 ; i NE a he i : chen: Langewiesche-Brandt 1986
nach Bordeaux floh. Sie hatte langst ein Ausreise- und Einreisevisum fiir Brasi- Ulrike Längle: „Tausend Winter durch¬
lien beantragt, weil Nina Engelhardt auch dort war und ihre ‚gigene Schwester maß ich ai meinten Söhritten?. Ir: All¬
Marthe, mit der sie aber vermutlich keinen Kontakt hatte!?. Die Reise von mende 30/31, Baden Baden: Elster Verlag
Frankreich nach Brasilien verlief jedoch nicht problemlos. Aus finanziellen und 1991, S.116-149. Dies. „Ich bin eine
gesundheitlichen Gründen meldete sie sich im Internierungslager Gurs!®, Von obdachlose Dichterin“. Über Paula Lud¬
dort wurde sie gleich nach zwei Wochen entlassen’. Nach einem kurzen Auf- wig (1900 — 1974). In: Österreichische
enthalt in Marseille. überquerte sie zu Fuß die Pyrenäen. Im Oktober 1940 Dichterinnen. Hg. von Elisabeth Rei¬
erreichte sie Lissabon und schiffte sich im Dezember nach Brasilien ein. Sie hatte har a rburg: oe vee nee :
große Sorgen um ihren Sohn Friedel, der den Wehrdienst verweigert hatte und rau nike angie Ist Cie Betreuerin des
5 . fi 18 ; ‘ Nachlasses Paula Ludwigs im Franz
zunächst nach Frankreich geflüchtet war“. Er wurde im Lager Bassens bei Michael Felder-Archiv in Bregenz. Der
Bordeaux und dann in Spanien im Lager Miranda de Ebro interniert, wo Paula Nachlaß ist zugänglich; Kopien unver¬
Ludwig ihn vor ihrer Abreise noch besuchte. Erst nach Kriegsende wurde er öffentlichen Materials bekommt man
entlassen und konnte mit seiner Mutter in Brasilien in Verbindung treten. Nach kaum, sodaß eine Studie über Paula
Jahrzehnten lebten Mutter und Sohn wieder zusammen.
- Über ihre Exilzeit in Brasilien ist wenig bekannt. Die meisten Informationen

Ludwig nur mit Lücken entstehen kann,
bis Frau Längle die Möglichkeit hat, das
stammen aus Aufsätzen von Ulrike Längle, die auch den Nachlaß verwaltet.!? Bei Material zu veröffentlichen. Ein Buch
Nina Engelhardt blieb sie zwei Jahre, dann zog sie allein nach Rio de Janeiro.
Probleme entstanden zwischen den beiden Frauen vor allem wegen der Trunk¬
sucht der Dichterin, die ihre Sorge um Friedel und um die politische Situation in
Europa nur mit Alkohol ertragen konnte. Ihr Sohn erwähnt es flüchtig, y+ meine
Mutter hat gepichelt ... «20 Sie bricht in Brasilien mehr oder weniger zusammen.
Isoliert und vom täglichen Broterwerb erschöpft, hatte sie weder Energie noch
fand sie Möglichkeiten Kontakte zu den kulturellen Kreisen zu knüpfen. Die

über Paula Ludwig sollte Ende 1993 beim
Verlag K.G. Saur erscheinen.

3 Vgl. Ulrike Längle: „Ich bin eine ob¬
dachlose Dichterin“, S.112-143

4 Paula Ludwig: Der himmlische Spiegel.
Berlin: S. Fischer 1927. Einige dieser
Gedichte sind in Gedichte. Gesamt¬
ausgabe enthalten.