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Beispiel 2: Fritz Nemitz: Alfred Kubin. (Aus: Das XX. Jahrhundert, 5. Jg., S. 277), Kubin gilt als Schilderer des Abseitigen und Unheimlichen, der Dämmerungswelt und des Traumes. So sehr auch die Nachtseite, ,,die schönere Seite des Tages“, den frühen Kubin bestimmt, so ist damit sein Wesen nicht erschöpft, ebensowenig wie mit der Bezeichnung Traumzeichner, wie sie auf Blake besser paßt. Wenn auch der Traum in seinem Werk eine . Rolle spielt — Kubin ist viel weniger das, was man einen Träumer nennt — auch im Leben; es ist vielmehr so, wie wenn bei ihm kein Unterschied zwischen Träumen und Sehen bestände. Die Kräfte, die ihn nähren, die Quellen, die ihn speisen, sind unromantischer Art. Diese brechen immer dort auf, wo das Leben als Elementarprozeß erlebt wird und als Ereignis, das, dauernd gesprengt, dauernd neues Gleichgewicht sucht. Romantisch ist diese Art, die Fragwürdigkeit und Zweideutigkeit der Dinge zu erleben; romantisch das Vorherrschen des Irrationalen, das den Weltsinn nicht in verstandesmäßigem Denken, sondern im Erfühlen und Erahnen sieht. Wäre Kubin nur ein Zeichner phantastischer Stoffe, so wäre über ihn nicht viel zu sagen. Er hat aber eine elemantare Beziehung zu jenen Mächten, die, nach Schillers Wort im ‚‚Wallenstein“, in uns ,,unter Tage schlimmgeartet hausen“. Ohne eine démonische Natur zu sein, hat er ein echtes Verhältnis zum Dämonischen, vor dem er in das Bild flieht und vor dem er sich durch das Bild rettet. Dieses Dämonische, ‚dieses Wesen, das zwischen alle übrigen hinzutreten, sie zu sondern, wie zu verbinden schien‘ (Goethe), fühlt Kubin in der Natur wie im banalen Alltag. Es läßt ihn die Angst der Kreatur spüren wie die Weltangst des Künstlers. Es drückt ihm die Feder in die Hand, die für die Realisierung seiner Vorstellungen das willigste und beste Werkzeug abgibt. Sie sichert nicht allein die unmittelbare Übertragung, sondern auch die innere. Spannung und Erregung ... Darum wirken seine Zeichnungen besonders auf den naiven und unverbildeten Menschen. Gerade diese Naivität, die manchem vielleicht seltsam oder skurril vorkommen mag, macht Kubins Gesamterscheinung so bedeutend ... Das Phantastische liegt nicht im Motiv, im Stoff, sondern in der Art der Strichführung, in der Verschmelzung von Handwerk und Vorstellung ... Anmerkungen 1 Die biographischen Daten stammen aus: Alfred Kubin (1877-1959). [Katalog zur Ausstellung in der oö. Landesgalerie vom 2. März bis 9. April 1995.] Hrsg.v. Peter Assmann. Salzburg: Residenz 1995. 2 _Meinhart Sild (geb. 29.6. 1917, Innsbruck); ab 1937 SA-Mitglied; Pressereferent im NSFliegerkorps Gruppe 17 (Österreich); war 1941 Sekretär des Reichskommissars für die besetzten niederländischen Gebiete, Arthur Sey8-Inquart. (Quelle: Österreichisches Staatsarchiv,Gauakt 239.328.) 30. Künstlerfreunden keineswegs ab; Kubin trat außerdem der von Jawlensky und Kandinsky gegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“ sowie der Gruppe des „Blauen Reiter“ bei. Es entstanden freundschaftliche Beziehungen mit Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Richard Schaukal, Hans Carossa, und er nahm Kontakt auf mit Gustav Meyrink, Franz Kafka und vielen anderen. Kubin avancierte ab den 10er Jahren zu einem der beliebtesten Buchillustratoren der deutschen Verlage, seine Graphiken waren bei Herausgebern von Kulturzeitschriften ebenso beliebt wie bei Galeristen und anderen Ausstellungsorganisatoren. Der Machtergreifung der Nationalsozialisten gegenüber verhielt sich der inzwischen fast 66jährige Künstler, der immer wieder seine unpolitische Einstellung betonte, abwartend und distanziert. Persönlich trafen ihn Auftragseinbußen, Grenz- und Geldschwierigkeiten sowie die Sorge um seine „halbjüdische“ Frau Hedwig. Zahlreiche Künstlerfreunde mußten ins Exil gehen. Dies hinderte Kubin aber nicht daran, der Reichskammer