vermutete Ausmaß der (in vielen Fällen eher unzureichenden) Förderungen sicher
zu hoch gegriffen ist, weist die österreichische Verlagsförderung eine gravierende
Lücke auf: Zuschüsse gibt es zu den Druckkosten und zur Bewerbung der Produkte,
aber die editorische Arbeit wird nicht gefördert.
Gerade die Wiederentdeckung, Bearbeitung usw. und usf. bis hin zur Vorlage
eines druckreifen Manuskripts von verschollenen Werken des Exils ist besonders
zeitaufwendig und somit kostspielig. Diese Kosten können von keinem Verlag,
weder aus der Verlagsförderung noch aus dem Verkauf der Bücher, getragen
werden.
Selbst die vom Suhrkamp Verlag betreute kritische Gesamtausgabe der Schriften
Bertolt Brechts wäre ohne eine Finanzierung des editorischen Aufwands durch
öffentliche Stellen nicht möglich gewesen. Um so mehr gilt dies für Autorinnen und
Autoren wie Frederick Brainin, Alfred Frisch, Leo Katz, Stella Rotenberg. Es mag
nicht jedermann interessieren, ob diese aus Österreich verjagten Menschen und
Schreibenden überhaupt je existiert haben; aber was sie geschrieben haben, verdient
unbedingt unser Interesse. Wer da nicht mitfühlen und mitleben kann, ist zumindest
moralisch verpflichtet, dieses Interesse zu respektieren.
Vermutlich haben sich die freiheitlichen Mandatare im Kulturausschuß des
Wiener Gemeinderates am Namen des ‚Vereins zur Förderung und Erforschung
der antifaschistischen Literatur“ gestoßen. Antifaschismus ist für sie ein rotes
Tuch, ein Begriff, den sie wohl als ‚ideologische Mißgeburt“ der kommunisti¬
schen Propaganda in Mißkredit bringen wollen. ,,Antifaschistisch“ zu sein, war
für österreichische Sozialdemokraten bereits in den frühen 20er Jahren selbst¬
verständlich — mehr als ein Jahrzehnt bevor der VI. Weltkongreß der Komintern
1935 die antifaschistische Volksfront als neue Taktik der Kommunisten verkün¬
dete. Für die Literatur des Exils und des Widerstands, die Literatur der Verfolg¬
ten und Ermordeten hat die Bestimmung ,,antifaschistisch“ auch dann ihren
Sinn, wenn sie dem deutschen Bundeskanzler Helmuth Kohl und dem FPO-Fiih¬
rer Jörg Haider nicht ins Konzept paßt. Erstens weist ,,antifaschistisch“ auf die
Gemeinsamkeiten des Exils und des Widerstands hin. Sie verhindert z.B., daß
ein Jura Soyfer, der im KZ Buchenwald gestorben ist, ehe er nach Großbritan¬
nien ausreisen konnte, vom zünftigen Exilliteraturforscher ausgeblendet wird.
Zweitens macht ‚‚antifaschistisch“ drauf aufmerksam, daß die im Exil entstan¬
dene Literatur nicht bloß Ausdruck einer besonderen Situation, nämlich der des
Exils ist, sondern ebenso und mehr noch Auseinandersetzung mit den wesentli¬
chen Fragen und Kämpfen der Zeit. Man vergesse niemals, welch ungeheure
Anstrengung es gekostet hat, den deutschen, italienischen und japanischen
Faschismus niederzuwerfen, und zwar auf allen Gebieten, nicht nur dem mili¬
tärischen!
Mitunter wird einem vorgeschlagen, statt von Antifaschismus lieber von Anti¬
nazismus zu reden. Gewiß muß man zwischen nationalsozialistischer Herrschaft im
„Deutschen Reich“ und faschistischer Herrschaft in verschiedenen anderen Län¬
dern unterscheiden: Das ist aber kein ausreichender Grund, das Zusammenspiel und
die gegenseitige Ergänzung verschiedener Faschismem in der Epoche vor und
während des Zweiten Weltkrieges zu unterschätzen und den Antifaschismus durch
einen Antinazismus zu ersetzen, der nur mehr die allerextremsten Ausprägungen
faschistischer Herrschaft inkriminiert. Als wäre die Erinnerung an Auschwitz das
probate Mittel, womöglich das Sich-Abfinden mit ‘sanfteren’ Formen des Faschis¬
mus einzuüben!
In Österreich gesellt sich der Begriff ,,Antinazismus“ zudem gerne dem Kon¬
sens, der sich, tiber die politische Lagergeschichtsschreibung hinaus, angesichts der
„Hitlerei“ (der nationalsozialistischen Herrschaft) unter den Österreichern einge¬
stellt haben soll. Er richtet sich gegen die Einverleibung Österreichs in das „Dritte
Reich“ und weiters gegen die großen kriegerischen Unternehmungen wie den
Angriff auf England und den Überfall auf die Sowjetunion. Es ist fraglich, ob dieser
Antinazismus dieselbe Sensibilität für nationale Integrität bei Ländern, die einst zur
Donaumonarchie gehörten, besaß. Der ,,Antinazismus“ blendet die eigene öster¬
reichische Vorgeschichte, die Ständestaatsdiktatur 1934-38 aus.
Alles in allem, scheint es nicht geraten, einen Begriff, der doch einige Spannung
in sich enthält, darum fallen zu lassen, weil er Anstoß erregt. Das Problem ist nicht,
daß die einen Antifaschisten bleiben, sondern daß die anderen es offenbar nicht
geworden sind.