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bedauerten, daß es mir nicht erlaubt war, einen so kläglich bezahlten Job anzunehmen.“ Trotzdem versuchte sie es gleich wieder in einem Kleidergeschäft und kaufte für Toller, um ihn zu überraschen, ein Radio auf Raten, das sie dann doch nicht abzahlen konnte, weil sie abermals ohne Arbeitsbewilligung erwischt und deshalb gekündigt wurde. Christiane entdeckte, daß Toller unter regelmäßigen Schüben einer Depression litt, Angst hatte, daß seine Kreativität erlahme. ‚‚Statt Mitleid hätte er eine starke Hand gebraucht, die ihn nicht dauernd fliehen ließ. Das war nicht leicht, da er weder Haus noch Kind wollte.“ Toller fuhr mit Christiane nach Amerika. Die Odyssee ging weiter. ET war rastlos, während Christiane sich nach einem Heim sehnte, nach Geborgenheit. ET suchte seine Zelle. Er sehnte sich nach einer Zelle, nie nach mir. Mich brauchte er gar nicht. Warum nicht? ET war noch immer im schwarzen Tunnel, mehr als je. Toller verbot Christiane, wieder als Schauspielerin zu arbeiten, und nahm ihr zugleich das Versprechen abnahm, niemandem von dem Verbot zu erzählen. Christiane Grautoff kritisiert zwar ihren Mann, gleichzeitig bringt sie ihm und seinen Bestrebungen ihr tiefstes Verständnis entgegen. Ja, er war eitel, er war egozentrisch, aber er hat immer an die Millionen gedacht, die hungern, leiden, verkommen, kämpfen, schuften für Nichts. Er hat immer die Unmenschlichkeit der Menschen vor Augen gehabt und versucht, das Leid zu vermindern und die Situation zu verbessern. Bei zahlreichen Vorträgen erlebte sie die Oberflächlichkeit der Menschen, die nach dem Ende einer Veranstaltung ihre alltäglichen banalen Gespräche fortführten. Auch bei den antifaschistischen Vorträgen oder Versammlungen konnte man das ehrliche, große Interesse sehen und hören, ohne jedoch wirklich den kleinsten Eindruck zu hinterlassen. Als sei alles nur zum Zeitvertreib gesagt worden. Christiane Grautoff hinterließ nicht nur eine sachliche Bilanz ihres Lebens, von den Herausgebern ergänzt durch Zitate aus Zeitungen und Berichten von Zeitgenossen, die ihre Darstellung bestätigen, sie liefert auch eine weitgehend objektive Einschätzung von Ernst Toller und seinen politischen Ansichten. ET machte immer einen großen Unterschied zwischen einem Deutschen und einem Nazi, genauso, wie er den Russen von den Kommunisten unterschied, obwohl er immer nur als Kommunist bekannt war und noch heute als Kommunist gilt. Er war es gar nicht. Toller fuhr nach Spanien, um für die Spanische Republik zu kämpfen. Christiane blieb in Amerika. Während Christiane mit Ernst Deutsch und Alexander Granach 1939 nach Los Angeles fuhr, um an einer deutschen Aufführung des Wilhelm Tell mitzuwirken, erreichte sie die Nachricht, daß sich Ernst Toller in New York erhängt hatte. Die Witwe war zweiundzwanzig Jahre alt. 35 Jahre später starb Christiane Grautoff in Ciudad de México. 66. Ein ebenso sachlicher wie warmherziger Text der Tochter Christiane Grautoffs ergänzt die ungewöhnlichen Biographie. Manfred Chobot Werner Fuld/Albert Ostermaier (Hg.): Die Göttin und ihr Sozialist. Christiane Grautoff ihr Leben mit Ernst Toller. Bonn: Weidle Verlag 1997. 