Marie Frischauf-Pappenheim
Österreichische Musik in Mexiko
Das Konzert zu Gunsten notleidender an¬
tifaschistischer Österreicher, (veranstal¬
tet vom Comité de Ayuda a Austria), das
am 19. Februar im Konzertsaal von Bellas
Artes stattfand, war ein guter Erfolg so¬
wohl in künstlerischer, als auch in mate¬
rieller Hinsicht. Vor allem zeigte sich
wieder, daß österreichische Musik von
guten Künstlern vorgetragen, große An¬
ziehungskraft auch auf das mexikanische
Publikum ausübt. Der Komponist Marcel
Rubin, der das Konzert organisierte (und
außerdem die Sänger meisterhaft beglei¬
tete), hat verstanden, das Programm sehr
abwechslungsreich und interessant zu ge¬
stalten. Frau Rosy Volk zeigte alle wich¬
tigen Eigenschaften der Sängerin: launi¬
ges, fröhliches Temperament in den Lie¬
der aus ,,Zigeunerbaron“ und ,,Fleder¬
maus“. Innigkeit und Tiefe in Schuberts
„Der Tod und das Mädchen“ , stimmliche
Schulung in den schwierigen Liedern von
Hugo Wolf und Mahler. Frl. Raquel Ru¬
binstein spielte Mozarts „Pastoral mit
Variationen“ rein, klar, zart, mit guter
Technik. Der Tenor der Opera Nacional,
Carlos Puig, sang vier Schubertlieder
(darunter eines der schönsten, ‚Früh¬
lingsglaube“) in deutscher, also ihm un¬
gewohnter Sprache, aber nichts von Be¬
fangenheit oder Unfreiheit war deswegen
seiner schönen, lyrischen, seelenvollen
Stimme anzumerken. Daß er als Zugabe
wunderhüsche Lieder von Revueltas und
Ponce sang, knüpfte mit schöner Geste
die mexikanische Musikkultur an die
österreichische. Das Quarteto Cläsico
Nacional spielte mit der, dem mexikani¬
schen Volke eigenen musikalischen und
intuitiven Begabung den heiteren, echt
österreichischen Haydn so, als hätten die
vier Musiker den Wienerwald, die Zeit
des Kaiser Franz Josef und die Atmosphä¬
re Wiens seit ihrer Kindheit gekannt. Aus
dem Beethoventrio hätte man, da man aus
Zeiteinteilungsgründen nur einen Satz
spielen konnte, vielleicht eher den 1. oder
den letzten Satz wählen sollen.
Es ist zu hoffen, daß der Erfolg des Kon¬
zertes die österreichische Organisation
dazu bewegen wird, ihre langgehegte Ab¬
sicht zu verwirklichen und in regelmäßi¬
gen Zeiträumen, etwa alle zwei bis drei
Monate, gute Musik in kleinem Rahmen
ausführen zu lassen.
Erschienen unter dem Kürzel M.H. in:
Austria Libre 5 (1946) 3 (März), 5.
Manuel Rodriguez Lozano, Carlos Mérida, Guillermo Meza, Moreno Villa, Roberto
Montenegro, Anontio Ruiz und Xavier Villarrutia.
Österreich ist in Mexiko durch Wolfgang vertreten, der — obwohl Österreich schon
von den internationalen Landkarten verschwunden war — gerade als Protest und
Hinweis auf die außenpolitische Haltung Mexikos — „Austria“ an die erste Stelle der
teilnehmenden Länder dieser internationalen Ausstellung setzte (Ausstellungskatalog
1939/1940).
Vie] beachtet und in seiner Heimat bis vor wenigen Jahren konsequent ignoriert
publizierte Paalen in mexikanischen Exil die Kunstzeitschrift „DYN“ (abgeleitet von
griechischen Begriff für „das Mögliche“), die erste Nummer erscheint im April 1942
und als Leitmotiv schreibt Paalen auf die Innenseite des Covers:
All totalitarian tyrannies
banished modern art.
They are right.
For as a vital stimulus
to imagination, modern art
Wie Mexiko nach Wien kommt
Wien hat inzwischen seinen (berühmt-berüchtigten) Mexiko-Platz. Wo aber bleibt die
Isidro Fabela-Straße? Immerhin verdankt Österreich diesem mexikanischen Diploma¬
ten den einzigen schriftlich eingereichten Protest gegen den ,,AnschluB“ 1938. Und
Fabela, Jahrgang 1882, lebte bis 1964. Nur wollte man in den ersten Jahren nach 1945
„alte Geschichten“ nicht allzu deutlich aufs Tapet bringen. So unterblieb eine Ehrung
für Isidro Fabela. Schade, denn gerade während der letzten Lebensjahre des Mexikaners
begann die Faszination von Wien auf mexikanische Schriftsteller und Intellektuelle zu
wirken. In den Neunzigern steigerte sich diese Neigung zu einer ‚‚pasiön austrofilica“.
2. Mexikos Protest gegen den ‚‚ Anschluß“
In den üblichen historiographischen Arbeiten zum Jahr 1938 kommt Mexikos Protest
gegen den „Anschluß“ höchstens als Fußnote vor. Aus realpolitischer Sicht, wo nur
Masse und Macht zählen, mag dies genügen. Denn der mexikanische Völkerbund-Pro¬
test hat nichts rückgängig machen können. Auch lag dem Schreiben des mexikanischen
Völkerbunddelegierten Fabela kein Resolutionsentwurf für eine umfassende Plenarde¬
batte bei.
Warum hat Mexiko protestiert? In der lateinamerikanischen Außenpolitik-Debatte
entstand in den siebziger Jahren das von Ratil Prebich entwickelte Konzept der
„autonomia periferica“. Diese ‚‚relative Autonomie“ besagt, Lateinamerikas Staaten,
obschon seit rund 170 Jahren formaliter unabhängig, dürften als Nachbarn der Verei¬
nigten Staaten nicht tun, was ihnen beliebt, sondern müßten sich an — teilweise
ungeschriebene — Spielregeln aus Washington halten; wer dagegen verstößt, laufe
Gefahr, von den Vereinigten Staaten gemaßregelt, bestraft oder sogar militärisch
besetzt zu werden.
Mexiko, als unmittelbarer Nachbar der Vereinigten Staaten, hat mit dieser rauhen
Wirklichkeit leben lernen müssen. Im 19. Jahrhundert verloren „Die Vereinigten
Staaten von Mexiko“ ausgedehnte Nordwestterritorien an die Vereinigten Staaten von
Amerika. 1847 wurde Mexiko-Stadt von siegreichen US-Truppen besetzt. Jene natio¬
nale Katastrophe inspirierte die nationalrevolutionäre ‚‚reforma“ des liberalen Präsi¬
denten Benito Juärez. Dies führte indirekt zum ,,Segundo Imperio“, zum zweiten
Kaiserreich des unseligen Maximilian, der überhaupt nur eine momentane Chance
hatte, weil die USA gegen diese europäische Intervention wegen des eigenen Bürger¬
kriegs nicht sofort agieren konnte.
Nach dem langen „Porfiriat“ (1880 bis 1910), dem ersten Triumph des lokalen
Liberalismus, setzte die große mexikanische Revolution ein. Diese Frühform einer