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Sie war in einer Literaturzeitschrift auf einen Artikel von Franz Leschnitzer® gestopen, der das Buch mit groBer Anerkennung besprochen hatte. Habe ich mich gefreut! Im darauffolgenden Sommer, eben damals, als ich mit Hermann Duncker in Kopenhagen war, befand ich mich mit ihm zufälligerweise gerade in dem Augenblick in einer kommunistischen Buchhandlung, als ein Riesenpaket von Büchern aus der Sowjetunion anlangte. Da bekam ich das gedruckte Buch zum erstenmal zu sehen. Heute, nachdem es in verschiedenen Fremdsprachen erschienen und von verschiedenen Zeichnern bebildert worden ist, vermag ich erst zu ermessen, mit wieviel Verständnis und Können der Illustrator der ersten Ausgabe, Alex Keil’, zu Werke gegangen ist.? Nachdem ihre besten Freunde, der Maler Hans Grundig und seine Frau, die Grafikerin Lea Grundig, in Dresden verhaftet worden waren, Lea war Jüdin, beide waren Kommunisten, schien es Auguste Lazar doch héchste Zeit, ,,so schnell wie möglich aus Dresden zu verschwinden“ .? Dic niiheren Umstände schildert sie folgendermaßen: Den wenigen bürgerlichen Bekannten, die ich traf, sagte ich, daß ich zu meinen Schwestern nach Wien ziehen wollte, daß dies längst geschehen wäre, wenn es nicht Schwierigkeiten mit der Auszahlung meiner Witwenpension gegeben hätte, daß diese Schwierigkeiten indessen jetzt - nach der ’Wiedervereinigung’- wegfielen. Dasselbe erzählte ich Geschäftsleuten und Nachbarn. Alle fanden meinen Wunsch, bei meiner Familie zu leben, ganz natürlich. Ich gab meine Wohnung auf, verkaufte den größten Teil meiner Möbel, nur ein paar Lieblingsstiicke nahm ich mit. Die Kücheneinrichtung und noch etliches andere überließ ich einer Frau aus der Nachbarschaft, die mir immer sehr freundlich begegnet war. Doch war ich ihr gegenüber immer von größter Vorsicht gewesen. Sie hatte nicht viel Geld, und ich überließ ihr die Sachen zu einem Spottpreis. Viele Jahre später, nach meiner Rückkehr aus der Emigration, habe ich erfahren, daß diese Frau in wilde Wut geraten war, als sie von meiner jüdischen Abstammung hörte. Ich habe mich oft darüber gewundert, daß diese von vielen Menschen nicht erkannt wurde. Meine Nachbarin begriff zu meinem Glück den Zusammenhang erst, als ich im darauffolgenden Jahr schon nach England gegangen war. Sie soll getobt und geschrien haben; alles hätte sie umsonst haben können, wenn 23 sie nicht mit Blindheit geschlagen gewesen wäre; noch viel mehr hätte sie mir abnehmen müssen, das Silber vor allem und die Wäsche. Zu Gesicht bekommen habe ich sie nie wieder. Sie soll vor dem Einmarsch der Roten Armee nach Bayern geflohen sein. Sie wird ihre guten Gründe gehabt haben. Es hätte diese edle Seele vielleicht getröstet zu erfahren, daß die Dinge, die sie mir so sehr mißgönnt hat, nicht in meinem Besitz geblieben sind; die Nazis in Wien haben sie samt und sonders gestohlen.” Über die ‚Nazis in Wien“ urteilt sie: Erst als ich im Sommer zum zweitenmal in diesem Jahr in Wien eintraf, kam mir die ganze Ungeheuerlichkeit der Situation zu Bewußtsein, dieses Überranntwordensein eines Landes, einer Stadt wie Wien, von den Stiefeln hitlerischen Militärs wie von dem Wahnwitz hitlerischer Phrasen. ... In Wien brach der Nazismus herein, als hätte die Hölle alle Schleusen zugleich geöffnet, um eine Sintflut von Schmutz und Schlamm über die Stadt zu ergießen; und die Stadt begrüßte diese Flut wie einen Regen von Manna. ... Nirgends in Deutschland konnte der Antisemitismus, eines der großen Propagandamittel der Nazis, so wirksam angewendet werden wie gerade in Wien, das nicht nur eine starke jüdische Gemeinde hatte, sondern auch zahlreiche Juden und Judenabkömmlinge, die mit jüdischem Glauben und jüdischem Nationalismus nicht im geringsten verbunden waren. Ge