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los, nur weil man ästhetiziert, da zeigt man sich nur unempfindlich hinter einem eisberg
von überempfindlichkeit, die stadt ist so schlecht wie ihre leute und man kann sie
wirklich nicht abschaffen, die kunstmittel dagegen richten nichts aus das ist lauter
nervenjauche und plazentalwahn. eine bessere welt macht man nicht indem man den
dreck der hier bei uns liegt, und heute schon die gehirne verstopft mit schönen worten
abstrahiert, das ist regressiv wenn man sich modern und progressiv gebärdet, die
mordernen wilden sind tiefste provinz.?®

Die deutsche Literaturkritik versuchte, die Ironie gar nicht oder mißverstehend,
dieser Literatur mit traditionellen Mitteln beizukommen, konnte damit seine Intention
natürlich nicht fassen.

Die Deutschen hingegen / messen ein Kunstwerk / mit literarischen Wünschelruten,
/ diese stöchern sie in den Anus / ihrer verehrten Dichterhelden / um nach dem Gral /
der Heiligen Weisheit zu stöbern, / die ein Dichter klugerweise / in den Abgrund seiner
Schreiberei versenkt.”

Dem zunehmenden Unverständnis folgte eine fast schon als absichtlich zu bezeich¬
nende Nichtbeachtung. Man ließ einen Autor, der unsere Welt so schonungslos und als
endgültig zerstört beschreibt, gerne in eine andere Sprache abwandern.

Literarische Geier haben mein Lebenswerk zerfetzt. Diese literarischen Falsch¬
münzer nannten meine Prosa grammatikalisch mangelhaft, ungenau, falsch, wertlos,
ungereimt und verrückt, meinen Stil und meine Wortwahl schleierhaft, durcheinander
und konfus, geschwätzig, schwulstig, übertrieben, zweideutig und nebensächlich, kurz:
aufgeblasen, seicht, elend und armselig und haben mich dementsprechend mit sämtli¬
chen Schimpfwörtern und Beleidigungen bedacht, die ihnen einfielen, und damit meine
aufrichtige Sorge um das Schicksal des Menschen in Frage gestellt.”

III. Warum lacht hier keiner?

Hier ist das Land, in dem keiner stirbt. Es hat keine Grenzen, es führt zu nichts und
nichts führt hin, nichts als dieser Fluß, der Fluß, der in Kälte unter der Brücke fließt,
und alles endet, was Anfang hat. Hier brüllt das Vieh, hier tragen zerlumpte Gestalten
ihre Körbe mit Steinen, aus denen sie Häuser errichten. Häuser mit Fenstern, die die
Welt abschließen vor ihren Feiern und Herrlichkeiten. Ungreifbar, unheimlich, unhör¬
bar gehen sie ihrer Arbeit nach, und du schaust hin bis es schwarz aus den Ritzen läuft
und eine dünne Stimme ‘Hilfe’ ruft.”

Als Jakov Lind 1950 wieder nach Europa zurückkehrt, sich wieder ‚‚unter die Ratten
dieses pestverseuchten Erdteils wagt“, fühlt er sich als „‚Schauspieler auf der Suche
nach einem Stück“, das er „am Ende selber schreiben würde“. „Kaum war ich in
Europa eingetroffen, sammelte ich schon meine Verrückten, wie Nabokov seine
Schmetterlinge.“ Er stellt in seiner ,,Nahaufnahme“ fest, ,,daB die Kranken über die
ganze Erde verbreitet sind. Ich war in die wirkliche Welt zuriickgekehrt, und das
schneller als erwartet.“

Man geht daher und geradeaus, meint, alles wäre gerade, die Linke nicht länger als
die Rechte und der Kopf schön in der Mitte. Man ist vom Geradegehen besessen und
genau, wenn man meint, daß es nicht gerader ginge, hängt die Linke tiefer als die Rechte
und der Hals steht schief, ein Fuß gibt nach, der zweite wird kürzer, und man liegt unten
und schreit.”*

Das Bedürfnis von Menschen, ihre Geschichte zu erzählen und sein „unsinniger
Drang, jedem zuzuhören, der etwas zu erzählen hat“ , kommen sich entgegen. „‚Wo sich
Leute trafen, gab es Geschichten, und selbst der jämmerlichste Trottel hatte eine ...
irgendwas war an allem dran und ich konnte was draus machen.“

Und man ist daheim im neuen schönen Vaterland. Wo man hinschaut ein Schwarzes
auf dem Roten. Irgendwie ganz schön. Und in der Stadt ist jetzt immer was los. Da hat
sich allerhand geändert. Ist nicht mehr wie früher. Jetzt marschieren’s wieder. Wie
unterm Kaiser. Andererseits schöner. Die Leute sind fescher. Früher war’s eleganter.
Und wenn man jetzt am Heldenplatz steht, tummeln sich die Leute. Heben die Hände,
ich hab mich ergeben. Sieg Heil! Hoch die Haxen. Kannst jedem ins Loch schaun. Das
sind finstere Köpfe. Der Führer pudert auch von vorn und hinten, das ist ein Linzer.
Sieg Heil, Sieg Heil. Lang ist’s her. Inzwischen hat sich wieder viel geändert. Da war
der Krieg und dann war der Krieg aus. Da waren die Besatzer und die sind jetzt auch
weg und wir sind wo wir immer waren. Am Misthaufen. Und Weiber gibt's auch nicht.
Nur zwei Trottel im Haus. Nur einen Schweinestall. Nichts hat sich geändert.”

Jakov Lind empfindet das Europa der Nachkriegszeit als Ort voll ,,Trauer, Lange¬

ARIADNE

Theodor Kramer: Love in London. Poems.
Translated by Fredric Brainin und Jorg
Thunecke. With an afterword by J.
Thunecke (Mit Zeichnungen von Edith Kra¬
mer und Willi Pechtl.) Riverside (CA.): Ari¬
adne Press 1995. 161 S., ca. 6S 150,-.
Der Band kann in Osterreich auch iiber die
Theodor Kramer Gesellschaft bezogen
werden, Bestellungen bitte an die Redakti¬
on MdZ.

Anmerkungen zum Textportrait Jakov
Lind

1 Jakov Lind: Hierzulande. Unveröffentlichte
Seiten aus dem Selbstporträt. In: Neue Rund¬
schau 82, 1971.

2 Jakov Lind: Jahrgang 1927. In: Jahr und
Jahrgang 1927. Hamburg: Hoffmann & Campe
1967.

3 Vgl. Anm. 4.

4 Jakov Lind: Mein Wiener Liederbuch.
NDR, 10.2.1987.

5 Der 13. März 1938 war eigentlich ein Sonn¬
tag.

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