Es mangle ihrer Biographie an Leistungen — meint Trude Krakauer mit feiner Ironie -,
an denen sich der Lebensfaden festknoten läßt, und zugleich sei ,,Leben“ immer viel
mehr als wir erzählen können. ‚„‚Meine Biographie ist eigentlich in meinen Gedichten
enthalten.“ In ihnen nimmt sie die schwierige Kommunikation mit Herkunft, der
beglückenden, aber auch tödlichen Mühle der Kindheit und Jugend auf. Abgesunkenes
Leben, das — Vineta-Motiv — unter ,,schweigenden Wassern ruht“.
Gertrud Krakauer wurde am 30. Mai 1902 in Wien geboren und wuchs im 6. Bezirk auf.
Ihr Vater, der bekannte Kinderarzt Dr. Heinrich Keller, schrieb mehrere sozialkritische
Romane und ein Buch über Pädagogik; hielt Vorträge in der Urania. Unter dem Einfluß
der Philosophie Moses Mendelsohns war er vom Judentum zum Protestantismus konver¬
tiert— als der noch „‚vernünftigsten“ Religion. Er war sozialdemokratischer Bezirksrat und
verstand sich als ,, Revolutionar“ : Freigeist, antiklerikal, dem Fortschritt und Humanismus
verbunden. Die Mutter Nelly, geborene Winter, schrieb in ihrer Jugend Gedichte. An
manchem Abend wurde aus einem Buch der „klassisch“ bestückten Bibliothek vorgelesen,
was bei Trude Krakauer ein frühes Interesse an Literatur weckte. Allerdings wurden ihre
eigenen lyrischen Versuche nicht unbedingt ermuntert, sondern als Nachahmung oder
Manier kritisiert. Heine und Dostojewski, später Karl Kraus, dessen Vorlesungen sie
regelmäßig besuchte, beeinflußten und faszinierten sie.
Nach drei Jahren evangelischer Volksschule am Karlsplatz und einem Jahr Haus¬
unterricht, absolvierte sie das Gymnasium in der Albertgasse. 1920 besuchte sie für ein
Jahr die Fürsorgeschule der Stadt Wien, schloß die Ausbildung aber nicht ab, weil sie
der Kurs langweilte und sie sich nicht für den Beruf geeignet hielt. Noch unter dem
Einfluß des Elternhauses studierte sie zuerst vier Semester Medizin und wechselte dann,
dem eigenen Interesse folgend, zu den Staatswissenschaften. Ihre Lehrer waren Othmar
Spann, Hans Kelsen; eine Dissertation reichte sie bei Max Adler ein, dessen Studien¬
zirkel sie regelmäßig besuchte. Ihre Ansprüche waren groß: Sie wollte nicht nur brav
Lektionen lernen, sondern Neues sagen. Neben der Doktorarbeit begann sie u.a. als
Englischkorrespondentin für sozialdemokratische Stellen zu arbeiten. Freundschaft mit
Herta und Friedrich Scheu. Nach dem Februar 1934 beging ihr Bruder, Stefan Keller,
geboren 1906, Redakteur der Arbeiter-Zeitung, in einer schweren Lebenskrise Selbst¬
mord. Sie schloß sich zwischen 1934 und 1938 in der illegalen Arbeit den Kommunisten
an. Nach dem ‚‚Anschluß“ verlor sie ihre Stellung, erhielt ihr Vater Berufsverbot.
„Religionslos“ erzogen und aus der protestantischen Kirche ausgetreten, wird sie 1938
Jüdin — Bekenntnis zu den Verfolgten.
In Bogotä findet sie Arbeit als Korrespondentin/Übersetzerin (Englisch, Spanisch,
Deutsch) und heiratet. (Nach dem Krieg wird sie Angestellte der deutschen Han¬
delsvertretung, später der Botschaft.) Der Chemiker Dr. Emil Krakauer, geboren in
Nikolsburg (Mähren), war bereits im August 1938 nach Kolumbien gekommen. Beide
engagieren sie sich im ,,Comité de los Austriacos Libres“, das mit Erfolg bei den
kolumbianischen Behörden für die österreichischen Flüchtlinge eintrat. Dennoch war
die Eingliederung in das kolumbianische Leben für eine Frau mit Emanzipationsvor¬
stellungen äußerst schwierig. Trude Krakauer versuchte auf die ihr eigen Weise das
Exilland für sich zu gewinnen: sie übersetzte lateinamerikanische Autoren ins Deut¬
sche, so Jorge Guillen, Guillermo Valencia, Leön de Greiff, Ruben Dario, Jose
Asunciön Silva, Rafael Pombo.
