westliche Touristen gesperrt. Damit diese
möglichst unter sich bleiben, wird ihnen der
noch aus protzenden Sowjetzeiten stam¬
mende Neubau mit dem nach Rezzori klin¬
genden Namen „Tscheremosch“ zugewie¬
sen — allabendlich gibt es dort Musik und
Tanz, zu dem sich die neureiche Schickeria
der Stadt einfinden darf, die als einzige
Bevölkerungsschicht dem Schock der west¬
lichen Zivilisation zum Schaden der ande¬
ren standhält.
Im Diaspora-Museum, das nicht weit von
der im maurisch-byzantinischen Stil erbau¬
ten ehemaligen Residenz des rumänisch-or¬
thodoxen Metropoliten und jetzigen Uni¬
versität am ersten Jahrestag der ukraini¬
schen Unabhängigkeit eröffnet wurde, hält
der Direktor eine Ansprache für die westli¬
chen Touristen. Früher hätte man von einer
ukrainischen Diaspora nichts wissen dür¬
fen. Eine Weltkarte verzeichnet deren Zen¬
tren: Brasilien, Argentinien, Rußland,
Deutschland, Kanada, Frankreich, Israel,
USA, Österreich — die Reihenfolge drückt
keine Gewichtung aus. ,, Unsere Geschichte
war sehr traurig“, sagt der Herr Direktor
und betritt sichtlich stolz den ersten Raum,
wo ein lebensgroßes Bildnis des amtieren¬
den Generalgouverneurs von Kanada, des¬
sen Familie aus der Ukraine stammte, an
der Wand hängt. Die ersten Auswanderer
waren Huzulen und als Holzfäller im 19.
Jahrhundert sehr begehrt.
Eine deutsch-ukrainische Ausgabe von Eu¬
genie Schwarzwalds Memoiren „Leben mit
provisorischer Genehmigung“, 1993 her¬
ausgegeben von dem hiesigen Germansiten
Peter Rychlo, ist die erste Überraschung,
bevor wir in der Vitrine daneben die eben¬
falls von Rychlo besorgte zweisprachige
Ausgabe von Gedichten Paul Celans ent¬
decken. (In den Buchhandlungen wird man
sie allerdings vergeblich suchen.) Im Dia¬
spora-Raum ‚‚Israel“ finden sich Deutsch,
Jiddisch, Hebräisch und Russisch schrei¬
bende Czernowitzer Schriftsteller
nebeneinander: Kubi Wohl, ,,Der Meteor.
Erinnerungen, Aufzeichnungen, Gedich¬
te“, in Deutsch und Jiddisch, 1980 von der
Witwe in Haifa herausgebracht. Er war ein
Opfer seiner kleinbürgerlichen Familie und
starb erst 24jährig an Erschöpfung. Ein An¬
archist, wie es sie früher einmal gab, dessen
Begräbnis zu einer politischen Demonstra¬
tion geriet. Nicht nur Czernowitzer Arbeiter
wurden von seinem offenen Grab weg ver¬
haftet, auch der treue Freund Muniu Fried¬
Weininger, dem der Nachruf zu ‚‚linksge¬
richtet“ geraten war. Auch Dramen hat
Kubi Wohl geschrieben sie sind alle unver¬
öffentlicht.
„Dann ging ich über den Pont des Arts“,
Gedichte und Erinnerungen von Else Keren,
Jugendfreundin von Paul Celan und seiner
Cousine Selma Meerbaum-Eisinger, die 1942
im Lager Michailowska, erst achtzehnjährig,
an Flecktyphus starb. Ihr zweiter, 1980 von
Jürgen Serke herausgegebener Gedichtband
„Ich bin in Sehnsucht eingehültt“ ist eben¬
falls ein Geschenk an dieses Diaspora-Mu¬
seum. So wie die noch im Bukarester Verlag
„Editura“ erschienenen Gedichte von Izig
Manger: ,,Stern oifn Dach“.
Unter dem Bild eines schénen jungen Man¬
nes steht ein Name: Leb Levin, geboren
1914, gestorben 1962 in Leningrad. Vom
Schicksal für ein längeres Leben auserko¬
ren war Eliezer Padriachik, er starb 1991 in
Israel.
Beim Verlassen des Museums fällt der
Blick auf eine schlichte, von Bäumen um¬
gebene Villa schräg gegenüber: Hier hat
Olga Kobylanska gewohnt, die große ukrai¬
nische Schriftstellerin, spätere Darstellerin
starker Frauengestalten, die einst in deut¬
scher Sprache in der ,,Gartenlaube“ debii¬
tierte. 1940 hat man die gelähmte Koby¬
lanska als Galionsfigur mit Politikern, die
sie sich nicht ausgesucht hatte, abgelichtet.
