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Maria Leitner, vermutlich 1928; einziges bislang aufgefundenes Porträtfoto der Autorin Ich setze mich und warte. Der Hagere ist aus dem Zimmer gegangen, wahrscheinlich muß er mit der Direktion beraten. Nach einer Weile kehrt er zurück und sagt nur: „Kommen Sie.“ Stumm geht er mit dem Schlüssel voran, durch dunkle Gänge, durch Korridore, in denen die Kartotheken aufbewahrt sind. Nein, das Heine-Zimmer ist nicht erst jetzt in einen Hinterraum verbannt worden: es war auch in den Zeiten der Republik ein halbverborgenes Zimmer, dessen man sich ein wenig schämte. Der Schlüssel knarrt heiser im Schloß. Die Tür geht schwer, wie von Staub verklebt. Staub liegt auch dicht über den Kästen, die an den Wänden entlang laufen. Die Wände sind kahl. Der Hagere beginnt die Schränke zu öffnen. Er nimmt behutsam einige Bände aus ihrem Gefängnis. Eine Staubschicht liegt auf den abgescheuerten Ledereinbänden, deren Rücken den Namen des Dichters mit Schnörkeln zeigen. Die Bücher sind verstaubt, aber wenn man sie öffnet, ist es, als spreche jemand mit einer ganz jungen, frischen Stimme: „Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, wenn man zufällig dort geboren, und es ist mir, als müßte ich gleich nach Hause gehen. Und wenn ich sage nach Hause gehen, so meine ich die Bolckerstraße und das Haus, worin ich geboren bin. Dieses Haus wird einst sehr merkwürdig sein.“ Das Haus in der Bolckerstraße sieht jetzt wirklich merkwürdig aus: mit den abgekratzten Inschriften und der leeren Nische, aus der man eine Statue gerissen hat. „Wir müssen uns jetzt beeilen“, sagt der Hagere, aber seine Hände betasten noch die vielen Bände in den Schränken, als wollte er feststellen, daß sie noch nicht zu Staub zerfallen sind. Bücher in japanischer, chinesischer, spanischer, griechischer, hindostanischer, indochinesischer Sprache — Bücher in hundert Sprachen! Alle diese Völker dachten, es sei ein deutscher Dichter, den sie in ihrer Sprache lasen und den sie liebten... Das Dritte Reich will sie eines anderen belehren. Der Hagere öffnet noch schnell einige Schränke, blickt hinein, dort ist die Büste Heines, dort sind Zeichnungen, auf denen er aussieht wie ein echter deutscher träumender Poet, und hier: ein ausgestopfter Papagei, sein Lieblingsv.ogel... „Über diesen Papagei, schrieb er an Laube, daß nur noch er und Mathilde ihn am Leben hielten“, erklärte der Hagere, dann aber schweigt er plötzlich, als hätte er schon zuviel gesagt. Er blickt auf seine Uhr und beginnt schnell wieder die Schränke zu schließen. „Das alles hat keinen Sinn“, sagt er, und ich weiß nicht, worauf er es bezieht. Dann stehen wir draußen. Wieder knarrt der Schlüssel. Unten warten sie schon auf unsere Rückkehr, als hätten wir uns in ein verbotenes, fernes Land gewagt. „Da sind Sie ja wieder“, sagt eine freundliche Dame und sie breitet vor mir, als lebten wir in alten, vergangenen Zeiten, ein Gästebuch aus. Und ich schrieb einen Namen hinein. Erstdruck in: Das Wort (Moskau), 3. Jg. (1938) Heft 1, S. 145f. Danziger Gespenstergeschichten Diese Geschichte hörte ich von einer Amerikanerin, die in der „Freien Stadt‘“ Angehörige besucht hatte: In einer Danziger Geschäftsstraße hatte ein sehr altes, verwikkeltes, winkliges Haus meine Aufmerksamkeit erregt. In einer Nische stand ein Ritter, und auch er war merkwürdig, er schien mit der größten Anstrengung seinen Kopf von dem Haus abwenden zu wollen. Im Erdgeschoß befand sich eine Glaswarenhandlung, und ich wollte hineingehen, erst einmal, weil ich in der Frühe ungeschickterweise eine Karaffe zerbrochen hatte, die ich ersetzen wollte, dann aber auch, um das Haus näher in Augenschein nehmen zu können. Aber die Verwandte, die mich begleitete, hielt mich zurück: „Geh nicht hinein. Dieses Haus hat eine unheimliche Geschichte.“ Sie erzählte mir, als wir zu Hause waren, nachdem sie erst alle Fenster und Türen geschlossen hatte: „Dieser Glaswarenhandel und auch das Haus gehörten früher der Witwe Bronnen. Jetzt ist das alles Eigentum des Standartenführers Heinz Thiele. Diese Frau Bronnen war eine sehr harte, zähe Frau, eine tüchtige Geschäftsführerin. Vor vielen Jahren hatte Heinz Thiele ihrer Tochter den Hof gemacht. Sie war ein schönes Mädchen, und Heinz Thiele ein kaufmännischer Angestellter, der meist ohne Stellung war. Sicher hätte er gern die hübsche Selma als Frau und die Glaswarenhandlung dazu als sichere Lebensgrundlage gewonnen. Aber die Witwe Bronnen verscheuchte den jungen Thiele sehr energisch und ohne gute Worte. Sie nannte ihn Taugenichts, Tunichtgut, Faulpelz. Selma heiratete später einen Gehilfen ihrer Mutter, der zum Mitinhaber aufrückte. Der junge Thiele aber hatte sich der Politik zugewandt. Wahrscheinlich hatte ihn die Ablehnung der Witwe Bronnen zum überzeugten Antisemiten gemacht, so daß er eigentlich ihr seine Karriere verdankte. Aber als er zu Macht gelangte, zeigte er ihr gegenüber keine Milde. Er schien seine alte Niederlage nicht vergessen zu haben. Selmas Mann wurde verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Auch Selma schickte man in ein Lager. Der Witwe Bronnen legte man nahe, 29