Wie bereits die Berthold Viertel-Aus¬
stellung 1988/89 war auch das von Siglin¬
de Bolbecher, Konstantin Kaiser und
Peter Roessler in den Räumlichkeiten
des Österreichischen Theatermuseums
(Wien) organisierte, von der Theodor
Kramer Gesellschaft und vom Verein
zur Förderung und Erforschung der an¬
tifaschistischen Literatur veranstaltete
Berthold Viertel-Symposium (24.-26.
September 1993) ein voller Erfolg.
Über zwanzig Wissenschaftler aus aller
Welt versammelten sich an drei aufein¬
ander folgenden Tagen, um neueste Er¬
kenntnisse zu Berthold Viertels (1885 —
1953) Leben und Werken auszutau¬
schen und zu diskutieren, ein Forum,
das bereichert wurde durch die Anwe¬
senheit von zwei der drei Söhne Vier¬
tels, Hans und Thomas Viertel mit ihren
Frauen. Hans Viertel fiel aufgrund der
Abwesenheit der erkrankten Elisabeth
Viertel-Neumann die Aufgabe zu, das
Symposium sozusagen im Namen der
Familie im Eroica-Saal des Palais Lob¬
kowitz zu begrüßen. Wichtig war auch
die Mitwirkung zahlreicher ‚Zeitzeu¬
gen‘: die Schauspielerin Marianne
Brün-Kortner, Tochter Hanna Hofers
und Fritz Kortners, die bei Viertels ein¬
ziger Inszenierung am Berliner Ensem¬
ble 1949 als Regieassistentin beteiligt
war; Erich Auer, der als junger Schau¬
spieler am Burgtheater noch mit Viertel
gearbeitet hat; der Regisseur Wolfgang
Glück, der seine Karriere als Regieassi¬
stent Viertels in Wien begonnen hat; der
Schauspieler und Regisseur Karl Paryla,
der für die kranke Eva Zilcher ein¬
sprang und Gedichte Viertels las.
Die These des ersten wissenschaftlichen
Beitrags von Felix Kreissler (Rouen)
betonte die Einheit von Fortschrittsgeist
und österreichischem Patriotismus im
Denken Viertels.
Es folgten Ausführungen von Johann
sien in Debatten des Exils“, die sich ¬
nach einem vergleichenden Ausflug in
die österreichische Gegenwartsdrama¬
tik und zu Stefan Zweigs „Brasilien, ein
Land der Zukunft“ (1941) - hauptsäch¬
lich auf die ‚Kulturphantasien‘ Ernst
Lothars sowie Viertels Kritik an Lothar
konzentrierten.
Den dritten Beitrag des ersten Tages (in
Abänderung des offiziellen Pro¬
gramms) lieferte Eberhard Frey
(Waltham, Mass.), der in der Interpreta¬
tion der Exillyrik Berthold Viertels dem
Exilerlebnis des Schriftstellers nach¬
spürte.
Höhepunkt des ersten Tages waren
Peter Roesslers Ausführungen zu Vier¬
tels komplexer - und oft ambivalenter —
Haltung gegenüber dem modernen eu¬
ropäischen Drama. Überzeugend wurde
dabei der Einfluß Frank Wedekinds auf
Viertel — aber auch seine schwankende
Einstellung zu diesem Dramatiker ¬
herausgearbeitet. Darüber hinaus gab
Roessler mit großer Sachkenntnis einen
Überblick über Viertels Verhältnis zu
anderen zeitgenössischen Dramatikern,
wie etwa Ibsen, Strindberg, den deut¬
schen Expressionisten sowie Gerhart
Hauptmann (wobei speziell die Rolle
des letzteren im faschistischen Deutsch¬
land diskutiert wurde).
Beendet wurde der offizielle Teil des
ersten Symposium-Tages mit einem
‚Gespräch der Freunde‘, an welchem
Marianne Brün-Kortner, Erich Auer,
Wolfgang Glück und Hans Viertel teil¬
nahmen, dem sich ein geselliger Abend
beim Heurigen in Grinzing anschloß.
Das erste von sieben Referaten eines
völlig ausgefüllten zweiten Tages, der
das Publikum bis an den Rand der Er¬
schöpfung trieb, stammte von Gerhard
Scheit (Wien), der sich mit der äußerst
komplexen Auseinandersetzung Vier¬
tels in den Schriften zum Theater mit
dem modernen Irrationalismus beschäf¬
tigte. Kern dieser Analyse war einerseits
Viertels Stellungnahme zu Nietzsche
und zu Richard Wagner (Siegfried, Par¬
sifal); vom sexuellen Irrationalismus im
Frauen-Bild von Karl Kraus distanzier¬
te sich Viertel, ohne ihn zu tiberwinden.
Es folgte ein sehr kenntnisreicher Uber¬
blick Klaus Völkers (Berlin) über Vier¬
tels Bemühen um ein Theater der En¬
semblekunst im Berlin der 20er Jahre.
Skizziert wurden die Vorbedingungen
der Entstehung der Truppe (1923/24).
Kevin Gough-Yates’ (London) Ausfüh¬
rungen (auf Englisch) über Viertels Er¬
fahrungen mit der englischen Filmge¬
sellschaft Gaumont-British (unter der
Leitung von Michael Balcon) 1934-36
gingen auf die drei letzten Filme Viertels
(Little Friend, The Passing of the Third
Floor Back und Rhodes of Africa) ein.
Der Filmregisseur Viertel fiihlte sich —
trotz schwieriger technischer Vorausset¬
zungen - in Großbritannien wohler als
in Hollywood, da man ihm größere Frei¬
heit des Ausdrucks einräumte. Seine,
Arbeit bei Gaumont fiel jedoch mit dem
Niedergang der britischen Filmindustrie