der bildenden Künstler beizutreten, obwohl das wegen seines Wohnsitzes in Österreich in den Kammergesetzen nicht einmal vorgesehen war und Kubin deshalb 1937 auch wieder ausgeschlossen wurde. Die Nationalsozialisten standen dem Künstler ebenfalls ambivalent gegenüber, einerseits wurden seine 1924 bei Piper verlegten 20 Bilder zur Bibel auf die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums 1938 gesetzt und es gab zahlreiche Schwierigkeiten bei neuen Buchprojekten während der NS-Ära, andererseits fand er immer wieder Förderer unter den NS-Funktionären. Eine ausführlichere Darstellung von Kubins Einbindung bzw. Aussperrung aus dem Kunstbetrieb, der offiziellen und persönlichen Äußerungen (Briefwechsel, Tagebücher) sowie von publizierten Texten und Graphiken soll die Basis für die in meinem Referat zentrale Frage bilden, wie weit Kubin oder ob er überhaupt der ‚Inneren Emigration“ zugeordnet werden kann. In einem weiteren Kontext soll der Vortrag einen Beitrag leisten zu einer auf die österreichische Situation anwendbaren Definition des Begriffs „Innere Emigration“. Die beiden Ausschnitte aus zeitgenössischen Zeitschriftenartikeln sollen eine Facette der Kubin-Rezeption im Dritten Reich verdeutlichen, und zwar jene, in der versucht wurde, eine Verbindung seiner Werke mit der nationalsozialistischen Ideologie herzustellen. 1939 sieht der Pressereferent im NS-Fliegerkorps Gruppe 17 (Österreich), Meinhart Sild?, in Kubins Graphiken die Darstellung des untergehenden Bürgertums, dem der Nationalsozialismus als angeblich „bessere“ Weltordnung folgen könne. (Beispiel 1, unten). Der Kunstkritiker Fritz Nemitz? erachtet es 1943 offenbar nicht mehr als notwendig, auf Kubins ‚‚Deutschtum“ hinzuweisen. Ihn beschäftigt vor allem das Phantastische in den Werken, von dem er annimmt, daß es vor allem auf ,,den naiven und unverbildeten Menschen“ — eine Umschreibung für Rezipienten antimoderner Kunstströmungen — wirke. (Beispiel 2, links, schmale Spalte). Beispiel 1: Meinhart Sild: Alfred Kubin. Ein Beitrag zur historischen Trigonometrie der Gegenwart. (Aus: Nationalsozialistische Monatshefte, 10. Jg., Heft 111, S. 517ff.) [...] Es muß zuerst eingesehen werden, daß Kubins Werk — als Wirklichkeit — nicht der künstlerischen, sondern der politischen Wertung unterliegt. Dies ist allerdings keine Erkenntnis, sondern eine Sache des Blickes, — eben des politischen Blickes, für den es eine „unpolitische Kunst“, das heißt: eine Kunst, die in keiner Beziehung zur Herrschaft oder zur Macht steht, nicht oder doch nicht mehr gibt; Untergangsstimmung: Furcht, Entsetzen, Verzweiflung; Sinn-, Ordnungs- und Rechtlosigkeit; kein Glaube, keine Hoffnung. Die Zukunft als Bedrohung. Und alles dies als einzige Gewißheit! Alfred Kubin stellt diesen Untergang der bürgerlichen Welt dar. Bilder wie ,,Gestrandeter Hai“, „Das Lebensschiffchen“ oder „Vor den Stufen“ sind Spitzen der Einheit des ganzen Werkes, das unmittelbar einen Gesamteindruck hinterläßt: die Darstellung sterbenden und verwesenden Lebens, des Todes, der Krankheit, des Grauens; das Leben im unentrinnbaren Zusammenhang mit dem Sumpf. Und nur diese Seite des Lebens: hier wurde ein Zustand festgehalten, dessen einzige und notwendige Folge und Konsequenz der Untergang ist. Und durch die Sprünge und Risse im Bau der Welt quillt alles ausfüllend der Ekel. [...] In einer einzigen Zeichnung „‚Der Untergang“ versucht Kubin eine unmittelbare Darstellung des Unterganges der bürgerlichen Welt. Dieses Werk ist in mancher Hinsicht aufschlußreich: einmal darin, daß der Untergang als Ereignis gesehen wird, als zeitliche und räumliche Verdichtung eines dauernden und umfassenden Vorganges; was notwendig der Blickrichtung aus der bürgerlichen Welt entspricht. Zum anderen durch die entscheidende Rolle, die Kubin der Technik beimißt. Es ist richtig und bezeichnend, daß der Bürger die Technik als Gefahr empfindet, daß