Aber ich möchte wissen, ob der alte Nußbaum noch steht. Vielleicht komme ich
doch noch einmal nach Wien und ob mein Haus dann ‚‚amerikanischer Besitz“ ist oder
nicht, ich gehe in den winzigen Garten und wenn der Nußbaum meines Urgroßvaters
noch steht, so kann ich den Kopf gegen seine Rinde lehnen. Er wird das gewiß nicht
bemerken. Bäume tragen Früchte und spenden Schatten für die Kinder derjenigen, die
sie gepflanzt haben ebenso wie für Hitler-Jungen und für Soldaten vom anderen Ende
der Welt. Die Natur ist unendlich gleichgültig dem Leid wie der Dummheit und
Schlechtigkeit der Menschen gegenüber.
Doch ich, vielleicht, wenn ich wieder unter dem alten Nußbaum meines Urgroßva¬
ters stehen kann, vielleicht werde ich da wieder weinen können, so wie ich als Kind
geweint habe: Tränen, die erleichtern. Und die nicht Bitterkeit zurücklassen. Und Haß.
und Romanversuche, sowie ein abgeschlos¬
senes Manuskript (,,Schokolade fiir das
Afrikakorps. Leben unter den Hydnen“). In
den sieben Jahren ihres erzwungenen Auf¬
enthalts in Nordafrika hatte Alice Penkala
keine Zeile veröffentlichen können.
Nach Österreich — wo sie unter Journalisten
einen hohen Bekanntheitsgrad hatte - woll¬
te sie nicht zurückkehren. Trotz ihrer alten
Liebe zu Wien — dem Wien vor der braunen
Sintflut — quälten sie noch zu viele grausa¬
me Erinnerungen. Sie hatte in Tanger den
aus Frankreich stammenden antimilitaristi¬
schen Emigranten Stany Penkala geheiratet
und ließ sich nun mit ihm in dessen Heimat¬
dorfin den Alpes Maritimes nieder. Endlich
wieder zu publizieren — das brannte ihr un¬
ter den Nägeln. Von ihrem entlegenen Dorf
aus war dies äußerst schwierig. Zudem wa¬
ren viele Wiener Freunde und frühere Kol¬
legen umgekommen oder ebenfalls im Exil.
Versuche, in ihrer neuen Heimat bei
französischen Medien Hintergrundberichte
über Österreich anzubieten, scheiterten.
Nach und nach entwickelte sich eine rege
Zusammenarbeit mit Literaturagenturen für
den deutschen Sprachraum — Kalmer in
London und Picard in Zürich. Kalmer
wünschte insbesondere Kurzgeschichten,
betonte aber, daß in deutschen und
österreichischen Zeitungen die Thematik
Krieg und Verfolgung unerwünscht waren.
Ähnliche Auflagen gab es offenbar auch bei
Verlagshäusern, denen Alice Penkala in
späteren Jahren Romane anbot. Das erklärt,
warum nur drei von rund 40 Romanen das
Thema Exil/Antifaschismus behandeln.
Gerade diese drei Manuskripte blieben
unveröffentlicht, während mehrere Dut¬
zend Romane mit ,,harmloserem“ Hand¬
lungsrahmen trotz unterschiedlicher Giite
reißenden Absatz fanden.
Erst in den 50er und 60er Jahren entschlos¬
sen sich Medien im deutschsprachigen
Raum etwas häufiger zur Veröffentlichung
von Kurzgeschichten mit verdrängten Erin¬
nerungen. Nie sollten sie jedoch solche
Verkaufsquoten erreichen, wie etwa
provenzalische Erzählungen oder heitere
Glossen. Inzwischen war die Autorin not¬
gedrungen dazu übergegangen, sich dem
„Markt“ anzupassen. Fast mutet es wie ein
psychohygienischer Akt an, daß sich Alice
Penkala 1967 im Roman ‚Anna und die
Windmiihlen“ Erlebtes aus dem Vorkriegs¬
österreich und aus ihrem Exil in Tanger von
der Seele schrieb. Dieses weitgehend
autobiographische Buch fand breites Echo.
Als Exil-Autorin wurde Alice Penkala je¬
doch auch damals noch nicht zur Kenntnis
genommen...
Krista Scheuer-Weyl