gung war — sehr oft einer immer mehr um sich greifenden Stimmung der Bevölkerung
entsprach. Das ist jedoch gar nicht das Wesentliche: Ein charakteristisches Kennzei¬
chen des österreichischen Widerstandes war seine Diversität: Je länger jedoch der Krieg
dauerte, um so stärker wurden die Bindungen der einzelnen Gruppen untereinander:
Katholisch-Konservative, Legitimisten, Kommunisten, Sozialisten und Liberale bilde¬
ten schließlich ein österreichisches Amalgam, dessen Ziel — ungeachtet partikularisti¬
scher Eigenziele jeder Gruppe - vor allem die Wiederherstellung Österreichs als
unabhängiger und demokratischer Staat war. Der österreichische Widerstand hatte noch
einen anderen Aspekt: es gab ihn auch außerhalb der Grenzen des Landes und auch
dort in mehrfacher Form: in den freien westlichen Demokratien, vor allem in Großbri¬
tannien meldeten sich Tausende junge Österreicher, um mit der Waffe in der Hand für
die Befreiung Österreichs zu kämpfen. Sie führten ihren Kampf nicht einfach als Kampf
gegen den Nazismus, sondern unter ausdrücklicher Berufung auf die zu erringende
Unabhängigkeit Österreichs. Dasselbe gilt für die besetzten westeuropäischen Länder,
vor allem Frankreich und Belgien, wo sich die österreichischen Antinazis in den
Widerstand einreihten, doch immer mit dem ausdrücklichen Ziel: Befreiung Öster¬
reichs. Hier rufe ich bloß in Erinnerung, daß die in Frankreich und Belgien kampfenden
Österreicherinnen und Österreicher in den Städten das aktivste Element der sogenann¬
ten TA (Travail Anti-Allemand) waren, das heißt jener Untergrundarbeit, in der sie sich
direkt an die österreichischen Soldaten in der Wehrmacht wandten, um ihnen das
Verbrecherische, aber auch die Aussichtslosigkeit des Hitlerkrieges vor Augen zu
führen. Jetzt erst, fünfzig Jahre später, treten diese so lange okkultierten Widerstand¬
stätigkeiten von Österreichern in den besetzten Ländern ins Licht historischer For¬
schungen. Man wird in Zukunft nicht darüber hinweggehen können - ich meine in
Lehre, Forschung und Publizistik , daß dieser österreichische Widerstand als solcher
existiert hat — ich verweise mit einem Wort auf die Tausenden Todesopfer und
Inhaftierten der KZs , daß er durch seinen Bestand und dadurch, daß er, langzeitlich
gesehen, immer stärker ins Bewußtsein der jungen Generationen eindrang und ein¬
dringt, auch objektiv einen wesentlichen Beitrag zur Nationswerdung geleistet hat.
Eine ähnliche Feststellung kann über den Beitrag der kulturellen spezifisch österreichi¬
schen Leistungen zur Nationswerdung gesagt werden. Diese Seite ist schon oft beschrieben
worden, und ich will hier eine zusätzliche Feststellung treffen. Es wird jetzt oft kritisiert,
daß die österreichischen Nachkriegsregierungen es verabsäumt haben, die vom Nazismus
Opfern des Nazismus eine ihnen gebührende Entschädigung für die erlittenen Leiden
zuzugestehen. Wenn diese Kritik auch gerechtfertigt ist, so gehört sie heute nicht zu meinem
Thema. Ich will auf eine andere Tatsache verweisen: Die ins Exil getriebenen österreichi¬
schen Kulturschaffenden aller Sparten haben dort im Exil keinen Augenblick darauf
verzichtet, für die Zukunft der österreichischen Kultur zu arbeiten und sie vorauszudenken.
Daß dieser Aspekt des österreichischen Exils ebenfalls bis in jüngste Zeit okkultiert worden
ist, bedeutet ein schweres Manko in jeder Hinsicht. Es wurde zwar — und das ist sicher
verdienstvoll — von der Vertreibung der Vernunft (und der Literatur usw.) gesprochen und
davon, welchen Verlust dies für Österreich bedeutet hat — ich stimme überein , doch der
Aspekt, daß es eine absolut positive Seite österreichischer Bewußtwerdung auf dem
kulturellen Sektor gegeben hat, wurde bisher eher übergangen. Erst in verhältnismäßig
jüngster Zeit haben sich Gruppen von jungen Forschern des kulturellen Exils angenommen
und darüber erhellende Forschungen angestellt. Ich denke an Siglinde Bolbecher, Konstan¬
tin Kaiser, Peter Roessler, Primus-Heinz Kucher, Johann Holzner, Herbert Arlt und so
manche andere, die ich wegen der gebotenen Kürze hier vernachlässigen muß. Sie haben
sich in der Auf- und Bearbeitung des riesigen Exilkomplexes große Verdienste erworben.
Die österreichischen Kulturschaffenden im Exil ließen sich nicht nur davon leiten, das
„österreichische Kulturerbe zu erhalten, zu verteidigen und zu propagieren“, sondern es
ist Tatsache, daß dieses Exil eine selbständige und genuine Kulturleistung vollbracht hat,
die sich sehen lassen kann. Jetzt wäre es an der Zeit, eine umfassende Enzyklopädie der
österreichischen Kultur im Exil zu erarbeiten. Ersparen Sie mir bitte eine ausführliche
Beweisführung. In letzter Zeit kann man eine solche in so manchen Publikationen finden,
wie zum Beispiel in der Zeitschrift MdZ, oder in der anderen, ,,Jura Soyfer“ genannt.
Ich stelle hier provokativ fest: dem zum Kulturmythos gewordenen Wien 1900 —
dessen Leistungen ich keineswegs bestreiten will — stelle ich die Kulturleistung des
österreichischen Exils entgegen, als schöpferische Antithese. Mit Wien 1900 wurde die
österreichische Kultur der Vergangenheit in die Welt getragen, was jedoch das Exil in
der weiten Welt geleistet hat, das war eine Vorschau auf die Kultur des 21. Jahrhunderts.
die Zeichnerin, auch mit der Ölmalerei.
In den 60er Jahren zeichnet und malt sie in
der Ballettschule von Tatjana Gsofsky in
Berlin — im Ballett findet sie den sie inter¬
essierenden Menschen in Bewegung.
1989 wurden Arbeiten Risa Sattlers in der
auf antifaschistische Kunst spezialisierten
Berliner Galerie Ludwig Lange gezeigt. —
Die Tochter der Künstlerin, Maria-Gabriela
Quixano, lebt in Wien und ihr istzu danken,
daß die Arbeiten ihrer Mutter nun auch in
deren Geburtsstadt zu sehen sind.
Aquarelle von Risa Sattler