Aber sie alle [...] haben einen großen Einfluß auf die Bewußtmachung der Probleme
ihrer Zeitepoche ausgeübt, haben Fortschritte durch ihre Art des Denkens und Urtei¬
lens herbeigeführt, haben neue Gesichtspunkte vermittelt; sie haben dadurch Revolu¬
tionen verursacht und den Gang der Evolution beschleunigt. (Etta Federn: Mujeres de
las revoluciones. Publicaciones mujeres libres, Barcelona, o.J. [1937])
Im April 1938 verläßt sie Spanien. Die Städtebombardierungen setzen ihr nervlich
zu sehr zu. Sie ist krank und arbeitsunfähig. Die Niederlage der anarchosyndikalisti¬
schen CNT/FAI und die Defensive der republikanischen Streitkräfte wirken zusätzlich
demoralisierend. Sie braucht Ruhe und läßt sich zusammen mit den beiden Söhnen in
Paris nieder. Bei diesem Umzug gehen ihr etliche Manuskripte verloren.
In Paris angekommen schreibt sie zunächst einen Roman über ihre Erfahrungen
an der Schule in Blanes, den sie im Januar 1939 als Beitrag zu einem literarischen
Preisausschreiben bei der American Guild for German Cultural Freedom einreicht.
Gleichzeitig bittet sie die AmGuild inständig, ihr durch eine Einladung zu Vortrags¬
reisen Affidavits für die USA zu verschaffen und bietet an, auf literarischem,
pädagogischen oder psychologisch-lebensberatendem Gebiet dort tätig werden zu
können.
Ich will unbedingt aus Europa raus. Die Ereignisse in Spanien lassen mich Schlimm¬
stes für Frankreich befürchten. Der Europäische Krieg wird, fürchte ich, nicht lange
auf sich warten lassen; und ich bin aller Kriege so müde. (Brief an American Guild
vom 17.1. 1939, Deutsches Exilarchiv, Deutsche Bibliothek Frankfurt/M.)
Alle Versuche, in die USA auszureisen, mißlingen. So zieht sie sich außerhalb von
Paris in ihre literarische Arbeit zurück. Verwandte in den USA schicken kleine
monatliche Geldbeträge, die beim Überleben helfen. Es entsteht ein Buch über Chiro¬
logie — eine Art psychologische Charakterstudie der Hände.
Der älteste Sohn Hans (,‚Capitaine Jean Federn“) fällt schließlich im August 1944
in der Résistance. Dies hat zur Folge, daß sich Etta Federns Status in Frankreich
allmählich verbessert. Von der unwillig geduldeten deutschen Emigrantin steigt sie im
gab natürlich da schon eine Menge Leute,
die versuchten, da irgendwelchen Nutzen
draus zu ziehen, wie z.B. der Schwieger¬
sohn unseres Hausmeisters, der sofort in die
SS eingetreten ist — das haben wir dann
später die Märzgefallenen genannt —, und
der hat also damals schon versucht, wie
meine Eltern noch da waren, ihnen zu dro¬
hen. Und dann, wie meine Eltern weg sind,
was ja sehr bald passiert ist, da hat er diese
Wohnung einfach ausgeräumt. Also es gab
solche Erscheinungen, aber ich weiß nicht,
wie man das eigentlich analysieren soll, es
war janicht aus ideologischem Antisemitis¬
mus, daß er unsere Möbel wollte...
Gesunde Bereicherungssucht?
Aber es war noch nicht eine Ausrottungs¬
politik, und wenn Leute in Amerika jetzt
meinen, daß alle deutschen Juden das hätten
wissen, daß sie in Öfen enden werden, ist
das ist natürlich ein vollkommener Un¬
sinn...
Das Interview (Chicago, 6./7. Oktober
1994) führte Wolf Erich Eckstein für das
Projekt ‚„Erzählte Geschichte“ des Doku¬
mentationsarchivs des österreichischen
Widerstandes.