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Schwarzwaldschule, stellte Carl Zuck¬
mayer 1937 den Antrag auf Zuerkennung
der 6sterreichischen Staatsbiirgerschaft.
Beialler ‘Prominenz‘rundumZuckmayer
ware Alice Herdan nicht nur als Privat¬
personzubehandeln.

Nicht ganz gliicklich erscheint der Aus¬
druck ,,Zwischenexil“. War denn Oster¬
reich zwischen 1933 und 1938 fiir aus
Deutschland Gefliichtete kein Exilland?
Waren die Schweiz, die Tschechoslowa¬
kei, Frankreich, Jugoslawien u.a. ,,Zwi¬
schenexile“? Der Aufenthalt in den még¬
lichen Asylländern fand seine Grenze in
der Ausdehnung Hitlerdeutschlands. Die
Flucht, das Leben im Exil war und ist bis
heute von vielen mühevollen Stationen ge¬
kennzeichnet.
Die Gesellschaft für Exilforschung (Ber¬
lin) plant ein Exil-Handbuch, ein Exilland
Österreich ist darin nicht eingeplant. Zu
Recht werden auch Staaten mit diktatori¬
schen oder faschistischen Regimes wie
Polen, Mussolini-Italien, Horthy-Ungarn
berücksichtigt, wo immer deutsche Hitler¬
flüchtlinge Aufnahme fanden. Gerade die
österreichische Asylpraxis vor und nach
dem Februar 1934 wäre von Interesse.
Aber Österreich existierte offenbar nur
provisorisch. Soll man dem Vorschub lei¬
sten?

S.B.

Literatur zu Peter Gstettner

Arendt, Hannah: Nach Auschwitz. Essays &
Kommentare. Berlin 1989.

Claussen, Detlev: Grenzen der Aufklärung. Die
gesellschaftliche Genese des modernen Antise¬
mistismus. Frankfurt/M. 1994.

Jochmann, Rosa: Epitaph. In: Neues Forvum,
Nr.481-484, 1994, 16-17.

Picard, Jacques: Riß in der Geschichte. Im Wi¬
derstreit um das rechte Erinnern. In: Menora.
Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte.
München 1993, 17-50.

Semprun, Jorge: Schreiben oder Leben. Frank¬
furt/M. 1995.

Silbermann, Alphons: Zur Handhabung von Er¬
innern und Vergessen. In: Menora. Jahrbuch für
deutsch-jüdische Geschichte. München 1992,
13-20.
Wiesenthal, Simon: Recht, nicht Rache. Erin¬
nerungen. Frankfurt und Berlin 1988.
Weinzierl, Erika: Zu wenig Gerechte. Österrei¬
cher und Judenverfolgung 1938-1945. Graz
1985.

Zausnig, Josef: Der Loibl-Tunnel. Das verges¬
sene KZ an der Südgrenze Österreichs. Klagen¬
furt/Celovec 1995.

Überarbeitetes Referat zur Eröffnung der Aus¬
stellung am 8. Mai 1996 in St.Johann/Sentjanz)
Kärnten/Koroska.

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anzuerkennen und ihrer würdig zu gedenken, an die 50jährige Weigerung, die Zwangs¬
aussiedlung der slowenischen Familien durch die heimischen Nazis als Verbrechen zu
bezeichnen, die Tatorte und die Täter zu benennen.

Heute denke ich dabei aber auch an den großen Schmerz, an den wir selbst mit
unserer Spurensuche rührten: an die Tränen der Empörung und Scham einer Studentin,
die zu mir kam, als sie im vorigen Jahr zum ersten Mal in der Zeitung lesen mußte, in
Kärnten, in ihrer Heimat, gleichsam vor ihrer Haustüre, nämlich am Loiblpaß, hätte es
ein KZ gegeben. Oderich denke an unsere vor Schreck und Abwehr erstarrten Gesichter
angesichts der Vitrinen im Museum von Auschwitz, die voll sind mit abertausend
Koffern, Kleidungsstüken, Schuhen, Prothesen, Brillen, Toilettartikel, Kindersachen,
abgeschnittenen Zöpfen und zu Leintüchern und Stoffen verarbeiteten Menschenhaar.
Ich denke an die Erschütterung in den Stimmen, als wir uns (später) gegenseitig im
Seminar von unseren Empfindungen dort, von unseren Gesprächen in den Familien,
von den Interviews mit Freunden und von den »Begegnungen« mit der Tätergeneration,
die bar jeder Einsicht oder gar des Bedauerns ist. Ein Satz in einer Seminararbeit ist
mir dabei gut in Erinnerung geblieben, weil eben auch von der Qual des Erinnerns die
Rede ist: »Das Grauen dieser Geschehnisse quält, lähmt. Das Erinnern fällt schwer,
bedrückt, schmerzt«.

