Am 7.5. 1929 wurde Daisy Davidow in Wien
geboren und wuchs im 2. Bezirk auf, wo sie bis
1938 auch die Volksschule besuchte. Ihr Vater
Luis Davidow war der Sozialdemokratie verbun¬
den und als Architekt beim kommunalen Wohn¬
bauprogramm des „Roten Wiens“ beschäftigt.
Nach Hitlers Einmarsch in Österreich wurden die
Wohnung in Wien sowie das Sommerhaus in Sau¬
erbrunn konfisziert. 1939 konnte zunächst Luis
Davidow nach Großbritannien flüchten, zwei
Tage vor Kriegsbeginn folgten ihm seine Tochter
und seine Frau nach.
Nach zehn Monate dauernder Internierung in
Sandwich konnte die Familie 1940 mit einem
Affidavit in die USA einreisen. Die Familie lebte
zunächst in bitterer Armut in New York. Luis
Davidow konnte keine Anstellung finden, die
Mutter arbeitete in einer Kleiderfabrik und wurde
zur Familienerhalterin. Der harte Alltag des Exils
entfremdete die Eltern zusehends voneinander.
Daisy Davidow besuchte public schools und gra¬
duierte am Hunter College in New York zum
bachelor in Deutsch und Literatur.
1953 Heirat mit Herman Berman; Geburt eines
Sohnes und einer Tochter. Tätigkeit als Sozialar¬
beiterin bei der Stadt New York. Erst spät begann
Daisy Davidow-Berman sich der Malerei zu wid¬
men. Sie studierte an der Art Student’s League und
der National Academy of Design.
1976 erste Reise nach Österreich. Nach dem Tod
ihres Mannes (1979) konzentrierte sie sich fast
ausschließlich auf die Malerei. Sie bevorzugte das
schnell trocknende Acryl, um so, aus der Sponta¬
neität heraus, die vergessenen, verdrängten Bilder
ihrer Kindheit auf Leinwand zu bannen. Ein Aus¬
gießen der furchtbaren Träumen, um eine Kathar¬
sis im Bild zu finden, wird ihr zum Motiv ihrer
Kunst. So entstanden über 200 Gemälde mit dem
bewußt gewählten ästhetischen Ausdruck der Di¬
rektheit und Wahrheit wie aus Kinderaugen.
In ihrem Atelier, nahe der Riverdale Gallery, ver¬
anstaltete sie Diskussionen rund um ihre ausge¬
stellten Bilder.
Daisy Davidow reiste regelmäßig nach Öster¬
reich, suchte nach ihren alten Lebensbeziehungen;
machte ihr ehemaliges Kindermädchen ausfindig
und konnte vor allem neue Kontakte knüpften.
1994 Wiedererlangung der österreichischen
Staatsbürgerschaft. Nach Abschluß der Vorberei¬
tungen zu ihren Ausstellungen in Wien und Mat¬
tersburg stirbt Daisy Davidow-Berman überra¬
schend in New York an einem Herzinfarkt.
fahren mußte. Meine Mutter meldete sich freiwillig. Nach diesem Entschluß
bemerkte ich, daß das Verhältnis zwischen meiner Mutter und ihrer Schwieger¬
mutter bedeutend besser wurde! Meine Großmutter hatte immer das Gefühl, daß
mein Vater nicht standesgemäß geheiratet hatte, und zwar aus mehreren Grün¬
den. Einer davon war, daß meine Mutter in Polen geboren ist. Großmutter war
auch etwas verstimmt, weil mein Vater Architekt geworden war anstatt das
Geschäft zu übernehmen.
Meine Mutter fuhr mit dem Geld nach Berlin, und mein Onkel wurde aus
Dachau entlassen. Er reiste sofort nach England ab und ließ seine Frau und seine
Tochter in Wien zurück.
