Ich will mein Licht unter den Scheffel stellen
Dies kleine Licht, ich trug es sorgsam schon
in meiner Kinderhand. Schon damals wölbten
im ersten Spiel die Finger sich zum Dom,
der rot-durchpulst die klare Flamme schützte
vor Wind und Wetter und vor fremden Blicken.
Nie fiel mir ein, es könnte nützlich sein.
Es war ein holder Schein, ein heller Ton
im Zauberlied, das mir die Muschel sang,
es glimmte auf im bunten Kieselstein
und flackernd wies es mir im feuchten Mooswald,
in dem der grüne Raupendrache schlief,
den unsichtbaren Weg zum Schneckenturm.
Viel später erst gestand ich manchmal scheu:
„Ich hab ein kleines Licht, du darfst es sehn.“
Doch jeder bot mir unerbetnen Rat:
„Du darfst dein Licht nicht untern Scheffel stellen,
gebrauch es klug, so wird es Nutzen bringen.“
Mein Herz erschrak: Mein Licht, so leicht und frei!
Du hebst für mich vom dunklen Grund empor
was dir beliebt und läßt mir keine Wahl.
Was du bescheinst, erhält Gestalt, erscheint. —
Du bist kein Ding, nicht Brot, nicht Kleid, nicht Haus,
ich frage mich, wozu du mich gebrauchst,
wie könnt ich dich gebrauchen und wozu?
Zum Suppenkochen bist du mir zu schade,
auch wärst du gleich erstickt, hätt ich dich je
im häuslich-frommen Herde eingesperrt. —
Was sonst? Gewiß: du hast mein Herz erwärmt,
doch muß es auch in deinem bleichen Schein,
in dem Gespenster tanzen, elend frieren....
— Die klugen Leute wissen neuen Rat:
in ihren Ohren läutet immer noch
die alte Glocke. Eifrig fordern sie
die Wohltat ein, die du ‚„‚bezähmt, bewacht“
zu leisten hast. Für sie muß alles klar sein
und sie bestehn auf deinem Schein: du sollst
den Weg beleuchten, daß sie vorwärtskommen.
Mich aber deucht, das ist nicht deine Art:
du scheuchst das Dunkel nicht, du zeigst es mir
und trifft dein Strahl die festgebaute Straße,
erweckt er Wurzelschlangen, Rankennattern,
schwarz-grün Gewirr verschlingt die glatte Bahn....
Nun merk ich wohl, daß du ein Irrlicht bist.
Doch irr ich weit genug vom Wege ab,
find ich am Ende den verwunschnen Platz,
von dem der Regenbogen übern Strom
zum andern Ufer führt, — und bin Zuhause!
Ich bin der Wege müd, sie führen alle
zum lauten Marktplatz, wo das Ringelspiel
sich dreht und dreht. —- Gewiß ich träumte einst
auf solchen Rappen in die Welt zu reiten.
Heut glänzt nur Lack auf morschem Holz, die Augen
starrn blicklos, stumpf und gläsern stets nach vorwärts —
doch all das läuft im Kreis. Mich packt der Schwindel.
Komm, laß dies Spiel, du bist nicht Stallaterne
für tote Pferde — ach, es trügt ihr Schein! —
Dein Schein verzaubert, denn du bist - jetzt weiß ich’s —
Laterna Magica. Du bist mein Pfingstlicht,
wenn ich in Zungen rede, dank ich’s dir!
Wie dank ich dir? Ich hab nicht Haus und Hof
und meine Mauern stürzen immer ein.
— Dort in der Scheune liegt ein altes Maß,
das ich nicht halten kann. Das schenk ich dir.
Es schützt dich besser als die schwache Hand
vor Wind und Wetter und vor fremden Blicken.
Sie solln dich nicht in fremde Maße zwingen,
mein Licht! Ich stell dich unter meinen Scheffel.
Auf diesen Wegen
sproß zwischen den Steinen
spärlich und zäh
das freundliche Gras.
Auf diesen Wegen
sind alle Halme
verdorrt und begraben;
zwischen den Steinen
drohn Lanzenspitzen
den todmüden Füßen.
Am Beginn des Jahres 1939 erreichte Gertrud Krakauer Puerto Colombia, den ehemaligen
Atlantikhafen Kolumbiens. Durch ihre Jugendfreundin Thea Weiss hatte sie das rettende
Arbeitsvisum erhalten. Über 500 Personen zählte das zahlenmäßig nicht sehr große
österreichische Exil in Kolumbien, das das politische Spektrum der I. Republik wider¬
spiegelte. Krakauer war von frühester Jugend an der Arbeiterbewegung verbunden, zählte also
zu den „Linken“ des Exils.
1993 hatte ich Gelegenheit, österreichische ExilantInnen in Bogotä zu besuchen; Zweck der
Reise waren Recherchen, Interviews über Fluchtweg, Niederlassung und kulturelle Aktivitä¬
ten der Exilgruppe während der Nazizeit. Auf meiner Liste war der Name Gertrud Krakauer
vermerkt, nach Angaben einer ehemaligen Botschaftsangehörigen in Kolumbien, Hanny
Hieger, die selbst als Jugendliche 1938 nach England flüchten konnte.
In der Wohnung eines ihrer letzten noch verbliebenen Freunde, Kurt Weiss, saß ich ihr nun
gegenüber: kurzgeschnittenes Haar, schwarze Hose, schwarzes Sakko, eine weiße Bluse, Krawat¬
te. Aufeinem Foto, aufgenommen vor 15 Jahren, ist sie rauchend mit einer Zigarre zu sehen. Von
den noch in Kolumbien lebenden Österreichern wußten wenige, daß Krakauer seit den 30er Jahren
Gedichte schrieb. Erinnert wurden literarische Veranstaltungen, die sie gemeinsam mit der
Schriftstellerin Margot Hermer(-Neumann) gestaltete: „Von Heine bis Kraus...“