160 S. OS 277,-/DM 38,-/Sfr 35,90 Buchzugänge Wernfried Hofmeister/Bernd Steinbauer (Hg.): Durch aubenteuer muess man wagen vil. Festschrift für Anton Schwob zum 60. Geburtstag. Innsbruck: Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 1997. 598 S. ÖS 840,-/DM 132,Ein Buch, das wir leider aus schlichter Inkompetenz nicht besprechen können, denn auf diesen Seiten treffen sich die Kapazitäten des ‘alten Fachs’. Da es uns aber zugegangen ist, zeigen wir sein Erscheinen mit dem gebührenden Respekt an. Nikolaj Kanéev (Hg.): Das Buch der Ränder Bulgarien: Lyrik. Aus dem Bulgarischen von Klaus Detlef Olof gemeinsam mit Valeria Jäger. Klagenfurt: Wieser Verlag 1997 (1998). 317 S. OS 298,Herbert Kuhner: Liebe zu Osterreich/Love of Austria. Lyrik — Poetry. (Englisch/Deutsch.) Herausgeber — Editor: Konstantin Kaiser. Wien: Verlag Der Apfel 1998. 209 S. OS 298,/DM und SFr 44,Herbert Kuhner: Minki die Nazi Katze und die menschliche Seite. Prosa. Mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser. Wien: Verlag der Theo dor Kramer Gesellschaft 1998. 137 S. OS 200,/DM 29,-/SFr 27,-/USD 17,-. Michael Mitterauer: Millenien und andere Jubeljahre. Warum feiern wir Geschichte? Mit einem Vorwort von Hubert Christian Ehalt. Wien: Picus 1998. 64 S. OS 108,-/DM 14,80/SFr 14,30. (Reihe Wiener Vorlesungen). Seit vielen Jahren und zu gegebenen Anlässen (‚Maria Theresia"-Ausstellung 1980; ‚Türkenbelagerung“ 1983 usw.) hat der Sozialhistoriker Michael Mitterauer sich mit dem „Zwang der runden Zahl“ im Zusammenhang mit Jubiläumsfeiern auseinandergesetzt und dieses kulturspezifische Phänomen als geradezu ahistorisch kritisiert. Das Gedenken und auch die Ausrichtung einer Feierlichkeit zu historischen Ereignissen gibt diesen eine quasi überzeitlich gleichbleibende Bedeutung. Eine Tradition aus der christlichen Liturgie, die auch in die weihevolle Gestaltung von Geschichts-Gedächmishandlungen Eingang geJunden hat. Es geht um gefühlsmäßiges Erleben von Vergangenem, womit auch die kritische Distanz zur Geschichte, der Unterschied zwischen Vergangenem und Gegenwart verwischt wird. Gegen diese Gedenkkultur und gegen Jene, die sich ihrer bedienen, richtet sich der engagierte Essay. Franz Richard Reiter (Hg.): Wer war Rosa Jochmann? Wien: Ephelant Verlag 1997. 205 S. OS 298,-/DM 41,-/SFr 39,-. Rosemarie Schulak: ... Die vergessen sind. Erinnerungen. Bilder. Geschichten. Wien: Edition Doppelpunkt 1997. 243 S. OS 195,-. Ritchie Robertson: Heine. Aus dem Englischen von Andrea Marenzeller. Wien: Werner Eichbauer Verlag 1997. 118 S. (Jiidische Denker. Hg. von Arthur Hertzberg. Bd. 3). Elisabeth Welzig: Die Bewältigung der Mitte. Ernst Mannheim: Soziologe und Anthropologe. Wien: Böhlau 1998. 292 S. ÖS 398,-/DM58,SFr53,20 Walter Wippersberg: Die Irren und die Mörder. Roman. Salzburg: Otto Müller Verlag 1998. 184 S. OS 198,-. Zeit der Befreiung. Wiener Theater nach 1945. Hg. von Hilde Haider-Pregler und Peter Roessler. Wien: Picus 1997. 430 S. ÖS 394,-/DM 54,-/SFr 51,-. O.P. Zier: Himmelfahrt. Roman. Salzburg: Otto Miiller Verlag 1998. 352 S. OS 298.-.