“Ich habe von früh an immer an Schuldgefühlen gelitten,“ schreibt sie in einem Brief,
3.7.1993, „nach dem Anschluß fühlte ich mich mitschuldig, weil ich nicht genug'getan
hatte, die österreichische Arbeiterjugend über den Nationalsozialismus aufzuklären,
und als ich 1945 erfuhr, daß meine Eltern umgekommen sind, wuchsen natürlich meine
Schuldgefühle. Ich habe gern hier gelebt, aber nie habe ich dieses Land als meine
»zweite Heimat« betrachtet. Man hat nur eine Heimat, so wie man nur eine Mutter hat.“
Das Iyrische „Ich“ Trude Krakauers spricht selten zu einem konkreten „Du“. Das
„Ich“ ist ihr gespalten. Wovon sie spricht, ist in eine ewige Fremdheit gerettet. „Ich
bin ein Mensch, der vor sich selber flieht“, heißt es in dem Gedicht „Meine Wider¬
sprüche“, das die äußere Zerstörung durch den Faschismus an der inneren Gespal¬
tenheit nachzeichnet. Es ist ein trotzig-rebellisches Herz, das da sein Leiden ermißt.
Die „Luftwurzeln“ ihres Gedichts „zittern und schwanken und tasten ins Leere“. Die
Gedichte und Prosa Gertrud Krakauers blieben bislang unveröffentlicht.
In Kärnten hat sich ein Personenkomitee
gebildet, um 1995 eine Gedenkstätte an der
Kärntner Nordseite des Loibl-Tunnels, der
Österreich und Slowenien verbindet, zu er¬
richtet. Der Tunnelbau wurde in der NS¬
Zeit begonnen, zur Ausführung des Baus
wurden Lager für Zwangsarbeiter auf der
slowenischen und kärntnerischen Seite er¬
richtet: ,,Der Loibl-Tunnel ist ein Produkt
dieser tödlichen Zwangsarbeit, zu der KZ¬
Häftlinge aus Mauthausen abkommandiert
waren.“ Während sich nun auf der slowe¬
nischen Seite eine repräsentative Gedenk¬
stätte befindet, erinnern auf der kärntneri¬
schen Seite ,,nur zwei unscheinbare Tafeln
am Tunneleingang an die Greuel und
Schrecken der Zwangsarbeit“. Wo das
Nord-Lager war, sind kaum mehr Spuren zu
sehen. ,,Die Natur hat durch den Bewuchs
mit Gras, Gebüsch und Bäumen noch zu¬
sätzlich einen Mantel des Schweigens über
diesen Ort gelegt.“
Das Personenkomitee will „einen sicht¬
baren Akt gegen das Vergessen setzen“,
durch eine »Gedenkstätte Loibl-Lager¬
Nord«. Denn der „Kampf gegen das Ver¬
gessen istauch ein Kampf dagegen, daß uns
der Faschismus in der einen oder anderen
Form heute wieder einholt.“ Wichtig
scheint dem Komitee auch, ,,da die heran¬
wachsende Generation zur Legitimation ih¬
res Unwissens nicht die »Gnade der späten
Geburt« zitieren muß und der revisionisti¬
schen Geschichtsschreibung“ mangels
sinnlich manifester Erinnerungsstützen
„hilf- und argumentationslos gegenüber¬
steht.“
Bis zum Mai 1995 soll zumindest ein Teil
der Gedenkstätte realisiert werden. Das
Personenkomitee bittet um „Unterstützung
und Hilfestellung in vielfältiger Form: po¬
litisch, organisatorisch, logistisch, gestalte¬
risch, finanziell...“
Kontaktadresse: Univ.Prof. Dr. Peter
Gstettner, Universität Klagenfurt, 9020
Klagenfurt, Universitätsstr.65-67, Tel.
0463 2700-540, Fax 2700-535.