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Lebensgefährliche Situationen zu beobachten und dabei nicht
zu verzweifeln, weiter zu denken und zu schreiben, hat mich
wahrscheinlich ein für alle Male geprägt. Mit dieser Methode
überlebte ich Hunger- und Emigrationsjahre, Krankheiten und
den Literaturbetrieb nach meiner Heimkehr.

Im Grunde genügt es mir, ein außenstehender Beobachter und
Beschreiber zu sein, ganz gleichgültig ob das einen Sinn hat und
eine Zukunft ergibt. Es ist schon schwer genug mit geringen
Kräften bei einer Sache zu bleiben und durchzuhalten. Dem
Markt und seinen Anforderungen fühle ich mich nicht gewach¬
sen, wenn ich die nun einmal gewonnene Haltung bewahren will.

Das lebenslang gelernte und geübte Verzichten ist mir zur
zweiten Natur geworden und ich bin schon froh, wenn ich, bei all
meinen Beschwerden, die täglichen Notizen fortsetzen kann.

Lernen ist eine Arbeit, und Arbeit heißt: bei einer Sache bleiben
und die gestellte Aufgabe beenden. So gesehen habe ich von Anfang
an nie gearbeitet und das traurige Resultat sind meine fragmentari¬
schen Notizen und Skizzen. Statt sie nochmals vorzunehmen und sie
zusammenhängend in eine anregende und unterhaltsame Plauderei
zu verwandeln, schreibe ich sie einfach so weiter.

Wenn ich nicht, wie bei einem Gedicht oder einem Traum,
vom innewohnenden Schwung getragen werde, versage ich wie
schon in der Schule. Ich weiß zwar im nachhinein, wie es sein
müßte, bringe aber die dazu nötige kritische Geduld nicht auf. Es
ist schon sehr viel, daß ich mich nicht dauernd den zufälligen
Einfällen überlasse, sondern mir ein Thema stelle, das ich einige
Tage lang für jeweils eine Stunde fortsetze. Aber ohne Spontani¬
tät bin ich hilflos und ohne genügende Kraft außerstand, die vagen
Bilder zu verlebendigen und sie so vorzutragen, daß noch ein
durch die Sprache geschaffener Zusammenhang entstünde.

Eine distanzierte Sprache, wie sie mir für diese Versuche
richtig erscheint, kann ich schon deshalb nicht entwickeln, weil
sie, wenn ich sie allfälligen Zuhörern gegenüber praktiziere, zwar
einen Moment lang interessiert, aber schließlich ohne Reaktion
bleibt. Im Grund genommen ist jeder nur mit sich und seinen
Problemen und Produktionen beschäftigt. Es fällt ihnen schwer
genug, mit ihrer täglichen Arbeit und ihren familiären Pflichten
fertig zu werden, besonders dann, wenn sie die fast aussichtslose
Zukunft mit ihren Bedrohungen auch nur halbwegs zu überden¬
ken vermögen. Sich dagegen abzuschirmen und weiter zu arbei¬
ten, verbraucht viel Kraft und Abwehr. Nimmt man die Abwehr
des Vergangenen hinzu, läßt sich leicht verstehen, daß die Ab¬
wehr alles Störenden und Schwierigen zur Normalhaltung der
heutigen Jugendlichen und älteren Generation gehört.

Als Gegenmaßnahme versuchen sie einerseits ihr unverbunde¬
nes Ich zu definieren und andererseits an eine illusionäre Welt zu
glauben, in der es keine Zwänge und Kämpfe geben soll. Diese
beiden Haltungen widersprechen aber all meinen Erfahrungen
und Einsichten: Ich versuche daher mit allen Mitteln das Vergan¬
gene in mir zu bewahren und zu verstehen, und überlasse in einer
Art gottergebenem Verhalten das Künftige der Zukunft. Ein
Grund mehr, meine Versuche, für die es kein Publikum gibt, so
zu belassen wie sie eben sind.

An persönliche und künstlerische Vollendung auch nur zu
denken, erscheint mir in einer Zeit der Unter- und Übergänge
absurd. Ohne auch nur scheinbar sichere Gesellschaftsformen
gibt es auch keine auch nur scheinbar sichere Kunstformen. Der
Zufall ist unser Schicksal geworden.