Erst seit 1980 befindet sich ihr Denkmal am
ehemaligen Elisabethplatz vor dem Stadt¬
theater, dieser Wiener Jahrhundertwende¬
Architektur.
Das schwerste steht Herrn Z. noch bevor.
Uns den jüdischen Friedhof zu zeigen, auf
dem kaum noch jemand begraben wird.
Viele Grabstätten sind erbrochen. Auch das
Grab von Herm Z.s Eltern wurde geschän¬
det. ,,Es geschieht, um Geld zu verdienen“,
meint Herr Z. lakonisch. So wie es die Täter
von ihm erwarteten, hat er es wieder her¬
richten lassen. Auch sein Name und sein
Geburtsdatum sind bereits eingraviert.
Viele der prächtigen alten Bäume, die über
den Grabsteinen eine Art pietätvolle Toten¬
wache hielten, sind inzwischen gefällt wor¬
den, eine vergebliche Aktion, um den Grab¬
schändern das Handwerk zu legen. Vor ei¬
ner Reihe ganz einfacher, grauer Grabsteine
sagt Herr Z.: Hier gedenkt man der jüdi¬
schen Soldaten des Ersten Weltkriegs.
Vor einer roten Tafel mit cyrillischen Buch¬
staben macht er langer halt. Zwei silberfar¬
bene Löwen flankieren eine symbolische
Stätte. Sie stehen nicht aufrecht, sondern
liegen, die Häupter auf die Vorderpranken
geneigt, als murmelten sie fortwährend
Vergebungsgesuche in die Erde hinein.
Und Herr Z. erählt.
Im Sommer 1941, gleich nach der rumä¬
nischen Besetzung, traf ein SS-Kommando
unter Brigadeführer Ohlendorf ein. Über
3.000 Juden wurden allein bis Ende August
1941 ermordet, viele von ihnen in den Pruth
geworfen, mit Steinen am Hals. Im Oktober
wurde dann das Ghetto von Czernowitz
errichtet und mit der Deportation nach
,, Lransnistrien“, in die von Rumänien ok¬
kupierten Teile der Sowjetunion jenseits
des Dnjestr, begonnen. Fast alle sind in den
Lagern dort umgekommen.
Zwischen dem Abzug der Russen und der
Ankunft der Deutschen, deren Handlanger
die Rumänen waren, seien schreckliche
Dinge in den Dörfern passiert. Ein Rabbiner
von Ukrainern mit der Handsäge bei leben¬
digem Leib zersägt. Nur ein einziger Ort sei
Herrn Z. bekannt, wo der griechisch-ortho¬
doxe Pfarrer die Mörder nicht in das Dorf
gelassen habe. Dieser Ort heist Ispas.
Herr Z. weiß von einem Buch, er habe es
kurz nach dem Krieg in den Händen ge¬
halten, in dem die Namen der Opfer ver¬
zeichnet, jedes einzelne Dorf dokumentiert
gewesen sei. Die Namen der Opfer und die
Namen der Mörder. In rumänischer Spra¬
che.! Bald danach sei das Buch verschwun¬
den. Einen einzigen Prozeß habe es gege¬
ben, in der Nachkriegszeit, als ein Über¬
lebender aus Kanada zurückgekehrt sei und
die Leute des Dorfes Nischninije Stanivei
angeklagt habe. Ein 80jähriger Mann wur¬
de zum Tode verurteilt, ein paar Jüngere mit
sechs bis sieben Jahren Gefängnis bestraft.
An die Verbrechen von General Antonescu
habe in Rumänien bis heute niemand ge¬
rührt. Zu Beginn der Okkupation durch die
Deutschen habe es einen rumänischen Bür¬
germeister in Czernowitz gegeben, Popovi¬
cimit Namen, der unentwegt Ausnahmege¬
nehmigungen für die Juden der Stadt aus¬
geschrieben habe. ‚Für Geld konnte man
bei den Rumänen alles kaufen“, kommen¬
tiert Herr Z., der auch sein Überleben einer
solchen Ausnahmegenehmigung verdankt.
Mehr aber noch der Tatsache, daß seine
Mutter als Kinderärztin gebraucht wurde
den Vater hatte ein gütiges Geschick schon
vor dem Krieg hinweggerafft.
Schließlich wurde des Popovici Treiben
1 Vermutlich das in Bukarest von 1946-48 er¬
schienene dreibändige Werk von Matatias Carp:
Cartea Negra — Suferintele Evreilor din Romania
1940 — 1944.