Die Reichskristallnacht, 9. November 1938. Ich war in der jüdischen
Schule im 2. Bezirk, da wurde uns gesagt, niemand dürfe ohne die Begleitung
eines Erwachsenen die Schule verlassen. Es gab keine Begründung. Ich weiß
noch, wieich dasaß und wartete, und ich war sehr hungrig. Plötzlich erschien
meine Mutter. Sie war einverstanden, noch vier weitere Kinder aus der
Schule mitzunehmen, und wir „begleiteten“ sie nach Hause; wir nahmen
jedoch nicht die normale, übliche Route, wir gingen durch Gassen, die ich
nicht kannte, und wir brauchten viel länger, um unser Ziel zu erreichen.
Überall Feuer, sodaß wir die Straßen meiden mußten, in denen es brannte.
Danach wurde der Alltag noch beschwerlicher. Täglich gab es Zwischenfälle
auf der Straße. Die religiöseren Juden, die, die sich orthodox kleideten, und
die alten Juden wurden ständig geschlagen. Jeden Tag sahen wir die Schläger
auf der Straße. Wenn sie einen nicht verprügelten, zwangen sie einen,
niedrige Arbeiten zu verrichten wie z.B. die Straße zu waschen. Mein Vater
schärfte mir ein, auf die andere Straßenseite zu gehen, wenn ich so etwas
sah.
Eines Abends klopfte der Freund meines Vaters an die Tür und sagte uns,
daß er auf der Liste sei, er solle am nächsten Morgen abgeholt werden, und wir
wußten, das bedeutete das Konzentrationslager. Mein Vater stellte fest, daß sein
Freund sofort abreisen müsse, und er kontaktierte meinen Onkel (seinen Bru¬
der), der sich bereits in England befand, dieser solle ihm helfen, seinen Freund
rauszubringen.
Vor diesem Zwischenfall war einmal ein anderer enger Freund meines Vaters
bei uns, er hieß Johnny Pregg, und er hatte eine hitzige Debatte mit meinem
Vater (es ging immer um Politik), und wie er so dasaß, zog er plötzlich eine
Naziarmbinde hervor (mit dem Hakenkreuz)... Dieses Bild hat sich für immer
in mein Gedächtnis eingeprägt... Er fuchtelte damit herum und schrie meinen
Vater an und mein Vater warf ihn aus der Wohnung.
Zu der Zeit begannen meine Mutter und Johnny Pregg ein Verhältnis.
Mein Vater fragte mich verschiedentlich, ob ich wüßte, wo meine Mutter
sei, und ob ich Johnny Pregg gesehen hätte oder nicht... Meine Eltern stritten
mit der Zeit immer öfter. Eines Tages reiste mein Vater nach England ab;
danach war Johnny Pregg häufiger bei uns zu Besuch. Wenn er für kürzere
Zeit weg war, brachte er mir jedesmal Geschenke mit. Ich fühlte mich ihm
sehr nahe — was mir heute eigenartig vorkommt, wenn man bedenkt, daß er
mit meiner Mutter ein Verhältnis hatte, aber damals war die Sache für mich
„okay“. Ich war froh, daß meine Mutter in jener überaus schwierigen Zeit
jemanden hatte.
Wir hatten auch immer wieder echte Geldprobleme. Genau gesagt hatten
wir sehr wenig. Irgendwann begannen unsere nichtjüdischen Freunde, uns
mit Geld auszuhelfen. Sie führten mich und meine Mutter oft zum Essen aus,
sie kauften uns auch Geschenke. Damals dachte ich mir, für sie sei es leicht,
weil sie ja keine Juden waren; ebenso wie für Johnny Pregg alles leicht war,
was er tat.
Damals begriff ich, wie schrecklich es war, Jude zu sein - ich hatte mir früher
eigentlich nie über meine Herkunft Gedanken gemacht, und vor allem nicht über
die Folgen, die sie mit sich brachte. Ich war immer ‚‚Wienerin“, Punkt.
Während dieser Zeit kamen sich meine Mutter und meine Großmutter näher:
sie besuchten einander öfter. Ich weiß noch aus ihren Gesprächen, daß sich
meine Großmutter sicherer fühlte als wir, weil sie Geld hatte, und sie sagte:
„Wer sollte denn einer alten Frau was zuleide tun?“
Immer wieder mußte sich meine Mutter in langen Warteschlangen anstellen,