Dieser Schmerz des Erinnerns ist bei uns ein anderer als der der überlebenden
Holocaustopfer, die nicht vergessen können, was ihnen angetan wurde, die sich ständig
erinnern müssen und lieber vergessen würden, weil das Vergessenkönnen ihnen als
eine Bedingung für das Weiterleben in Normalität erscheint. Rosa Jochmann, ehema¬
lige KZ-Deportierte, sagte es schlicht so: »Wir, die wir aus dem Konzentrationslager
zurückgekommen sind, wir sind keine freien Menschen. Die Gnade des Vergessenkön¬
nens ist keinem beschieden, der im Konzentrationslager war. Das kann man nicht
vergessen. Es ist nicht so, daß es, je weiter es wegrückt, einfacher und leichter würde.
Es bleibt. Das ist nicht nur meine Empfindung. Wir sind durch das Tor des Lagers nur
scheinbar in die Freiheit gegangen« (Jochmann 1994, S. 16/17). So zwingt die
Erinnerung die Überlebenden immer wieder in das Lager, in das Ghetto zurück, wenn
auch nur symbolisch oder 1 Gedanken.

Der ehemalige Buchenwald-Deportierte und spätere Literaturpreisträger Jorge Sem¬
prun schreibt, daß man nicht einfach den Tod überlebt hat (wenn man das KZ
überlebte); man war nicht nur dem Tod entronnen, sondern man hat zeitlebens das
Gefühl, den Tod »durchquert zu haben. Vielmehr von ihm durchquert worden zu sein.
Ihn gewissermaßen durchlebt zu haben.(...) Ich hatte den Tod nicht wirklich überlebt,
ich war ihm nicht ausgewichen. Ich war ihm nicht entgangen. Vielmehr hatte ich ihn
durchlaufeı von einem Ende zum andern. Ich hatte seine Wege durchlaufen, hatte mich
darin verloren und wiedergefunden, ungeheurer Landstrich, durch den die Ab¬
wesenheit rinnt. Kurz, ich war ein Wiedergänger. Und Wiedergänger jagen immer
Angst ein« (Semprun 1995, S.25)

Uns Nachgeborene macht schon dieser kalte Angsthauch befangen, der von den
Berichten der »Wiedergänger« oder von den Relikten der Überlebenden ausgeht. Es ist
diese Kälte, die auch den Fotografien von Naomi Tereza Salmon anhaftet. Wie muß
erst die Tätergeneration, die den »Zirkel von Schuld und Gewalt« (Detlev Claussen
1994, S. 15) durchlebte, diese Angst vor der Wiederkehr des Verdrängten empfinden,
die Angst vor der Kälte der »Wiedergänger« und ihren heißen Spuren im Diesseits, die
Angst vor der Begegnung mit jenen Personen, die schon längst tot sein müßten und die
eigentlich nur deshalb nicht im Jenseits sind, weil es Fehler im Diesseits, im Vernich¬
tungssystem der Nazis gab.

Erinnerungen und Assoziationen können also psychische Schmerzen verursachen
und Angst machen; all dies sind Gefühle, die jeder gerne vermeiden möchte. Dem nicht
auszuweichen, d.h. die psychische Anstrengung der Erinnerung auf sich zu nehmen,
ist aber wichtig, um ein Zukunftskonzept, ein Konzept von zukünftigem Leben unter
humanen gesellschaftlichen Bedingungen entwickeln zu können.

Erinnerung ist ohne diese intellektuelle und psychische Anstrengung nicht möglich,
weil es Anstrengung erfordert, gegen emotionale Widerstände, gegen Angst- und
Schmerzvermeidung, gegen »die Gnade des Vergessenwollens« zwar anzukämpfen,
aber doch so, daß die eigenen Gefühle, zum Beispiel die Schmerzen, spürbar und
erlebbar bleiben. Asservate, also aufbewahrte Gegenstände, können die Erinnerung auf
die Spur der Einsicht in die katastrophalen Fehler der Vergangenheit und auf die
Spur der Erkenntnis einer besseren Zukunft führen, ohne daß dieser Erkenntnisweg die
menschliche Empfindsamkeit einfriert, das Mitgefühl umgeht oder gar abtötet.