dem rumänischen Gouverneur zu viel und
er beschwerte sich beim König. Die Kö¬
niginmutter habe die Juden schützen wol¬
len, doch Marschall Antonescu und der
deutsche Baron Killinger hätten in Bukarest
gemacht, was sie wollten, sagt Herr Z.
Über dem Friedhof steigt hie und da Rauch
auf, frühherbstliches Laub wird abge¬
brannt. Ein weißes Pferd zieht einen Karren
über den Hauptweg, wo auf der linken Seite
Eliezer Steinberg begraben liegt. Wie ein
orientalischer Teppich nimmt sich der ein¬
zige bunte Grabstein auf diesem Friedhof
aus, so farbenprächtig und bewegt wie eines
seiner berühmten Märchen.
Am Abend haben sich zum Abschied in
dem Restaurant hinter der riesigen arme¬
nischen Kirche, in der nie ein Gottesdienst
abgehalten wurde, weile es noch vor der
Einweihung einen Todesfall in ihr gab,
auch zwei alte Damen eingefunden. Rosa
und Lydia sind seit über siebzig Jahren mit¬
einander befreundet und die letzten Hüte¬
rinnen eines geschliffenen Czernowitzer
Deutsch. Ob Rosa, die mit Nachnamen
Roth-Zuckermann heißt, etwas von der
Existenz des amerikanischen Schriftstellers
Philip Roth weiß, dessen berühmtester
Held Herr Zuckermann ist? Sie verlor ihre
gesamte Familie im Krieg, doch ist ihr der
Lebensmut bis heute nicht abhanden
gekommen. Über ihren Sohn aus zweiter
Ehe, der keine Absichten hat, das Land zu
verlassen, meint sie: „„Er ist ein Wurm, der
sich im Rettich eingefressen hat und denkt,
dies sei das Paradies, obwohl es bitter ist.“
Lydia hat keine Kinder und blüht unter
den jugendlichen Czernowitzern, denen
sie Nachhilfe in verschiedenen Spra¬
chen erteilt, förmlich auf. Ihre
Lieblingsschriftsteller waren einst Tho¬
mas Mann und Rainer Maria Rilke, die
las man auf der Habsburghöhe. Sie
spricht von dem Geist des Zusammenle¬
bens der verschiedenen Volksgruppen —
bis zum Jahr 1940. ,,Und dann ver¬
schwanden alle diese Menschen, und es
verschwand auch dieser Geist.“ Lydia
ist in Sereth geboren und verschmitzt
erklärt sie uns, daß sie inzwischen mit
dem Schriftsteller Edgar Hilsenrath
Kontakt aufgenommen hat und jetzt
dreißig Briefe im Monat schreibt: ‚‚Aber
einen Schriftsteller kennen Sie ganz ge¬
wiß nicht, er stammte so wie ich aus
Sereth und hieß Leo Katz.“
Welche Freude, ihr mitteilen zu können,
daß von Leo Katz der Roman ‚‚Brennende
Dörfer“ vor kurzem in Wien erschienen ist.
In der Sprache der Mörder
Der Katalog der 1993 vom Literaturhaus
Berlin und mittlerweile schon an vielen Or¬
ten gezeigten Wanderausstellung bietet den
bis dato besten Zugang zur deutschsprachi¬
gen Literatur der Bukowina am Vorabend
der Vertreibung, Deportation und Ermor¬
dung (1941-44) jener Minderheit, die auch
unter rumänischer Herrschaft am Gebrauch
der deutschen Sprache festhielt. Vorange¬
stellt ist dem Buch Alfred Gongs großes
Gedicht „Topographie“, dessen Beschrei¬
bung Czernowitz’ in der die Tragödie resü¬
mierenden Strophe endet:
So ging das halbwegs geruhsam bis 1940:
Da kamen die Sowjets friedlich zu Tank und
„befreiten“
die nördliche Bukowina. Die Rumänen
zogen ohne Schamade
ordentlich ab in kleinere Grenzen. Die
Volksdeutschen
zogen reichheimwärts. Die Juden —
bodenständiger als die andern —
blieben (:die eine Hälfte verreckte in
Novosibirsk,
später die andere in Antonescus Kazets).
Die Steppe zog ein und affichierte ihre
Kultura.
Die Graber blieben unangetastet
bis auf weiteren Ukas.
Historisch falsch und nur aus einer
in den 50er Jahren grassierenden Totalita¬
rismustheorie verständlich ist die Gleich¬
setzung der Judenverfolgung in Rumänien
und in der Sowjetunion. Der Unterschied ist
ein qualitativer und ein quantitativer; selt¬
sam rührt es auch an, daß Gong die Rolle
der deutschen Schutzherren Antonescus
nicht einmal andeutet. Ich erwähne dies der
Richtigkeit halber, aber auch als Hindeu¬
tung auf die Schwierigkeit, die ich mit dem
von mir bewunderten Lyriker Alfred Gong
seit jeher hatte. Von manchen brennenden
Menschheitsfragen hat er sich allzuschnell,
des trüben Ausgangs offenbar bewußt, ab¬
gewandt. Da mag er weise gewesen sein,
doch entfernte ihn diese Weisheit, gepaart
mit der Isolation im New Yorker Exil, zu
weit von der praktischen Tätigkeit der Men¬
schen seiner Zeit; die Praxis wurde ihm
nichtig und die Erinnerung herrschend. Wo
ihn die Erinnerung entließ, fand er sich
einem unverbindlichen Erleben ausgelie¬
fert, das er in Einem beklagte und ausagier¬
te. So wurde der Lyriker, der die Vergeb¬
lichkeit unseres 20. Jahrhunderts einsah,
am Ende zum Spielball modischer kultur¬
pessimistischer Ideologeme.
Zurück zum Katalog, dessen Herausgeber
abschließend die Namen und Werke bedau¬
ern, die ,,noch zu nennen gewesen“ wären,
unter ihnen Leo Katz und Joseph Gregor.
Letzteren Namen vernimmt man nicht ohne
eine kleine Irritation: Gesellte sich der Ver¬
fasser des NS-konformen Buches „Das
Theater des Volkes in der Ostmark“ (Wien
1943) nicht eher den Mördern, in deren
Sprache Rose Ausländer, Paul Celan, Al¬
fred Margul-Sperber schrieben? So instruk¬
tiv der Katalog ist (eine wahre Fundgrube),
mit dem Fall Joseph Gregor stellt sich die
Frage des Konzepts: Wollte man die Lite¬
ratur der Verfolgten und Widerstehenden
(weil es ist ja nicht nur um die Beflissenheit
zu tun, Literarisches in deutscher Sprache
zu Papier zu bringen) darstellen, oder woll¬
te man, landschaftskundlich, die Literatur
einer untergegangenen deutschen Sprach¬
provinz erörtern? Abgesehen davon, daß
mit den nichtjüdischen ‚deutschen’ Schrift¬
stellern der Bukowina ohnehin kein Staat
zu machen ist, gilt die Sympathie der
Herausgeber den Verfolgten — das steht
fest. K.K.
Ernest Wiechner, Herbert Wiesner: In der
Sprache der Mörder. Eine Literatur aus
Czernowitz, Bukowina. Ausstellungsbuch.
Berlin: Literaturhaus Berlin 1993. 276 S.
(Texte aus dem Literaturhaus Berlin. 9).