Ich schreibe also weiter oberflächlich drauf los und es wird
genau das, was ich vermeiden wollte, nämlich „Schreibe“. Ganz
gleich ob sie unraffiniert oder beiläufig ist, — cs gelingt mir nicht,
das jeweilige Thema auf das Wesentliche zu beschränken, das

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heißt: vor allem den richtigen Anfang zum richtigen Schluß zu
führen und in knappen folgerichtigen Sätzen ein Geschehnis erst
einmal anekdotisch zu reduzieren. Mein schlechter Zustand ist
dafür keine Entschuldigung. und mich selber irritiert das Nach¬
gelesene, weil es eben nicht so ist, wie ich es gerne haben möchte:
verbindlich und unterhaltend.

Jedes Geschehn sollte man auf seine lapidare Realität reduzie¬
ren, ohne irgendwelche Abstraktionen zu verwenden.

Leider hilft mir diese Einsicht nicht, wenn ich irgendetwas
erzählen möchte, weil ich von der gewohnten Art des Aufzählens
nicht loskomme und weil ich, wie beim Sprechen, draußen bleibe
und nur etwas mitteile, ohne mich damit zu identifizieren. An
einer bloßen Mitteilung kann der Zuhörer oder Leser nicht teil¬
nehmen, oder es bleibt ihm überlassen, die Teilnahme, in die ich |
ihn hineinziehen müßte, selber zu vollziehen. Dann ist eigentlich
er der Künstler, dem ich nur das Rohmaterial liefere.

Maßgebend für die sowohl sinnliche, psychische als auch
intellektuelle Leistung sind die Intensität, die sich oft nur auf ein
begrenztes Gebiet erstreckt, und die Spannweite aller bewältigten
Erlebnisse und Erfahrungen.

Wer imstande ist, beides zu vereinigen, der erreicht die mög¬
liche Repräsentanz seiner Zeit.

Der Mangel an einer interessierten Gesellschaft zwingt die
heutigen Autoren zu immer vertrakterem, monologisierendem
Schreiben und intellektuellen Protzereien, die keinen Wider¬
spruch zur Kenntnis nehmen. Das alles ist aber nach meiner
Meinung falsch und befriedigt nur die Eitelkeiten der Verfasser.
Und Rezensenten sind bestimmt kein Publikum, denn die haben
fast ausnahmslos ihre Ansichten von früheren Besserwissern,
aber ohne deren Niveau, übernommen.

Hinzu kommt für mich das, was ich als überlebender Jude dieser
deutschen Generation zu sagen und zu erzählen hätte. Ich kann weder
so tun, als wäre nun alles in Ordnung, noch den überlebten Sozialis¬
mus und Psychologismus als Erklärung und Rettung anbieten. Das
Erschreckende meiner Begegnungen und Erlebnisse seit meiner
Rückkehr, so typisch und drastisch wie sie tatsächlich waren und
sind, wiederzugeben, gelingt schon deshalb nicht, weil ich zwar
meine Position vertrete, aber die Gesprächspartner stumm sind oder

Tragik zum Ausdruck zu bringen. Die Erfolgreichen fühlen sich
einfach erfolgreich und die noch Erfolglosen suchen den Erfolg als
Trost und Bestätigung, das Rechte zu tun.

ten und nahen Menschen durch den Tod verliert und sich mit
seinem endgültigen Verschwinden zufriedengibt. Die eigene Ge- |
genwart steht in so krassem Gegensatz zu der verschwundenen,
nie mehr wiederkehrenden Gegenwart, daß man konsequenter¬
weise auch sich selbst genauso aus der Gegenwart verschwinden
sieht und alles wirklich Gewesene wie nie gewesen verschwindet.

Wer über dieses menschliche Phänomen hinweglebt, ohne
darüber nachzudenken, ohne darüber an seiner ganzen Existenz
zu leiden, weiß nichts vom Menschen. Er kann sich aufbäumen
und sich wehren, er kann es demütig annehmen, — aber unbeküm¬
mert weiterleben und weitertun, als wäre nichts passiert, kann er
nicht, ohne sein Menschsein zu verlieren. Und gerade das ist die
derzeitige Einstellung der immer kulturloseren, technisierten
Massengesellschaft, die das Vergangene vergangen sein läßt, die |
nur dem Heute lebt und sich in eine gesicherte und geplante
Zukunft hineinträumt, in welcher es diese tragische Vergänglich¬
keit nicht geben soll. Dieser absolute Widerspruch zur absoluten
Tatsächlichkeit ist purer Wahnsinn, der letzten Endes mit seinem !
Ausbruch enden muß.