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Fernweh unter Zwang

Der Lebensweg vieler verfolgter jüdischer
Frauen aus Wien liest sich wie die Story eines
geglückten Lebens. Trudl Dubsky zum Bei¬
spiel, verheiratet mit dem Komponisten des
,,Dachauliedes“ Herbert Zipper, Mitglied der
Bodenwieser-Tanztruppe, unterrichtete Mitte
der 30er Jahre in London und baute 1937 die
Tanzabteilung der Universitat in Manila,
Philippinen, auf. 1946 arbeitete sie bei Erwin
Piscator in New York und leitete das Tanzde¬
partment des „Dramatic Workshop“; Toni
Curtis, Paul Newman oder Walter Matthau
zählten zu ihren Schülern. Später eröffnete sie
in Brooklyn ein eigenes Tanztheater und lehr¬
te an der Musikschule in Chicago.

Die von von Helga Embacher und Esther
Gajek gestaltete Austellung "Fernweh un¬
ter Zwang" zeigt exemplarisch die Bedeu¬
tung von sechs Künstlerinnen und
Wissenschaftlerinnen im _österreichi¬
schen Kulturleben vor 1938 auf, aber
auch deren Leben und Wirken nach ihrer
Vertreibung: Dr. Lilly Bader (Chemike¬
rin), Käthe Berl (Emailkünstlerin), Trudi
Dubsky (Tänzerin), Hertha Glaz (Opern¬
sängerin), Anni Lampl (Psychologin) und
Fini Littljohn (Schauspielerin, Illustrato¬
rin) haben mit Tausenden vertriebenen
Frauen gemeinsam, daß keine zurück¬
kehrte.

Österreich bedeutete für alle sechs Frauen
Judenverfolgung und Vertreibung, doch
blieb es auch jenes Land, dessen Sprache
und Kultur sie sich lebenslang verbunden
fühlten. (Erstpräsentation im Rahmen des

Symposiums „Frauen im Exil“ im
Österreichischen Theatermuseum.)

S.B.
Österreichischer
Literaturkalender

Im Otto Müller Verlag ist erstmals ein
„Österreichischer Literaturkalender“ 1996
erschienen. Der Herausgeber Erich Hackl hat
sehr viele der 53 Kalenderblätter Exilierten
und Verfolgten gewidmet.: Fred Wander, Ri¬
chard Zach, Else Feldmann, Stella Rotenberg,
Fritz Brainin, Erich Fried, Theo Waldinger,
Anna Mahler, Berthold Viertel, Elisabeth
Freundlich, Alma Johanna Koenig, Franz
Werfel, Ilse Aichinger, Theodor Kramer...
Der Kalender ist eine Fundgrube für interes¬
sante Zitate und für Bilder, in denen Literatur
und Kunst noch etwas miteinander anzufan¬
gen wissen. Schön ist, daß sich hier österrei¬
chische Literatur in historisch vertiefter Per¬
spektive darstellt und nicht als langweiliger
x Repräsentations-Canon.

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öffentlichen Ansehen auf zur Mutter eines gefallenen Resistancekämpfers; ein schwa¬
cher Trost. Der Tod ihres Sohnes ist der größte Schlag ihres Lebens. Und wieder stürzt
sie sich in schriftstellerische Arbeiten.

In Paris ist sie schließlich geblieben; Remigration nach Deutschland oder Österreich
war für sie kein Thema. Ihrem Neffen Ernst Federn schrieb sie kurz nach Kriegsende:

Ich schreibe Dir in deutscher Sprache, weil ich nicht weiß, wie weit Dir das
Französische bequem ist. Mir ist es fast lieber und leichter als das Deutsche, dessen
ich mich in diesen Jahren ganz entwöhnt habe. (Brief an Ernst Federn vom 11.8. 1945,
Privatbesitz Ernst Federn)

Und sie erklärt ihm, nun nach dessen Einverständnis in französischer Sprache, daß
Kropotkins Thesen für sie weiterhin Gültigkeit besäßen:

... il me parait une erreur de baser un mouvement social sur le Darwinisme et c’est
pourquoi je trouve que Kropotkine, qui demande l’union et l’organisation des faibles
contre les forts me parait tellement plus consequent, et plus profond du point de vue
socialphilosophique et ethique ... (Brief an Ernst Federn vom 30.11. 1945, Privatbesitz
Ernst Federn)

Aus Briefgn von 1950 geht hervor, daß sie zu diesem Zeitpunkt die Umarbeitung
der Rathenau-Biographie abgeschlossen hatte, deren erneute Veröffentlichung in der
Bundesrepublik Deutschland ihr in Aussicht gestellt worden war. Darüber hinaus
übersetzten ihr Sohn Michael und sie noch gemeinsam ihr Buch über die Charaktero¬
logie der Hände ins Französische.

Und dann will ich an meine Memoiren gehen. Auch andere Arbeitspläne habe ich
noch, es ist nur die Frage, ob es mir vergönnt sein wird, sie zu realisieren. (Brief an
Ernst Federn vom 2.6. 1950, Privatbesitz Ernst Federn)

Es war ihr nicht vergönnt. Etta Federn starb 1951 in ihrer neuen Wahlheimat Paris.
Im gleichen Jahr entstand noch eines ihrer letzten Gedichte:

Kaleidoskop

Erinnerung, du bunte Rückwärtsschau,

Du farbiges Kaleidoskop des Lebens,

In dem zugleich sich spiegelt, rot und blau,

Und grün und gold, verschönt vom Traumestau,
Vielfältig und auch einfach reichen Webens.
Was ich erlebt als Kind und auch als Frau

Und noch als Greisin, harrend, doch vergebens,
Daß Tod und Ende frei mich mach’ des Strebens.
Wie bunte Flitter sind die Menschen alle,
Steinchen und Gläschen in dem Prismenrohr,
Und wie ich’s dreh, so wechseln sie im Falle,
Die einen sinken, andre stehn hervor

Und bilden Muster, Zeichen, lichte Sterne,

Stets sich verschiebend, und ich, armer Tor,
Blick nur zurück in diese Dämmerferne,

Die stets verlockt und doch sich längst verlor.
Kaleidoskop, du Wunder-Spiegelrohr,
Erinnerung, du heller Zauberflor,

Ihr gaukelt mir die Lebensbilder vor,

Bis endlich alles schwindet hinterm dunklen Tor.

Längst ist noch nicht alles aufgefunden, was von Etta Federn geschrieben wurde. Im
Spanischen Bürgerkrieg beispielsweise hatte sie unter Pseudonym oder anonym veröf¬
fentlicht. Auch aus Frankreich sind noch Fundstücke zu erwarten. Neues und Ausführ¬
licheres wird im Oktober anläßlich der Tagung ‚‚Frauen im Exil“ zu hören sein.

Was sich an Etta Federns Lebenslauf manifestiert, ist kein abgehobener, welt¬
fremder Idealismus. Es ist vielmehr die stete Bereitschaft zur Übernahme von
Verantwortung für sich und andere, zur gelebten sozialen und politischen Anteil¬
nahme darin aufzufinden, und als diese nicht mehr möglich ist und sie ins Stillhal¬
ten, ins Verstecken und in die Isolation gedrangt wird durch die politischen
Verhältnisse Nazi-Europas, ihre Konzentration aufs Schreiben als Selbstverge¬
wisserung und sozialem Akt der Sinnvermittlung zugleich, ungeachtet der eigenen
Verzweiflung und existentiellen Not.