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man ihre persönlichen Verluste darzustellen und
mit ihren eigenen Worten „‚nach Hause zu kom¬
men“.
Ihre Aufzeichnungen „Memories in My Life“ ver¬
faßte sie in Englisch, 50 Jahre nach ihrer Vertrei¬
bung.
1976, nach dem Tod ihres Vaters Luis Davidoff,
reiste sie zum erstenmal nach Österreich, besuchte
Wien und Sauerbrunn mit großer Furcht vor einem
nach wie vor lebendigen Antisemitismus. Sie wie¬
derholte ihre Besuche und fand Menschen, die sie
willkommen hießen und die es ihr möglich mach¬
ten, ihre „kulturellen Wurzeln wieder zum Leben
zu erwecken“. Die Ausstellung ihres Werkes in
Österreich war ihr ein wichtiges Anliegen, eine
Möglichkeit realer Rückkehr und ein Gedenken
„an all die Menschen, die im Holocaust umge¬
kommen sind“, an ihre Familie und alle Freunde.
Die Kisten mit den Bildern waren verpackt und
per Flugzeug auf dem Weg nach Wien. Am 18.
Februar 1996, wenige Tage vor der Ausstellungs¬
eröffnung, verstarb Daisy Davidow-Bermann in
New York.
Ihre „Notizen und Erinnerungen“ wurden der
MdZ freundlicherweise von Traude Horvath zur
Erstveröffentlichung überlassen.

Siglinde Bolbecher

(Das Bild zeigt die Künstlerin mit ihren drei in den
NS-Verfolgungen umgekommenen Freundinnen)
Unten: Eyes that see. Acryl auf Leinwand

Pauloschitz, züchtete Kaninchen. Eines Tages stellte ich fest, daß sie schmutzig
waren und ein Bad brauchten. Also badete ich sie und legte sie zum Trocknen
ins Gras ... aber sie bewegten sich nicht mehr. Sie waren tot, und ich hatte sie,
ohne es zu wollen und im eifrigen Bemühen, sie zu säubern, ertränkt. Herr
Pauloschitz war dann sehr böse auf mich, und ich fürchtete mich danach sehr
vor ihm. Ich hatte etwas sehr Schlimmes angestellt.

Wie in Wien mußten die Dienstmädchen, die während der Sommermonate
für uns arbeiteten, oft auf mich aufpassen ... sie lasen mir Geschichten vor und
gingen mit mir ins Kino. Es war eine engverbundene Gemeinde ... jeder kannte
jeden ... in der Nähe gab es ein Kurbad, dessen Heilquelle vielgepriesen und
heißbegehrt war. Im Wald gab es viele Kiefern, und oft unternahmen mein Vater
und ich lange Spaziergänge im Wald, wenn er am Wochenende zu uns kam.
Auch da ging meine Mutter nicht mit.

Vor allem während eines Sommers, es muß 1937 gewesen sein, schnappte
ich immer wieder Gesprächsfetzen auf, in denen von der ,,Nazipartei“ die Rede
war, ... daß sie in Sauerbrunn Versammlungen abhielten. Ich wußte nicht, was
das Wort „‚Nazi“ bedeutete, aber ich weiß noch, daß meine Eltern sehr bestürzt
waren. Herr Pauloschitz war ein führendes Mitglied der Naziortsgruppe. Sogar
im zarten Alter von neun Jahren spürte ich irgendwie, daß die Nazis und die
Juden etwas miteinander zu tun hatten ... irgendwie hatte ich das Gefühl, daß
diese Nazis die Juden nicht mochten.

Vom letzten Sommer in Sauerbrunn ist mir deutlich in Erinnerung geblieben,
welche Verwirrung diese Gespräche in mir hervorriefen.

Als wir nach Wien zurückkehrten, nahmen die Diskussionen und Erzählun¬
gen über die Nazis zu. In meinem kindlichen Verständnis sah ich in den Nazis
böse Menschen, die Juden wie mich und meine Eltern nicht mochten. Und
ungefähr zu dieser Zeit begannen sich die Dinge zu verändern. Kleine Unter¬
schiede im alltäglichen Leben, in der Art, wie mich meine Eltern behandelten
... zuerst wurde unser Gesellschaftsleben eingeschränkt, aber nicht nur das, es
wurde geflüstert, man unterhielt sich mit gedämpfter Stimme, und die ganze
Atmosphäre erschien mir plötzlich stiller ... es kam mir so vor, als hätte aller
Spaß nun ein Ende ... die Sorglosigkeit von früher war weg ... die Fröhlichkeit
war aus unserem Haus und allem, was wir taten, gewichen. Mir schien, daß
meine Eltern keine Zeit mehr für mich hatten ... alle beschlich ein unbehagliches
Gefühl ... die Leute schienen vorsichtig und unsicher zu sein. Ich erinnere mich
vor allem deshalb daran, weil ich an einem Umzug anläßlich des österreichi¬
schen Staatsfeiertages teilnehmen sollte. Meine Eltern debattierten heftig, ob
ich mitmachen sollte oder nicht, weil sie um meine Sicherheit bangten ...
schließlich ging ich doch mit.

Damals erfaßte mich ein Gefühl des Verlassenseins; andauernd bat ich meine
Eltern, „mich genau so lieb zu haben wie früher“. Ich sagte das so oft, daß es
manche als Witz auffaßten ... für die Erwachsenen war es amüsant ... mit der
Zeit glaubte ich, daß mich keiner mehr lieb hatte ... ich dachte, ich hätte vielleicht
etwas angestellt ... aber dieses Gefühl ging nicht mehr weg, es gab auch keine
logische Erklärung dafür, und seit damals lastete es auf unserer ganzen Familie.
Ständig hörte ich neue Geschichten über Nazis und Juden ... ich verstand nie,
was los war ... eine konkrete Information waren die Gespräche über Juden, die
versuchten, Wien zu verlassen.

Der Bruder meiner Mutter verließ Wien und ging in die Vereinigten Staaten,
und ich weiß noch, daß meine Mutter sehr oft weinte. Er hatte eine nichtjiidische
Freundin, Teresa; sie kam zu uns auf Besuch, und sie und meine Mutter saßen
da und weinten. In meine Besorgnis mischte sich nun auch noch das Gefühl der
Angst. Und wiederum wußte ich nicht, warum. Ungefähr zu der Zeit, begannen
mich meine Eltern vor Spaziergängen zu warnen (außer dem Weg von und zur
Schule), ich sollte nicht zu laut sprechen, vorsichtig sein. Ganz plötzlich schien
sich alles um mich herum zu verändern.

Wir hörten oft Radio — mehr denn je. Mein Vater war noch immer sehr in
der sozialistischen Partei engagiert, nahm an den Versammlungen im Jiidi¬
schen Gemeindezentrum teil und blieb immer öfter immer länger von zu
Hause weg. Und ich weiß noch, daß es etwas mit der „Rettung“ von Juden
zu tun hatte.

Hitler marschierte im März 1938 in Österreich ein, was ich selbst miterlebt